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# taz.de -- Debatte Geringerer Lohn für Frauen: Die "selbst-schuld"-Propaganda
> Das Familienministerium unter Kristina Schröder versucht die systematisch
> schlechteren Einkommenschancen von Frauen kleinzureden. Das ist
> Propaganda.
Bild: Nicht auf gleicher Höhe: Frauen verdienen häufig viel weniger als Männ…
Im Sommer dieses Jahres verkündete das Statistische Bundesamt gemeinsam mit
dem Bundesfamilienministerium, dass es so schlimm mit der
Lohndiskriminierung von Frauen nicht sei. Berücksichtige man strukturelle
Unterschiede in der Beschäftigung von Männern und Frauen, blieben als echte
Differenz nur mehr rund 8 Prozent.
Erinnern wir uns: Seit Jahren meldet das Statistische Bundesamt, dass die
Einkommenslücke zulasten von Arbeitnehmerinnen zunimmt. Unterm Strich
verdienen Frauen rund ein Viertel weniger als Männer. Mit dieser
Ungleichheit bewegt sich die Bundesrepublik im EU-Vergleich im oberen
Drittel.
Gleichfalls seit Jahren verhindern die Wirtschaftsverbände erfolgreich die
Einführung eines Gleichstellungsgesetzes in der privaten Wirtschaft. Dieses
gilt - wenn auch unzureichend - für die Bundesverwaltung übrigens bereits
seit 2001.
Frauen sind selbst schuld
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat nun noch
eins drauf gesetzt: Zwar betrage die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen
beinahe 30 Prozent. Bei Bereinigung - das heißt bei gleicher Qualifikation,
Berufserfahrung, Unternehmensgröße und beruflichem Status - schrumpfe der
Lohnabstand jedoch auf 13 Prozent. Und: Je kürzer der Ausstieg aus dem
Erwerbsleben wegen der Kindererziehung sei, desto niedriger falle auch die
Einkommenslücke der Frauen aus.
Blieben sie nur bis zu eineinhalb Jahren zu Hause, büßten sie lediglich 4
Prozent ihres Lohnes ein. Diese Einschätzung legt folgenden Schluss nahe:
Frauen sind selbst schuld, wenn sie weniger verdienen. Doch das ist pure
Propaganda.
Schauen wir auf die Fakten: Frauen haben bei den Qualifikationen erheblich
aufgeholt und die Männer teilweise überholt. Allerdings setzen sie immer
noch zu sehr auf sogenannte frauentypische Ausbildungs- und Berufswege.
Dies ist allzu verständlich, denn die Mehrheit der Fallbeispiele machen
wenig Mut zur Nachahmung. Zu groß sind die Diskriminierungen bei
Einstellung, beim Einkommen ebenso wie beim Aufstieg.
Bei der Berufserfahrung spielt natürlich die Unterbrechung des
Erwerbslebens wegen Kindererziehung oder sonstiger Familientätigkeit eine
Rolle. Beides ist aber erst dann zu überwinden, wenn es die Gleichstellung
zwischen Männern und Frauen auch in der Familie gibt und der Staat sowie
Unternehmen die erforderliche Infrastruktur für die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie zur Verfügung stellen.
Davon sind wir meilenweit entfernt. Aber nicht nur strukturell, auch mental
haben die meisten Männer und Frauen die Tradition nicht überwunden, die in
Frauen vor allem die Mutter und im Vater vor allem den Familienernährer
sieht.
Problem der Gewerkschaften
Auch hinsichtlich der Unternehmensgröße werden Arbeitnehmerinnen mit
erheblichen Benachteiligungen konfrontiert: In großen Konzernen mit guten
Einkommen und Aufstiegschancen werden sie oft erst gar nicht eingestellt.
Die große Ausnahme ist die Deutsche Telekom. Hier hat der Vorstand
beschlossen, bis Ende 2015 Führungspositionen zu 30 Prozent mit Frauen zu
besetzen. Generell aber gilt, dass Frauen überdurchschnittlich in kleinen
und mittleren Unternehmen beschäftigt sind: mit niedrigeren Einkommen und
geringeren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten.
Entsprechend geringer fällt auch der Status der weiblichen Berufstätigen
aus. Frauen finden sich weit überdurchschnittlich in gering qualifizierter
Teilzeitarbeit mit Hungerlöhnen und ohne soziale Absicherung. Über zwei
Drittel der annähernd sieben Millionen 400-Euro-Jobs werden von Frauen
ausgeführt - ohne und mit Hartz IV, aber in jedem Fall ohne Möglichkeiten,
der Armutsfalle zu entkommen. Mit ihrer mangelnden Qualifikation ist das
nicht zu begründen.
Aber auch in der gewerkschaftlichen Tarif- und Betriebspolitik gibt es nach
wie vor erhebliche Diskriminierung bei Frauenlöhnen. Die Frauen in den
Gewerkschaften können sich mit ihren jahrzehntelangen Forderungen nach
einer besseren Bewertung von Tätigkeiten, die vor allem von Frauen
ausgeführt werden, kaum durchsetzen.
In vielen personenbezogenen Dienstleistungsberufen - im Einzelhandel,
Reinigungs- und Gaststättengewerbe, Pflege, Erziehung, Bildung - ist die
Organisations- und Verhandlungsmacht der Gewerkschaften zu schwach, um ein
Mindestmaß an Lohngerechtigkeit bei den Tarif- und Betriebsverhandlungen zu
erreichen.
Entscheidend für die eklatante Benachteiligung von Frauen in
Führungstätigkeiten ist die mangelnde Bereitschaft der männlichen Kollegen,
Macht und Geld mit den Frauen zu teilen. Noch so hohe Qualifikation,
Motivation, Erfahrung, Engagement und Verfügbarkeit von Frauen reichen
nicht aus, die gläsernen Decken nach oben zu durchbrechen.
Irreführende Diskussionen
Wer angesichts dieser Fakten gebetsmühlenartig eine ausreichende
Kinderbetreuung sowie Vätermonate beim Elterngeld anmahnt, der argumentiert
gezielt an der Realität vorbei. Natürlich sind diese Forderungen richtig,
aber sie beziehen sich auf Nebenschauplätze. Im Zuge von Schuldenbremse und
Haushaltseinsparungen haben die Kommunen bereits deutlich gemacht, dass sie
den von der Bundesregierung beschlossenen Ausbau der Kinderbetreuung für
unter Dreijährige nicht leisten können.
Die Verlängerung der Vätermonate beim Elterngeld ist im Zuge der
Kürzungspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung erst einmal auf Eis
gelegt. Die Haushaltskürzungen im sozialen Bereich treffen mit der
Rekordsumme von 30 Milliarden Euro bis zum Jahr 2014 vor allem die
Alleinerziehenden in Hartz IV und ihre Kinder durch die weitgehende
Streichung des Elterngeldes. Die minimale Heraufsetzung der Regelsätze des
ALG II sowie das Bildungspaket für Kinder, das hinten und vorne nicht
reicht, wird die Nachteile sowie die gesellschaftliche Stigmatisierung von
Frauen weiter verschärfen.
Erforderlich ist ein radikaler Paradigmenwechsel in der Frauen-, Sozial-
und Arbeitsmarktpolitik mit verbindlichen Frauenquoten.
Öffentlichkeitswirksame Statistiktrickserei, unterstützt durch
regierungsamtliche Propaganda, ist keine Lösung.
18 Nov 2010
## AUTOREN
Ursula Engelen-Kefer
## TAGS
Gleicher Lohn
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