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# taz.de -- Louis van Gaals Biografie: Der Mann, der alles kann
> Wer ist Louis van Gaal? Diese Frage beantwortet Louis van Gaal am
> liebsten selbst: Louis van Gaal ist ein großer Fußballlehrer. Das steht
> auch in seiner kiloschweren Biografie.
Bild: Alles im Blick: Louis van Gaal.
Es war im Oktober letzten Jahres, als Louis van Gaal seinen gewichtigen
Doppelbänder "Biographie und Vision" auf dem Rasen der Arena von Ajax
Amsterdam vorstellte. Vor 500 geladenen Gästen erzählte er, dass er dieses
Buch seit 2003 geplant habe, also wohl nach seinem gescheiterten zweiten
Engagement in Barcelona. Zum Zeitpunkt der Präsentation hatte der von ihm
seit dem Sommer trainierte Rekordmeister Bayern München gerade den
schlechtesten Saisonstart seit 43 Jahren hingelegt.
Vielleicht fand sich deswegen in der versammelten Fußballprominenz -
darunter Ronald de Boer und Patrick Kluivert - kein einziger Offizieller
des FCB mit Ausnahme von van Gaals Ko-Trainer Andries Jonker, den er
inzwischen nicht unkokett immer mal wieder als seinen Nachfolger in München
ins Spiel bringt, obwohl Jonker als Chefcoach bisher keine Erfolge
vorzuweisen hat. Und last, not least: In Amsterdam wurde natürlich die
holländische Version vorgestellt. Wer kann oder konnte schon Holländisch in
München?
Doch seit van Gaals Bayern am 24. Spieltag der vergangenen Saison erstmals
nach über eineinhalb Jahren wieder an der Spitze standen, seit er das
Double gewonnen und das Finale der Champions League erreicht hat und
schließlich als erster Ausländer zum Trainer des Jahres gewählt wurde, war
der Holländer so etwas wie der Heilsbringer und große Modernisierer des
deutschen Fußballs geworden - bis Bayern-Manager Uli Hoeneß Ende Oktober
dem von ihm engagierten Rotweinliebhaber kräftig in die späte Blüte seiner
Karriere grätschte.
Seitdem scheint es äußerst zweifelhaft, dass van Gaal seinen bis Juni 2012
laufenden Vertrag erfüllen wird. Denn er macht überhaupt nicht den
Eindruck, als habe er Spaß daran, dass jedes Match für ihn zum
Schicksalsspiel wird; am Dienstag gegen den AS Rom in der Champions League
darf er es einmal etwas entspannter angehen lassen, weil die Bayern ja
schon mit vier Siegen in vier Partien in der Zwischenrunde sind.
Der Nachdemütigungs-van-Gaal sieht im Gegenteil aus wie jemand, der
innerlich gekündigt hat und nur noch auf die richtige Gelegenheit wartet,
dem Bayernboss zum Abschied kräftig einen einzuschenken - ein Abschied, der
ja erklärtermaßen einer vom Vereinsfußball sein wird. Sieht man es so, dann
geht die Ära van Gaal an der Säbener Straße schon wieder ihrem Ende
entgegen - und die nun erschienene, um das Bayernabenteuer erweiterte
deutsche Ausgabe seiner Lebens- und Fußballbilanz darf als sein
Bundesligavermächtnis gelten.
Ist es gelungen? Ist es nicht, jedenfalls der biographische Teil. Dass van
Gaal ein Fußballverrückter und Fanatiker ist, war bekannt und ist schön und
gut. Man kann die zugehörigen Anekdoten auch mit einigen Amüsement lesen -
solange man sie nicht schon in einem anderen Medium mitbekommen hat, der
Mann ist ja nicht sparsam mit seinen Äußerungen. Nein, van Gaal ist nicht
einfach ein egozentrisches Alphatier, er hat einen dem Tourette-Syndrom
vergleichbaren Zeige- und Aussprechtick.
Nicht umsonst diktierte er den Bild-Zeitungsleuten einst ins Schmierblatt,
er habe im Besprechungsraum der Mannschaft einmal die Hosen runtergelassen,
um zu beweisen, dass er nicht wegen seines Egos, sondern allein für die
Mannschaft Auswechslungen vornehme. Was er damit wohl sage wollte? Hatte er
tatsächlich den Jungs seinen vermutlich gewaltigen Bommel gezeigt?
Man kann das auch positiv nehmen und dem Holländer zwanghafte Ehrlichkeit
attestieren. Er hat keine Lust, zu lügen, sich zu verstecken. Muss er auch
nicht, denn wo er ist, ist er Chef. Dieses "Ecce Homo" hat etwas
Katholisches - und Aloysius Paulus Maria Van Gaal ist ein vom Glauben
abgefallener Katholik.
Das hätte nun ein sehr spannendes Analysebuch abgegeben, aber "Biographie"
ist kein Buch zum Lesen, sondern eins zum Blättern, eine
Hochglanz-Festschrift, ein echtes Coffee-Table-Book, ein
Bayern-Fan-Accessoire. Es ist einfach zu mühsam, aus der Fülle der
Familienfotos, Zwischenüberschriften und Geschichtchen das Wesentliche
herauszufiltern.
Die Mühe lohnt sich etwa im sechsten Kapitel, in dem van Gaal
beziehungsweise der niederländische Sportjournalist Robert Heukels, der den
Text mit ihm geschrieben hat, die Zeit als Sportlehrer - van Gaals
erlernten Beruf - beschreibt. Von 1977 bis 1988 unterrichtete van Gaal an
der katholischen Berufsschule Don Bosco in Amsterdam: "Von 8 Uhr früh bis 2
Uhr nachmittags unterrichtete ich, und um 15.30 Uhr begann bei Sparta
(Rotterdam) das Training. […] In dieser Zeit habe ich mein Auto aus reiner
Übermüdung drei- oder viermal in die Leitplanken gesetzt." Und warum die
Hetze? "Ich wollte sein, was ich studiert hatte. Das Leben als Fußballprofi
fand ich schon deswegen hohl, weil ich nicht immer spielte."
Wenn das Anatolij Tymoschtschuk mal gelesen hätte! Man glaubt die
Erinnerungen der ehemaligen Schüler, dass van Gaal ein guter, ja ein
begeisternder Lehrer war. Und natürlich finden sich auch die sattsam
bekannten Ausfälle, alle ehrlich aufgeschrieben, ob van Gaal nun ein
Mädchen in den Hintern tritt, weil der Ball aus ihrem Spielfeld in der
abgeteilten Turnhalle auf das von ihm bespielte rollt (der Fall sorgt für
Aufregung, wird aber dann zu den Akten gelegt) bis hin zum Eigenlob: "Der
ist fantastisch", er selbst, klar.
Er ist, wie er ist
Und van Gaal ist ja auch ein großer Fußballlehrer. Das zeigt sich im
zweiten Band "Vision", der weniger überladen und grafisch aufgeblasen ist.
Van Gaals Stärke ist, dass er spielen lässt, wie er ist: "Die Mannschaft,
die den Ball hat, bestimmt!"
Van Gaals Schwäche ist, dass er spielen lässt, wie er ist: Als er im
Champions-League-Finale gegen seinen ehemaligen Schüler Mourinho antrat,
hätte er wissen müssen, dass man gegen Inter nicht der Jäger ist, sondern
der Gejagte oder zumindest der Abwartende. Mit van Gaals Ansatz entsteht
schöner, aber durchaus nicht immer erfolgreicher Fußball - in Italiens
Serie A jedenfalls hat er mit gutem Grund nie gearbeitet.
Es ist überhaupt interessant, wie van Gaal das Thema Mourinho behandelt.
Sein Credo für seine Mitarbeiter ist ja: "Man muss den Leuten beibringen,
so zu sehen, wie man es selbst gern möchte." Mourinho aber hatte und hat
"eine völlig andere Persönlichkeit und sieht deswegen ganz andere Details,
und auch seine Arbeitsweise unterscheidet sich von meiner." Van Gaal
schätzt Mourinho sehr, man schreibt sich SMS. Und dann so ein Satz: "Alle
Spieler, mit denen er zusammengearbeitet hat, reden nur gut von ihm. […]
Mourinho ist also offenbar sehr menschlich."
Van Gaal weiß nicht, wie Mourinho ist. Er ist ihm fremd geblieben, was
zugespitzt bedeutet: Van Gaal versteht nicht, wie ein anderer Mensch, der
denselben Beruf wie er ausübt, also weder in der Hierarchie unter ihm steht
noch von einem anderen Fach ist, trotzdem ein großer, was Erfolge angeht,
sogar ein größerer Trainer als er selbst sein kann. Van Gaal versteht
nicht, wie man nicht van Gaal sein kann. Das ist psychologisch gedeutet,
aber hier geht es immer noch um Fußball.
Wenn Louis van Gaal in seinem Ferienhaus in Portugal demnächst seine Ruhe
hat, schreibt er vielleicht eine kleine Fußballschule auf 100 Seiten.
Dieses Buch müsste man dann haben.
22 Nov 2010
## AUTOREN
Ambros Waibel
Ambros Waibel
## TAGS
FC Bayern München
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