# taz.de -- Gerstensaft: Flüssiges für den Kiez | |
> Alle großen Berliner Brauereien sind in der Hand eines westfälischen | |
> Großkonzerns. Jetzt braut sich in den Kiezen lokaler Widerstand zusammen | |
Bild: Kein Bier vor Vier. Oder doch? | |
Um 10 Uhr morgens greift sich Michael Schwab einen langen Holzstab, steigt | |
ein paar Stufen hinauf zur Maischpfanne und prüft die Temperatur. "Noch zu | |
heiß", stellt er fest und setzt erst mal einen Kaffee auf. Ein acht- bis | |
zehnstündiger Brautag liegt vor dem Betreiber des "Brewbaker" in Moabit. | |
Wenn das Wasser im Kessel auf die erforderlichen 40 Grad abgekühlt ist, | |
kann Schwab mit dem Einmaischen beginnen - mehrere Säcke geschrotetes | |
Gerstenmalz stehen schon bereit. Spätestens bei der Läuterung und der | |
Würzekochung werden dem studierten Braumeister Mittagsgäste und Passanten | |
zusehen: Das "Brewbaker" im S-Bahn-Bogen ist gleichzeitig Brauerei und | |
Restaurant, die kleine Sudanlage steht am Fenster. Hier entstehen rund 300 | |
Hektoliter Bier im Jahr: das Bellevue-Pils, die Kölsch-Variante Berlinsch, | |
diverse Saisonbiere und das Profan Bier, das für Kneipen in Flaschen | |
abgefüllt wird. | |
Als "Mikro- und Hausbrauerei in einer Person" bezeichnet sich der | |
36-jährige Brauunternehmer, der "kein Bier für alle" machen will und unter | |
Bierkennern Anerkennung genießt. Außer dem Restaurantpublikum, das zum | |
Havelländer Apfelschwein-Schnitzel ein Bellevue-Pilz genießt, schauen | |
Nachbarn rein, um sich die aktuelle Produktion für zu Hause abfüllen zu | |
lassen. Auch Engländer mit dem "Good Beer Guide for Germany" unterm Arm | |
wurden schon gesichtet. Zum Jahresende wird der Brewbaker den S-Bahn-Bogen | |
verlassen und als Schaubrauerei in die nahe Arminius-Markthalle ziehen. | |
"Langfristig will ich mich auf mein Kerngeschäft konzentrieren", sagt | |
Schwab. "Gutes, von Hand gemachtes Bier". | |
Hochwertig, handgemacht und naturbelassen: Wie der Brewbaker trauen sich | |
immer mehr kleine Brauer zu, in Konkurrenz zu den Einheitsbieren der | |
Großkonzerne zu treten. Der Deutsche Brauer-Bund schätzt, dass es in Berlin | |
rund 15 Gasthausbrauereien und Kleinbrauereien mit weniger als 5.000 | |
Hektoliter Jahresproduktion gibt. "Die genaue Zahl kennen wir leider auch | |
nicht, da es in diesem Bereich ständig Neugründungen gibt", sagt | |
Brauer-Bund-Sprecher Daniel Schock. | |
Das Allerneueste auf dem Berliner Biermarkt ist der Quartiermeister. Sein | |
Schöpfer ist kein Braumeister, sondern ein Jurist mit einer cleveren | |
Geschäftsidee: Sebastian Jacob ist 30 Jahre alt, passionierter Biertrinker | |
und ein Freund intelligenten Konsums. "Biertrinken macht Spaß und ist | |
gesellig. Umso besser, wenn es dabei auch noch sozial und lokal zugeht." | |
Der Gewinn aus jeder verkauften 0,33-Liter-Flasche Quartiermeister fließt | |
in ein soziales Nachbarschaftsprojekt. Natürlich in den Kiez, in dem das | |
Bier konsumiert wurde. | |
In 25 Kneipen in vier Bezirken gibt es bisher Quartiermeister. Jacobs Ziel | |
ist es, irgendwann das ganze Stadtgebiet abzudecken. Und auf diesem Weg | |
lokalen Projekten wie der Schülerhilfe Rollberg unter die Arme greifen, | |
denen der Oktobererlös von 850 Euro zugute kommt. Langfristig sollen die | |
Konsumenten auf der Website über die Mittelvergabe bestimmen dürfen. "Ich | |
will das erste demokratische und transparente Bier machen", sagt Jacob | |
selbstbewusst. Bisher läuft es gut, Presse und Gastronomie sind von dem | |
Bier begeistert, Quartiermeister ist für den Gründerwettbewerb "Kopf | |
schlägt Kapital" nominiert. Ein Widerspruch macht ihm aber noch Sorgen: Das | |
Kiez-Bier wird außerhalb Berlins produziert - in Sachsen-Anhalt. | |
Durch und durch von lokalem Gedanken getragen ist die Rollberg-Brauerei, | |
die Wilko Bereit seit Dezember 2009 in der ehemaligen Neuköllner | |
Kindl-Brauerei betreibt. "Als gebürtiger Neuköllner war es mir eine | |
Herzensangelegenheit, dass in diese schönen Gewölbe wieder was reinkommt." | |
Bereit, der das Brauen an der TU gelernt hat, setzt auf Handarbeit und | |
Ursprünglichkeit. Viele Kneipengänger hätten keine Lust mehr auf uniforme | |
Fabrikbiere, sagt er. Sein Rollberg, das es als Pils, Export und Hefeweizen | |
gibt, ist unfiltriert und nicht wärmebehandelt. Die Haltbarkeit ist dadurch | |
begrenzt, Bereit verzichtet auf Flaschenabfüllung und liefert nur in | |
Fässern, mittlerweile an 28 Kneipen, Restaurants und Hotels in Berlin und | |
Umgebung. Der Rollberger ist mit 700 Hektolitern Bierproduktion im Jahr | |
eine reine Vertriebsbrauerei. Einen eigenen Hausausschank leistet sich | |
Bereit noch nicht, dafür regelmäßige Führungen mit Bierverkostung fürs | |
interessierte Publikum. | |
Andere Kleinbrauereien wie das Brauhaus am Südstern, das Eschenbräu im | |
Wedding oder das Hops and Barley in Friedrichshain setzen auf das | |
klassische Hausbrauereikonzept. Das in der Brauerei produzierte Bier wird | |
gleich vor Ort im eigenen Gastrobetrieb ausgeschenkt. Dadurch entfallen | |
lange Transportwege und Lagerprobleme. | |
Die neuen Brauhandwerker setzen alle aufs Kiezgefühl. Und schließen damit | |
nicht nur eine geschmackliche Lücke. Seit dem Verkauf von Schultheiss-Kindl | |
und Bürgerbräu an die zum Oetker-Konzern gehörende Radeberger-Gruppe gibt | |
es kein "echtes" Berliner Bier mehr. Dafür inzwischen aber viele kleine | |
Brauer, die in ihrer Umgebung für Geschmacksbildung sorgen. Und mitunter | |
dabei sogar Gutes für den Kiez tun. | |
29 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
Nina Apin | |
## TAGS | |
Genuss | |
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