# taz.de -- Innenminister de Maizière: Der Stillhalter | |
> Er mag es geräuschlos, doch seit den Terrorwarnungen steht Thomas de | |
> Maizière im Mittelpunkt. Auch die Opposition lobt ihn. Plötzlich fragen | |
> die Medien: Kann der Kanzler? | |
Bild: De Maiziere bei der Pressekonferenz am 2.11. zum Thema "Griechenland-Pake… | |
Sie hängen da, in Schwarz-Weiß, die Mienen streng. Seiters, Kanther, | |
Schily, Schäuble. Die ehemaligen Innenminister. Der amtierende hängt an der | |
Wand daneben, in Farbe, den linken Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben | |
gezogen. | |
Genau so wollte Thomas de Maizière rüberkommen: kein harter Hund wie seine | |
Vorgänger wollte er sein, sondern ein freundlicher Innenminister. Doch als | |
er am Mittwoch vorvergangener Woche in seinem Ministerium vor die Kameras | |
tritt, ist sein Blick ernst. Kein Lächeln nirgendwo. [1][Er spricht von | |
einem möglichen Anschlag, vielleicht schon bald.] "Wir zeigen Stärke", sagt | |
er. | |
Hätte man ein Schwarz-Weiß-Foto geschossen, es hätte hervorragend neben die | |
Verkniffenen in der Ahnengalerie gepasst. Die Hardliner freuten sich schon: | |
Endlich macht er den Sheriff! | |
Eine Woche später sitzt de Maizière im Bundestagsrestaurant. Draußen sieht | |
man weiß-rote Gitter, das Reichstagsgebäude ist abgesperrt, Polizisten | |
patrouillieren mit Maschinenpistolen. De Maizière hätte in dieser Situation | |
auf schärfere Gesetze drängen können. Er tat es nicht. Unionshardliner | |
kritisierte er, mal direkt, mal indirekt, als diese wegen der Terrorgefahr | |
die Bundeswehr im Innern einsetzen oder Polizisten in "muslimische Viertel" | |
schicken wollten. | |
SPD-Chef Sigmar Gabriel kommt ins Restaurant. De Maizière geht auf ihn zu, | |
ruft: "Danke!" Gabriel hatte am Tag vorher das "sehr sachbezogene Handeln" | |
des Innenministers gelobt. Deshalb die Geste. Sogar Grüne und | |
Linksparteiler finden seine Besonnenheit gut. De Maizière will warnen. Aber | |
er will keinen Aktionismus. "Ich bin Sicherheitsminister und kein | |
Unsicherheitsminister", sagt er. | |
Er will immer noch nicht so sein wie die harten Sheriffs in Schwarz-Weiß. | |
Und doch: De Maizière hat sich verändert in den vergangenen Wochen. Man | |
sieht ihn jetzt in den Talkshows, bei Beckmann und bei Anne Will. Dabei mag | |
er das eigentlich gar nicht. [2]["Das ganze Gequatsche bekommt der | |
politischen Kultur nicht", sagte er mal in einem Interview.] | |
Lange konnten deshalb die Menschen wenig mit dem Mann mit der eckigen | |
Brille anfangen, laut Umfragen kannten ihn im Sommer mehr als ein Fünftel | |
noch nicht einmal. Nun scheint er viele zu überzeugen, für die er bisher | |
ein Unbekannter war. Vielleicht einfach nur, weil da plötzlich einer sitzt, | |
der mit tiefer Stimme und ruhiger Art nicht so überdreht rüberkommt wie | |
viele der Dauertalkshowgäste. Das Spröde und Trockene wird auf ein Mal zum | |
Vorteil. | |
Jahrelang war Thomas de Maizière nur der Mechaniker der Macht. Aufgewachsen | |
in Bonn als Sohn eines Generalinspekteurs der Bundeswehr und einer | |
Künstlerin, steigt er als junges CDU-Mitglied 1983 in Westberlin in den | |
politischen Betrieb ein. Er wird zu einem, der im Hintergrund dafür sorgt, | |
dass die Regierungsmaschinen laufen. "Er regelt die Dinge gerne | |
geräuschlos", sagt der CDU-Fraktionschef im Sächsischen Landtag, Steffen | |
Flath. Sein Cousin Lothar de Maizière hat einmal über ihn gesagt: "Wenn man | |
böse ist, kann man sagen: Er funktioniert." | |
Er muss es wissen. Im Frühjahr 1990 machte der letzte und einzig frei | |
gewählte DDR-Ministerpräsident seinen West-Cousin Thomas zu seinem Berater. | |
Bis zum 2. Oktober wurden 759 Kabinettsvorlagen bearbeitet. Durch Thomas | |
Mitarbeit habe er die Gewissheit gehabt, dass sie "formaljuristisch in | |
Ordnung waren", schreibt Lothar de Maizière in seinen Erinnerungen. | |
Das klingt nach einer wichtigen Aufgabe. Sexy klingt es nicht. Aber das ist | |
vermutlich der falsche Maßstab an einen Mann, dessen Dissertation den Titel | |
trug: „Die Praxis der informellen Verfahren beim Bundeskartellamt." | |
Als Verwaltungsprofi geht de Maizière nach der Vereinigung nach | |
Mecklenburg-Vorpommern, zuerst als Staatssekretär eines überforderten | |
Kultusministers, schließlich wird er Chef der Staatskanzlei. | |
Der Mann, in dessen Diensten Thomas de Maizière damals stand, wohnt in | |
einem kleinen Haus im Dörfchen Walow an der Müritz: Berndt Seite, bis 1998 | |
Ministerpräsident des Landes. Er sieht das so: Nach der Wende seien | |
zahllose Experten in den Osten gekommen. Darunter gab es Aufschneider und | |
Aufrichtige, Karrieristen und Könner. De Maizière war aufrichtig und konnte | |
was. | |
Wie die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern ticken, das wusste der einstige | |
Tierarzt Seite selbst - jedes Tier hat einen Halter. Doch wie Verwaltung | |
geht, davon hatte er keine Ahnung. "Wir waren blanke Amateure." Für die | |
Details brauchte man Typen wie Thomas de Maizière. | |
Seite hatte ihn aber noch aus einem anderen Grund zum Staatskanzleichef | |
gemacht: De Maizière sollte die große Koalition zusammenhalten. Die | |
Vorgängerin in der Staatskanzlei war stramm konservativ. Für den Draht zur | |
SPD brauchte Seite einen Moderateren. Einen Mann, der wie | |
Ex-Regierungssprecher Thomas Steg sagt, zwar "durch und durch | |
bürgerlich-konservativ" ist, aber alles andere als ein "Sozi-Fresser". | |
Loyalität, Treue, Vertrauen: De Maizière nimmt oft solche Wörter in den | |
Mund. Er ist da ziemlich altmodisch. Dazu passt auch seine tiefe | |
Staatsgläubigkeit. Der Staat ist in seinen Augen der Gute. [3][Bis heute | |
verteidigt er einen völlig misslungen Einsatz eines Sondereinsatzkommandos | |
in seinerZeit in Sachsen.] Auf die Frage, ob er denn schon mal eine Phase | |
jugendlicher Rebellion hatte, antwortete er einmal: Doch, als junger | |
Student habe er die Juristenausbildung umkrempeln wollen. | |
In Sachsen landet de Maizière Ende der 90er. Er wird auch dort zunächst | |
Leiter der Staatskanzlei, später Finanz-, dann Justiz-, dann Innenminister. | |
Er ist ein Multifunktionspolitmanager. | |
In Dresden findet er auch seine Heimat. Das verwundert nicht, de Maizière | |
passt in die Stadt von Frauenkirche und Semperoper wie ein Punk ins | |
Berlin-Kreuzberg der 80er. Er ist ein klassischer Bildungsbürger. Einer, | |
der Bach und Brahms hört, seinen Sohn in den Kreuzchor schickt und auf dem | |
Evangelischen Kirchentag Bibelarbeit leistet. Heute pendelt de Maizière | |
zwischen Berlin und Dresden. Ein Grund, warum er erst jetzt zu Anne Will | |
kam, war auch, dass ihm der Sonntag bei Frau und Kindern heilig ist. | |
Zum Pendler wurde de Maizière durch Angela Merkel. Sie kennen sich seit der | |
Wende. Am Abend des 18. März 1990 kommt es zu einem folgenreichen Treffen. | |
Thomas de Maizière feiert mit seinem Cousin Lothar den Erfolg der CDU bei | |
der Volkskammerwahl im "Ahornblatt". Später schauen sie im Gasthaus "Mühle" | |
in Prenzlauer Berg vorbei, wo der "Demokratische Aufbruch" sein | |
katastrophales Ergebnis verdaut. Mit dabei: Angela Merkel. Sie kommt auf | |
die de Maizières zu und sagt: "Vergesst uns nicht." | |
Das haben sie nicht. Als wenig später eine Vizesprecherin für die letzte | |
DDR-Regierung gesucht wird, bringt Thomas de Maizière Merkel ins Gespräch. | |
In den Monaten danach entsteht ihr tiefes Vertrauensverhältnis. | |
Als Merkel de Maizière 15 Jahre später ins Kanzleramt holt, macht er dort | |
das, was er am besten kann. Er sei ein "sicherer Garant für effizientes | |
Arbeiten" gewesen, urteilt Ex-Regierungssprecher Steg. Beim | |
Regierungswechsel 2009 legt de Maizière dann sein Schicksal ganz in die | |
Hände Merkels: Viele waren davon ausgegangen, dass er Finanzminister wird, | |
schließlich hatte er bei den Koalitionsverhandlungen für die Union die | |
Arbeitsgruppe Steuern und Finanzen geleitet. Er wird Innenminister. | |
De Maizière schlägt einen anderen Kurs ein als seine Vorgänger. Selbst | |
unter Oppositionspolitikern hört man in den Wochen danach viel | |
Wohlwollendes. De Maizière sei vermutlich der menschlich angenehmste | |
Innenminister, "10-mal angenehmer als Schäuble, und 100-mal angenehmer als | |
Schily", sagt einer von der SPD. | |
De Maizière suchte sich ein neues Feld, auf dem er glänzen will: die | |
Internetpolitik. Gelungen ist ihm das allerdings nicht. | |
Er hatte Leute vom Chaos Computer Club, Blogger und Internetaktivisten zum | |
Dialog eingeladen. [4][Im Juni hält de Maizière dann im Deutschen | |
Technikmuseum in Berlin eine Rede], die grundsätzlich sein soll, es ist der | |
100. Geburtstag des Computererpioniers Konrad Zuse. Doch statt | |
Bahnbrechendem präsentiert de Maizière trockene Juristerei. Die einzige | |
Idee, die hängen bleibt, ist das mit dem digitalen Radiergummi. De Maizière | |
fände es gut, wenn das Internet vergesslich wird. Das hat Charme, mehr aber | |
auch nicht. "Viel Theorie, wenig Konkretes", klagt ein Teilnehmer. "Man | |
denkt sich am Ende: what the fuck." | |
Nach einem Jahr ist de Maizière dann doch auf dem Feld gelandet, das er am | |
liebsten umschifft hätte: derTerrorabwehr. Auch hier sind ihm Fehler | |
unterlaufen, die einen Perfektionisten wie ihn wurmen müssen: Merkel erfuhr | |
erst durch den britischen Premier von der Jemen-Paketbombe und nicht von | |
ihrem Innenminister. Sie war richtig sauer. Und dann war da noch [5][die | |
Bombenattrappe, die von Namibia nach München reisen sollte]. De Maizière | |
brauchte 27 Stunden, um Entwarnung zu geben, obwohl es schon früher | |
Hinweise auf einen möglichen "Testkoffer" gab. | |
Am Ende aber wird entscheidend sein, wie die Sache mit dem angeblich | |
geplanten Anschlag ausgeht. Von einem "politischen Elchtest" ist in den | |
Medien nun die Rede. | |
Schon jetzt ist de Maizière Merkels wichtigster Minister. Als es vor | |
wenigen Wochen so aussah, als würde Finanzminister Wolfgang Schäuble | |
aufhören, gab es nur einen ernsthaften Kandidaten für den Job: de Maizière. | |
Das zeigt, wie wichtig er geworden ist. Es zeigt aber auch, wie sehr Merkel | |
zugelassen hat, dass ihre Partei personell ausdünnt. Jetzt fragen die | |
ersten sogar, ob de Maizière zu Höherem taugt. De Maizière Kanzler? Das | |
kann man sich dann doch nicht so recht vorstellen. "Er ist kein | |
Volkstribun", sagt der sächsische CDU-Mann Flath. | |
Zweimal schon hätte de Maizière sächsischer Ministerpräsident werden | |
können. 2002 wollte ihn Kurt Biedenkopf zum Nachfolger machen, de Maizière | |
wollte aber keine Kampfkandidatur gegen Georg Milbradt. Sechs Jahre später | |
ging es um die Nachfolge von Milbradt - und wieder kniff de Maizière. Wenn | |
er unbedingt gewollt hätte, sagen manche, hätte er bei einer Klüngelrunde | |
im April 2008 den Job bekommen können. Merkel aber wollte nicht, dass de | |
Maizière das Kanzleramt verlässt, und de Maizière habe sie nicht im Stich | |
lassen wollen, heißt es. | |
Vielleicht fehlt de Maizière auch der Killerinstinkt. Vielleicht hat er | |
aber auch Angst, vollends zur öffentlichen Person zu werden. Schon jetzt | |
sei ihm aufgefallen, dass ihn die Leute in Berlin anders anschauten, sagt | |
de Maizière. Er wolle nicht irgendwann mit Baseballmütze und Sonnenbrille | |
aus dem Haus gehen müssen. | |
Im Innern ist er immer noch der Mann im Maschinenraum. | |
1 Dec 2010 | |
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