| # taz.de -- Jean-Luc Godard zum 80. Geburtstag: Revolutionär des Kinos | |
| > Regisseur Jean-Luc Godard wird 80. Zusammen mit François Truffaut steht | |
| > er für die "Nouvelle Vague" im Kino, für die Revolution des Schnitts. | |
| > Eine Würdigung. | |
| Bild: Jean-Luc Godard bei einer Preisverleihung in der Schweiz. | |
| BERLIN taz | "JeanLuc Cinéma Godard": So signierte Godard vor fast einem | |
| halben Jahrhundert seinen Film "Außenseiterbande". Das Kino selbst, ein | |
| Autorenfilmer mit eigener Handschrift, ein Filmemacher mit Hang zur | |
| Kollaboration, der manche seiner Filme mit Fleiß überhaupt nicht signiert – | |
| all das ist Jean-Luc Godard. | |
| Der große Zitator, ein Mann, der Filme und Bücher und dann auch sich selbst | |
| zitiert, große Namen fallen lässt wie nichts Gutes und heute gerne zitiert | |
| wird mit nur bedingt für bare Münze zu nehmenden Sätzen wie dem, das Kino | |
| sei "24 Mal Wahrheit in der Sekunde". Und doch ist Godards Kino ein Kino, | |
| das sich im Zitieren niemals erschöpft, das aus dem Zitieren eine Kunstform | |
| gemacht hat, in der das Zitierte ausgestellt und in oft schroffer Schönheit | |
| etwas Eigenes wird. | |
| Einer von Godards großartigsten Filmen, aus dem Jahr 1990, trägt den Titel | |
| "Nouvelle Vague". Der Film ist - wenngleich kein Satz darin von Godard | |
| selbst stammt - weder Zitat noch Selbsthistorisierung. Ja, alles andere als | |
| das, vielmehr eine phänomenal vielgestaltige Meditation mit Alain Delon, | |
| der im See ertrinkt und dann vielleicht wiederaufersteht. | |
| Es geht in "Nouvelle Vague" dem Titel zum Trotz nicht darum, wie das einmal | |
| anfing, in den frühen fünfziger Jahren, mit den anderen bei den Cahiers du | |
| Cinéma, mit François Cinéma Truffaut, Eric Cinéma Rohmer, Claude Cinéma | |
| Chabrol und Jacques Cinéma Rivette. Godard ist immer schon weiter. Und in | |
| der Theorie gemeinsame Sache mit den anderen machte Godard, bis heute ein | |
| Widerborst sondergleichen, damals schon nicht. | |
| So galt die Liebe des "Nouvelle Vague"-Übervaters André Bazins der | |
| ungeschnittenen Einstellung, dem Bild als Abbild der Wirklichkeit. Godards | |
| Kino dagegen ist ein Kino des Schnitts und der Montage als zwei | |
| komplementären Verfahren des Films. Der Schnitt unterbricht und die Montage | |
| verbindet das Unterbrochene, und zwar: neu. Die Montage glaubt nicht an die | |
| Errettung der Wirklichkeit durch das Bild. Sie denkt, sie setzt und | |
| verknüpft, sie bringt fremde Worte und gefundene Bilder mit selber | |
| Gedrehtem zusammen, sie eignet an und eignet um, sie schafft Verhältnisse, | |
| die so vorher nicht waren. | |
| Montagekino ist Revolutionskino. Godards Revolution des Kinos lehrt dabei | |
| nicht zuletzt, dass es immer auch um die Montage von Bild und Klang (und | |
| Schrift im und als Bild), um Sinnlichkeit und Sinn geht. Nichts versteht | |
| sich nämlich daran, wie der Ton zum Bild kommt, von selbst. | |
| Die wichtigste frühe Lektion Godards war wohl die Erkenntnis, wie einfach | |
| es ist, etwas falsch zu machen und damit richtig zu liegen. Für die Könner | |
| des Kinos, die auch heute wieder mordsbequem in vielen Sesseln sitzen, ist | |
| ein Jump Cut - ein Schnitt innerhalb einer Bewegung - nichts anderes als | |
| ein Fehler. Godard hat in seinem Debüt "Außer Atem" beim Schneiden | |
| entdeckt, dass man damit ratzfatz Überflüssiges loswird. Nicht jeden Gang | |
| zu jeder Autotür muss man vollständig zeigen. | |
| Er hat daraus und aus überhaupt viel Tollem und Schönem in seinem Erstling | |
| wiederum keine Methode gemacht, vielmehr mit Hilfe seines Kameramanns Raoul | |
| Coutard bald zu einer Art neuer Klassizität gefunden. Godards Methode, und | |
| es ist eben keine, bestand immer nur darin, sich vom Erreichten zu neuen | |
| Notwendigkeiten treiben zu lassen. Sein Werk lehrt, wie weit man kommen | |
| kann mit einer offensiven Haltung zur eigenen Ratlosigkeit. | |
| Das führt zu tiefen Einschnitten in Godards Filmografie. Mit der | |
| Schrifttafel "Fin de cinéma", Ende des Kinos, endet sein Meisterwerk | |
| "Weekend" von 1967. Und tatsächlich machte er damals nicht weiter, | |
| jedenfalls nicht als Jean-Luc Godard. Der Autor verkroch sich in den Namen | |
| des Kollektivs Groupe Dziga Vertov, nur hieß das nächste Werk dann | |
| lustigerweise "Un film comme les autres" (Ein Film wie die anderen). | |
| Darin sah man Bilder vom Mai 68, und es wird, ohne dass man die Sprecher | |
| richtig erkennen kann, im Kreis über den Alltag der Revolution diskutiert. | |
| Godard wurde Maoist, wollte kein Autor und kein Künstler mehr sein, die | |
| Texte auf den Tonspuren wurden doktrinärer. Heraus kamen unerträgliche | |
| Rechthabereien wie "Pravda" (ein Pamphlet gegen den Revisionismus des | |
| Prager Frühlings) und mit seinem Mitstreiter Jean-Pierre Gorin dann wieder | |
| großartige Sachen wie "Vladimir et Rosa": die beiden stottern sich vor | |
| laufender Kamera übers Tennisfeld, halten das Gesicht hin und texten die | |
| Bilder zu, dass einem Hören und Sehen vergeht. | |
| Nicht jeder Film von Godard ist wirklich gelungen. Aber Gelingen ist ja | |
| auch keine sonderlich interessante ästhetische Kategorie. Das risikolose | |
| Gelingen der Filme des mittleren und späteren François Truffaut etwa hat | |
| Godard dermaßen aufgebracht, dass er ihn im Brief heftig beschimpfte. | |
| Truffaut keilte zurück, ein Bruch, der niemals mehr heilte. Im Übrigen gibt | |
| es wenig Grund anzunehmen, dass der stets als scheu beschriebene Godard ein | |
| sympathischer Charakter ist. Notorisch ist seine schlechte Laune beim | |
| Drehen. Mit vielen seiner zeitweiligen MitarbeiterInnen hat er es sich bei | |
| Gelegenheit auf immer verdorben. | |
| Auch politisch ist Godard seit seinen Anfängen eine sehr lose Kanone. Mit | |
| stramm rechten Kollaborateuren lange befreundet, dann superdoktrinärer | |
| Erzmaoist, dann europäischer Kulturchauvinist. Auch die jüngst wieder laut | |
| gewordenen Antisemitismus-Vorwürfe sind keineswegs aus der Luft gegriffen. | |
| Eine unheilige Doppelachse zieht sich durch Godards politisches Denken: ein | |
| trotz der hitchcock-hawksianischen Liebe zu Hollywood radikaler | |
| Antiamerikanismus; und, viel unerträglicher, die fixe Idee, dass die | |
| Palästinenser die Juden Israels sind. Das geht so weit, dass er einmal die | |
| Schoah als Selbstopferung mit den Selbstmordattentaten der Palästinenser | |
| gleichsetzt. | |
| Seine kaum ausschöpfbare vielstündige filmhistorische Selbstmontage | |
| "Histoire(s) du cinéma" kreist auch, aber ganz anders, um die Schoah. Das | |
| große Versagen des Kinos erkennt Godard darin, dass es keine Bilder von der | |
| Vernichtung zu produzieren und die Schoah deshalb nicht abzuwenden | |
| vermochte. Der hier sich manifestierende Glaube ans Bild gehört ebenfalls | |
| zu Godard. | |
| Dazu passt, dass seine eigene Wiedergeburt als Kinoregisseur seit den | |
| Achtzigern verbunden ist mit einer Hinwendung zu mythotheologischen | |
| Motiven. Sein Marienfilm "Je vous salue, Marie" sorgte für ziemlichen | |
| Wirbel, denn orthodox fromm war er nicht. In "Nouvelle Vague" spielt die | |
| Idee der Wiederauferstehung, wie erwähnt, seltsam hinein. "Hélas pour moi", | |
| einer seiner atemberaubend schönsten Filme, ist eine sehr eigenwillige | |
| Variation des Amphitryon-Mythos, mit Gérard Depardieu in der Doppelrolle | |
| als Zeus und von diesem gehörnter Ehemann der Alkmene. | |
| In den "Histoire(s) du cinéma" sitzt Godard als Spinne im Netz der | |
| Kinogeschichte (in Videoform) und montiert die Bilder und Töne in | |
| eigenwillige Ordnungen. Er selbst, immer wieder murmelnd im Bild, | |
| mittendrin. Wo er auch hingehört, einerseits. Andererseits sitzt er, | |
| zusehends verschweizert, seit langen Jahren im abgelegenen Nest Rolle am | |
| Genfer See, als Protagonist der mutwillig-unfreiwilligen Verabseitigung | |
| seines eigenen Filmens, Lebens und Denkens. Heute, da er nun achtzig wird | |
| und, was ihn wenig berührt hat, sogar den Ehrenoscar bekam, vereint er das | |
| Populäre und das Esoterische, das Marginale und das Zentrale auf sich wie | |
| kein anderer lebender Zeuge jener Epoche, in der das Kino die wichtigste | |
| aller Künste war. | |
| Dank der frühen Filme ist Godard im Bewusstsein der Kinofans bis heute eine | |
| Legende. Sie sind wie wenig anderes Allgemeingut der westlichen Kunst der | |
| Nachkriegszeit. Ein kommerzieller Publikumserfolg waren sie freilich in der | |
| Mehrzahl damals schon nicht. Die Filme der Siebziger kennen heute beinahe | |
| nur die Spezialisten. Und was danach kam, sei es an Witz und Gedanken und | |
| Kühnheit der Form noch so reich - ein absurd verspieltes Unding etwa wie | |
| "King Lear" mit Norman Mailer, Godard selbst, Woody Allen -, gilt heute | |
| vielen als unzugänglich. Dabei hätte eine kontrafaktische Geschichte des | |
| Kinos als Kunst, die ihre Potenziale mit aller Anstrengung auszuschöpfen | |
| versucht, einen einzigen großen Protagonisten: JeanLuc Cinéma Godard, der | |
| in seiner Person eine ganze Außenseiterbande des Kinos vereint. | |
| 2 Dec 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
| ## TAGS | |
| Jean-Luc Godard | |
| Regisseur | |
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