# taz.de -- Pflegewissenschaftler über Betreuung: "Mehr als Löffel hinhalten" | |
> Bei Pflegekräften droht ein dramatischer Personalmangel. Ihre | |
> Arbeitsbedingungen müssen deshalb deutlich verbessert werden, sagt | |
> Pflegewissenschaftler Michael Isfort. | |
Bild: Pflege ist mehr, als nur den Löffel hinzuhalten. | |
taz: Herr Isfort, 2025 werden in Deutschland 152.000 Alten- und | |
Krankenpfleger fehlen, sagt das Statistische Bundesamt. Hat die Politik | |
geschlafen? | |
Michael Isfort: Der Pflegegipfel ist überfällig. Jahrelang wurde nur über | |
die Finanzierung gesprochen, nicht aber darüber, wer die Arbeit machen | |
soll. | |
Woran liegt das? | |
Es gibt keine systematischen Konzepte, wie man die Pflegeausbildungen so | |
finanzieren kann, dass sie zukunftssicher sind. Die Altenpflegeausbildung | |
wird meist auf Landesebene finanziert, die Krankenpflegeausbildung dagegen | |
über Kassenbeiträge. Die Ausbildung kann nicht Aufgabe einzelner Länder | |
oder Träger bleiben. Das ist eine nationale Frage. | |
Altenpfleger klagen, dass sie nicht im Krankenhaus arbeiten können und | |
umgekehrt. | |
Viel spricht dafür, die beiden Berufe zusammenzulegen - zugunsten von mehr | |
Flexibilität. | |
Brauchen wir Geringqualifizierte, um dem Notstand zu begegnen? | |
Diese Lösungsangebote sind politische Reflexe und Ausdruck von | |
Ahnungslosigkeit. Oft werden arbeitsmarktpolitische Interessen mit den | |
Notwendigkeiten in der Praxis verwechselt. Wir brauchen vor allem | |
qualifizierte Kräfte, die komplexen Situationen gewachsen sind. | |
Einen Menschen zu füttern, wofür viele Pflegende keine Zeit haben, ist | |
nicht komplex. | |
Wer einem Patienten mit Schlaganfall und Schluckstörungen beim Essen helfen | |
will, sollte Techniken und Risiken kennen. Das ist mehr, als einen Löffel | |
hinzuhalten. | |
Schon heute sind viele Stellen nicht besetzt. Warum? | |
Eine alleinige Erhöhung des Lohns wird nicht ausreichen. Die | |
Arbeitsbedingungen müssen sich ändern. In den Krankenhäusern wurden in zehn | |
Jahren 50.000 Pflegekräfte eingespart. Es geht längst nicht mehr um | |
fehlende Zeit zum Zuhören. Die Pflegenden können notwendige Dinge nicht | |
mehr ausreichend oft ausführen, wie regelmäßiges Lagern und Mobilisieren | |
von Patienten. Wenn die Schere weiter aufgeht zwischen dem, was | |
professionell notwendig erscheint, und dem, was realisierbar ist, werden | |
immer weniger Menschen diesen Beruf ausüben. | |
Pflegestandard und -leistung werden sinken? | |
Den hohen Standard werden wir ohne zusätzliche Finanzierung und ohne | |
zusätzliches Personal nicht halten können. Die Generation, die heute alt | |
ist, spart, um zu vererben. Künftige Generationen werden eigenes Geld für | |
gute Pflege ausgeben müssen. Sorgen machen muss man sich um die, die das | |
nicht können. Das Sozialproblem der Zukunft heißt nicht Arbeitslosigkeit, | |
sondern Pflegebedürftigkeit. | |
8 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## TAGS | |
Migration | |
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