# taz.de -- Europas Umgang mit den Finanznöten: Durchwurschteln durch die Krise | |
> Rettungspakete hin, rigorose Sparmaßnahmen her: Das Krisenmanagement der | |
> EU funktioniert bisher nur bedingt. Die Märkte beruhigen sich nicht. | |
> Woran liegt das? | |
Bild: Seit Dienstag stehen die Iren unter dem Rettungsschirm der EU. Das kommt … | |
Alles wird gut - nach diesem Motto wird gerade in der EU Krisenpolitik | |
betrieben. Irland hat diese Woche ein 85-Milliarden-Euro-Rettungspaket von | |
EU und Internationalem Währungsfonds bekommen und zudem einen brutalen | |
Sparhaushalt verabschiedet. Ein Stabilisierungsmechanismus für Krisenländer | |
ist beschlossen, der ab dem Jahr 2013 zumindest eine freiwillige | |
Beteiligung der Gläubiger an den Kosten vorsieht. Bis dahin sei der | |
Rettungsschirm für kriselnde EU-Länder mit 750 Milliarden Euro völlig | |
ausreichend, verlautbarten am Dienstag die EU-Finanzminister. | |
Das Problem ist nur: Das Krisenmanagement der EU funktioniert nicht. Auf | |
den Finanzmärkten will sich die erhoffte Beruhigung einfach nicht | |
einstellen. Portugal sehen die Investoren schon kurz vor dem Bankrott, und | |
nicht nur Spanien, sondern auch Italien und Belgien gelten als | |
Wackelkandidaten. | |
Sie verlangen deshalb immer höhere Risikoaufschläge, sodass die Zinsen für | |
die Staatsanleihen der Krisenstaaten wieder so hoch sind wie zum Höhepunkt | |
der Griechenlandkrise im Mai. Die nötige Kreditaufnahme wird für die | |
betroffenen Staaten also immer teurer. Woran liegt das? | |
Zum einen trägt der andauernde Streit in Brüssel über die richtige | |
Strategie nicht gerade zur Beruhigung auf den Märkten bei. Zum anderen sind | |
die Sparhaushalte, mit denen Griechenland, Irland, Portugal und Spanien | |
gegen die Eurokrise anzusparen versuchen, eher kontraproduktiv. | |
So belaufen sich die Anfang der Woche in Irland beschlossenen | |
Haushaltskürzungen, die vor allem Arbeitslose, Rentner, Studenten und | |
andere sozial schwache Gruppen hart treffen, auf gerade einmal 15 | |
Milliarden Euro in vier Jahren - angesichts einer Gesamtverschuldung von | |
105 Milliarden Euro ist das nicht mehr als der Betrag, der für die Zinsen | |
fällig wird. | |
Die Einsparungen sind somit zwar zu klein, um den Schuldenberg abzutragen, | |
aber groß genug, um die Nachfrage und damit die Konjunktur abzuwürgen. | |
Detlev von Larcher von der globalisierungskritischen Organisation Attac | |
kritisiert die Dominanz der Finanzmärkte über die Politik: "Die sozial | |
Schwachen baden das durch die rigide Sparpolitik der Regierungen aus" - | |
während die Gläubiger, vor allem Banken und Fonds, keinerlei Abstriche an | |
ihren Forderungen hinzunehmen bereit seien. | |
Bislang hat die EU nicht viel mehr getan, als mithilfe des Rettungsschirms | |
die Zahlungsunfähigkeit der betroffenen Staaten zu verhindern und so Zeit | |
zu gewinnen. Denn die Zahlungsunfähigkeit hätte unabsehbare Konsequenzen | |
für die Gläubiger. | |
Die Europäische Zentralbank kauft unterdessen weiter Anleihen der | |
Krisenstaaten auf und agiert so als eine Art Bad Bank für Staatspapiere. | |
Eine erneute Bankenkrise mag so verhindert werden, doch wofür die gewonnene | |
Zeit genutzt wird, ist unklar. Die Schuldenkrise jedenfalls wird nicht | |
angegangen. Im Gegenteil, der Schuldenberg wächst durch die Notkredite | |
weiter. | |
Allein für die Zeit nach dem Rettungsschirm, also ab 2013, hat die EU eine | |
Regelung gefunden. Der neue Mechanismus für Krisenfälle sieht zunächst eine | |
"Schuldentragfähigkeitsanalyse" vor. Kommt diese zu dem Ergebnis, dass ein | |
Land nur einen vorübergehenden Liquiditätsengpass hat, sollen die privaten | |
Gläubiger freiwillig längere Rückzahlungsfristen für die Anleihen anbieten. | |
Nur wenn die EU zu dem Schluss kommt, dass ein Land wahrhaftig | |
zahlungsunfähig ist, kann zu härteren Maßnahmen gegriffen werden: Dann soll | |
das Land zwar wie bisher Geld aus einem Rettungsfonds erhalten, aber nur, | |
wenn die privaten Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. | |
Sie müssten also Verluste akzeptieren. Das wäre dann der berüchtigte | |
"Haircut". | |
Diese Neuregelung ist allein dem Druck Deutschlands geschuldet, das gerade | |
zehn Milliarden Euro an Garantien für Irland springen ließ und das als | |
größte Volkswirtschaft der EU wohl auch künftig einen erheblichen Teil der | |
Rettungspakete übernehmen übernehmen muss. Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
wollte durch die Neuregelung ihren Steuerzahlern und Wählern signalisieren, | |
dass sie nicht allein für die Risiken geradestehen müssen, während sich die | |
privaten Gläubiger gemütlich darauf ausruhen können, ihr Geld zu bekommen. | |
Die Gründe sind nachvollziehbar, die Wirkung aber war verheerend. Allein | |
schon die Aussicht auf einen Haircut brachte die Märkte an den Rand einer | |
Panik und die Zinsen auf neue Höchststände. | |
Was aber ist langfristig nötig, um das Schuldenproblem zu lösen? Die | |
einfachste Lösung, auf die viele EU-Politiker hoffen, wäre ein hohes | |
Wirtschaftswachstum, das die Abzahlung der Schulden ermöglicht. Doch die | |
Hoffnung dürfte vergeblich sein. Die allerorten beschlossenen | |
Ausgabenkürzungsprogramme schließen solch einen Wachstumsschub so gut wie | |
aus. | |
Weitere Hilfspakete bringen für die langfristige Problemlösung also nichts, | |
wie übrigens auch ein Austritt der Krisenländer aus der Eurozone nichts | |
bringen würde. Denn dann könnten diese zwar mithilfe realistischerer | |
Wechselkurse ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zurückgewinnen. | |
Aber die dann einsetzende Wirtschafts- und Finanzkrise in den betroffenen | |
Länder dürfte auch den Rest der EU nicht unberührt lassen. | |
Der Austritt würde ohnehin keine Lösung darstellen. Die Schulden der | |
betroffenen Länder würden schließlich weiter auf Euro lauten, aber ihre | |
Abzahlung mit den nunmehr kräftig abgewerteten griechischen Drachmen oder | |
portugiesischen Escudos wäre noch schwieriger als zuvor. | |
Plan B besteht aus einer drastischen Reduzierung der Schulden. Möglich wäre | |
das etwa durch eine hohe Inflation, denn mit dem Geld werden die Schulden | |
entwertet. Zudem ist Inflation mit hohen Risiken verbunden. So verlieren | |
die Ersparnisse der Bürger ihren Wert, was Merkel offenbar erkannt hat. | |
Ihre Forderung nach einer Gläubigerhaftung, die sich in ihren Grundzügen im | |
neuen Krisenmechanismus wiederfindet, ist richtig und unumgänglich. Das | |
Problem an der deutschen Initiative war nicht der Inhalt, sondern das | |
Timing. Sie kam gerade zu der Zeit, als Irland besonders wackelig dastand. | |
Auf den Märkten aber ist nichts so verhasst wie Unsicherheit. | |
Weniger riskant und damit die wahrscheinlichste Variante ist der gezielte | |
Abbau der Schulden durch einen zumindest teilweisen Schuldenerlass. | |
Andernfalls müssten die reicheren Eurostaaten die ärmeren auf Dauer mit | |
Finanzspritzen am Leben halten. "Das Endspiel wird höchstwahrscheinlich | |
eine Welle von Schuldenabschreibungen mit sich bringen - ähnlich denen, die | |
die lateinamerikanische Schuldenkrise in den Achtzigerjahren beendeten", | |
schreibt der Harvard-Ökonom und ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen | |
Währungsfonds, Kenneth Rogoff in der Financial Times Deutschland. | |
Und Georg Erber vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ergänzt: | |
"Je rascher man sich in das Unvermeidliche fügen würde, je rascher könnte | |
es zu einem Ende der Krise der Eurozone kommen." | |
Die Empörung der französischen Finanzministerin Christine Lagarde darüber, | |
dass nun spanische Schulden schlechter bewertet werden als etwa die von | |
Pakistan, ist da zwar verständlich, aber auch naiv. Denn auf den Märkten | |
spielen Ängste und Erwartungen eine ebenso große Rolle wie harte | |
ökonomische Fakten. | |
Da ist es dann egal, dass die USA mit 93 Prozent des Bruttoinlandsprodukts | |
genauso hohe Schulden angehäuft haben wie Irland, dass Japan im Verhältnis | |
zu seiner Wirtschaftsleistung sogar fast doppelt so hoch verschuldet ist | |
wie Griechenland und dass das britische Haushaltsdefizit von 11,5 Prozent | |
des Bruttoinlandsprodukts deutlich über dem portugiesischen von 9,4 Prozent | |
liegt. | |
10 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Nicola Liebert | |
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