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# taz.de -- Tom Tykwer über Dreierbeziehungen: "Ankommen finden wir scheiße"
> Major Tom Tykwer lotet in seinem neuen Film "Drei" Vor- und Nachteile
> einer Menage à trois aus. Letztlich dreht sich der Film vor allem ums
> Leiden am Erwachsensein.
Bild: Die Nähe der Zweisamkeit ist hier nur gefühlt, beide Männer lieben au�…
taz: Herr Tykwer, zu Beginn bekommt Ihr Filmpaar eine ziemliche Breitseite
verpasst. Die beiden sitzen im Kino, können der Handlung nicht mehr folgen
und fragen sich nicht ohne Selbstironie, ob sie vielleicht zu alt fürs Kino
seien …
Tom Tykwer: … und dann dreht sich ein Zuschauer um und sagt: "Wollt ihr
nicht zu Hause weiter meckern, Omi, Opi."
In diesem Augenblick hat man das Gefühl, dass sich Simon und Hanna ihrer
paarundvierzig Jahre plötzlich bewusst werden. Dass sie von außen
betrachtet älter oder erwachsener wirken, als sie wahrhaben möchten.
Es ist die einzige Szene, in der das konkret angesprochen wird. Ich muss
mich ja selber immer wieder fragen, von welchen Leuten dieser Film
überhaupt handelt. Natürlich fokussiert er eine gewisse Altersgruppe, aber
tatsächlich geht es um Menschen, die mit dem Zustand des Erwachsenenseins
regelmäßig krisenhaft umgehen. Die mit den gesellschaftlichen und sozialen
Zuschreibungen nicht umgehen wollen, die man von außen aufgedrückt bekommt.
Du arbeitest in diesem Beruf, bist mit dem und dem zusammen, triffst dich
mit diesen und jenen Leuten, also bist du das und das und eben erwachsen.
Diese Festlegung empfinden wir als Stillstand. Da kann dein Beruf, dein
Umfeld noch so interessant sein. Erwachsensein bedeutet, dass du irgendwo
angekommen bist. Das finden wir scheiße.
Kurz nach der Kinoszene hört man auch schon David Bowies Song "Major Tom",
der ziemlich gut, aber auch mit einem kleinen Augenzwinkern den
Gemütszustand Ihrer Helden trifft.
Weil es ein Stück über jemanden ist, der wegschwebt von allem, der die
Verbindung zur Erde ganz verliert und höchstwahrscheinlich eine Art
Sehnsuchts- und Projektionsfigur ist. Wir wollten damit den
quintessenziellen Song finden für diejenigen, die unter dem Label des
Erwachsenseins leiden. Und es ist ein Stück, das fast jede Altersgruppe
cool findet. Jeder kennt es, obwohl es 40 Jahre alt ist. Man bezieht sich
emotional auf den Text, ohne unbedingt den Kontext der
Entstehungsgeschichte zu kennen, die ja auf Bowies Drogenerfahrung
zurückgeht. Dieser Song wird vielmehr als eine Möglichkeit zum Wegfliegen
wahrgenommen. Als ein Gefühl des Ungebundenseins. Wir schweben und es sind
noch alle Möglichkeiten offen.
Schon kommt der Dritte im Bunde angeschwebt, fast wie eine Erscheinung aus
dem Nichts. Er wird auch die Festlegung als Paar in Frage stellen und trägt
den bedeutungsschweren Namen Adam. Beginnt nun eine neue Erzählung?
Die Namen, das sind so Schnapsideen, die einem beim Schreiben kommen und
die man dann behält, weil einem auch nichts Besseres einfällt. Ich habe gar
keinen großen Bezug dazu. Aber es entsteht so doch ein höheres
Kohärenzgefühl. Natürlich ist dieser Adam eine Figur, die in den Film wie
ein Mirakel eintritt, eine Projektionsfigur, an der sich Hanna und Simon im
positiven Sinne abarbeiten. Er will ja auch diese Fläche sein, will ein
Geheimnis um sich bauen, um ein offeneres Lebensmodell fahren zu können. Er
betreibt den Rückzug von allen Verbindlichkeiten und verweigert sich auch
ganz offensichtlich durch seine Kleidung und Einrichtung jeglicher
Zuordnung. Aber der Film, der ja nicht zufällig "Drei" heißt, trifft die
sehr bewusste Entscheidung, sich um alle drei Figuren auch zu kümmern.
Deshalb wird Adam innerhalb seiner eigenen Fiktion eine Figur aus Fleisch
und Blut. Er kriegt ja fast mehr Historie, Wurzeln und Hintergrund als alle
anderen und wird dadurch irgendwann zum Mitspieler.
Zum Mitspieler in einem Film, der auch eine Komödie ist und der mit seinem
Tonfall an die Hollywood-Screwball-Comedys der 1930er und 1940er Jahre
erinnert.
Ohne dass wir uns jetzt noch einmal die Filme von Preston Sturges oder
Ernst Lubitsch angeschaut haben, nehmen wir natürlich Bezug darauf. Aber
das hängt auch mit Sophie Rois zusammen, die so unglaublich auf die Tube
drücken kann, die ein wunderbares Timing und Tempo hat. Man kann für sie
einfach tolle, aberwitzige Texte bauen, die sie sich ummoduliert, dass sie
runtergehen wie Butter. Obwohl sie sich furchtbar kryptisch lesen. Schaut
man sich zum Beispiel die Drehbücher von Sturges an, nehmen die Dialoge
teilweise halbe Seiten ein, werden aber in 10 Sekunden runtergespult. Wenn
das jemand wie Sophie kann, vermag sie die anderen und auch das Publikum
mitzureißen. Dieser Film möchte eben auch unterhalten, ohne sich dabei vor
den anstrengenden Sachen zu verstecken.
Die Dreicksbeziehung ist ja ein Thema, das der Screwball-Comedy auch nicht
ganz unbekannt war. Wie dieses Genre überhaupt seiner Zeit voraus war - man
muss nur an die Männer in Frauenkleidung, an den Geschlechterdiskurs
innerhalb dieser Komödien denken.
Die Geschlechterfragen, das Spiel mit den Identitäten, die grundsätzliche
sexuelle Debatte, die die ganze Zeit auch in unserem Film mitschwingt,
faszinieren mich einfach. Auf allen Ebenen, deshalb besuchen Hanna und Adam
auch Robert Wilsons Inszenierung von Shakespeares "Sonetts" - auch dort
ging es um die Auflösung der Geschlechter. Danach ist Adam mit einer
Schauspielerin verabredet, die einen Mann spielt. Noch dazu arbeitet er in
der Stammzellenforschung. Das alles spiegelt unsere widersprüchliche Zeit.
Philosophie und Forschung sind im Themenbereich der Genderfragen sehr weit
fortgeschritten, doch unsere Alltagskultur wird wieder repressiver und
konservativer. Das ist sicher ein sehr schleichender Prozess, der mir durch
den Film aber bewusster geworden ist, als etwas, was uns alle wieder
eingeholt hat. Die bürgerliche Kleinfamilie ist wieder ins Zentrum aller
Planungen gerückt.
In manchen Momenten versuchen Sie, die Geschlechterdebatte auch zu
theoretisieren. Etwa in der Talkshow, wenn der weibliche Studiogast sich
auf Judith Butler bezieht. Ich fühlte mich in diesen Momenten ein wenig
belehrt.
Ich frage mich, warum solche Texte im Kino so schnell Aversionen auslösen.
Denken spielt in diesem Film eine große Rolle. Das passiert nicht alles aus
Instinkt, das sind doch Leute, die sich eben auch intellektuell mit
Gegenwartsfragen auseinandersetzen. Das schießt doch nicht nur so rein,
sondern gehört zu ihrer Persönlichkeit. Ich würde gerne den Widerstand
gegen so was aufbrechen, weil solche Gespräche doch auch zu unserem Alltag
gehören. Man spürt, dass sich die Figuren in diesem Diskurs zu Hause
fühlen, dass sie von dieser Sprachlichkeit nicht überfordert sind. Im
Gegenteil, es findet auf ihrer Augenhöhe statt. So wird das Thema für mich
spielerisch auf eine andere Ebene gebracht, und eine Art Überbau entsteht.
Oder umgekehrt. Man befindet sich gerade in einer bestimmten Situation,
denkt über gewisse Fragen nach, wie Hanna und Simon über ihr Lebensmodell,
und plötzlich korrespondiert alles mit diesem Thema. Man geht ins Theater,
liest ein Buch und findet überall Parallelen zu sich selbst.
Deshalb verschlägt es der von Sophie Rois gespielten Talkmasterin mitten in
ihrer Sendung plötzlich die Sprache, weil sie sich mit ihrer eigenen
Lebenssituation konfrontiert sieht?
"Drei" ist von einem optimistischen Grundton getragen. Dennoch sind wir
alle entspannt genug, um mit einem eher spielerischen Zugang zu den
Möglichkeiten unserer Lebensweise umgehen zu können. Der Film will sich dem
unangestrengt annähern, aber trotzdem keine Typen zeigen, die unheimlich
locker sind, alles so cool draufhaben. Die drei Figuren sind ja auch
gestresst, aus Gründen, die ich sehr nachvollziehbar finde. Es ist ja nicht
so, dass ich das Monogamieversprechen absurd finde. Ich bin persönlich
damit einverstanden, und in unserer Sozialisierung ist es doch die einzige
Verabredung, mit der wir umgehen können. Dennoch möchte der Film eine
gewisse Stimulanz bewirken. Den Figuren widerfährt da einfach etwas. Sie
probieren etwas aus, riskieren Dinge und geraten dadurch in Situationen,
für die wir, glaube ich, ins Kino gehen.
Also ist "Drei" kein Botschaftsfilm für die Menage à trois …
Nein. Aber es ist ein Wahnsinn, wie häufig ich direkt am Anfang von
Interviews gefragt werde, ob wir jetzt alle Dreierbeziehungen machen
sollten. Der Film ist ein Fragezeichen, ein hoffentlich amüsantes. Und der
dramaturgische Höhepunkt ist, wenn die drei sich wirklich begegnen. Alles,
was danach kommt, ist ein hoffnungsvoller Epilog.
19 Dec 2010
## AUTOREN
Anke Leweke
## TAGS
Deutscher Film
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