# taz.de -- Ärztemangel auf dem Land: Gemeinden ködern Ärzte mit Vorkasse | |
> Lockangebot für Landärzte: Kommunen in Ostdeutschland fördern | |
> Medizinstudenten mit Stipendien - wenn diese versprechen, auf dem Land zu | |
> arbeiten. | |
Bild: Ärzte drohen, auf dem Land zu einer Rarität zu werden. | |
An manchen Tagen ist die Praxis von Tina Lutsch im brandenburgischen | |
Niemegk so voll, dass Patienten schon mal drei Stunden warten müssen. Wen | |
soll ich zuerst drannehmen, fragt sich die Allgemeinärztin dann: "Die Frau, | |
die gerade gekommen ist, aber hohes Fieber hat? Oder den Mann, der einen | |
Termin hatte?" | |
Wie sich die Ärztin auch entscheidet, irgendjemand fühlt sich immer | |
benachteiligt. Aber die Patienten sind auf Tina Lutsch angewiesen. Sie ist | |
neben einer Kollegin, einer Spezialistin für Diabetes, die einzige | |
Medizinerin in dem Ort mit 2.000 Einwohnern. | |
500 Euro Bleibeprämie Das ist das Problem: Während in den Städten junge | |
MedizinerInnen nach freien Stellen suchen, gibt es auf dem Land immer | |
weniger Ärzte. Bundesweit könnten nach Schätzungen der Kassenärztlichen | |
Vereinigung 3.600 Stellen auf dem Land sofort besetzt werden. | |
Am heftigsten betroffen vom Landärztemangel ist Brandenburg. Jetzt wollen | |
verschiedene Landkreise und Kliniken in Brandenburg dagegen etwas tun. Das | |
Klinikum Niederlausitz im brandenburgischen Senftenberg zum Beispiel | |
vergibt künftig Stipendien für MedizinstudentInnen, die zuvor Mitarbeiter | |
waren. Und wer sich im Elbe-Elster-Kreis dazu verpflichtet, nach seinem | |
Medizinstudium und der fünfjährigen Facharztausbildung für mindestens vier | |
Jahre im Landkreis zu arbeiten, bekommt ab sofort ein Stipendium: 500 Euro | |
jeden Monat bis zum Ende des Studiums. | |
Vor Kurzem haben die ersten fünf Studierenden den Fördervertrag | |
unterschrieben, 23 hatten sich beworben. "Wir investieren in unsere | |
Zukunft", preist Landrat Christian Jaschinski (CDU) sein Programm. 2017 | |
werden die jungen Leute als Ärzte in den Landkreis zurückkommen. | |
Sandra Mundt ist eine von ihnen. Die 28-Jährige studiert in Halle in | |
Sachsen-Anhalt, sie will Anästhesistin oder Ärztin für Innere Medizin | |
werden. Sie kommt aus dem brandenburgischen Finsterwalde und hat damit | |
einen Standortvorteil: Sie kennt jede Straße hier und viele Leute kennen | |
sie. Und Mundt hat bis vor vier Jahren am Elbe-Elster-Klinikum gearbeitet, | |
das für das Stipendium wirbt. Die "Nähe zur Region" war ein | |
Auswahlkriterium für das Stipendium. | |
"Ich finde es reizvoll, Landärztin zu sein", sagt Sandra Mundt: "Ich | |
verstehe nicht, warum andere sich so dagegen sträuben." Sie überlegt, | |
bereits ihre Facharztausbildung in Finsterwalde zu absolvieren. Hält sie | |
ihren Vertrag nicht ein, muss sie das gesamte Geld zurückzahlen. | |
Ähnliche Programm gibt es in sächsischen Kliniken und in Sachsen-Anhalt. In | |
zehn Jahren wird in Sachsen-Anhalt laut Landesstatistik fast die Hälfte der | |
ÄrztInnen 64 Jahre und älter sein. Um den MedizinerInnenmangel aufzufangen, | |
stellen das Land, die Krankenkasse AOK und die Kassenärztliche Vereinigung | |
bis 2013 rund 900.000 Euro zur Verfügung. Sie vergeben Stipendien von bis | |
zu 700 Euro monatlich an Studierende. | |
Anzeige im "Ärzteblatt" Tina Lutsch in Niemegk hätte gern jetzt schon eine | |
Kollegin oder einen Kollegen mit in ihrer Praxis. Aber sie findet | |
niemanden, der in Niemegk arbeiten will. Vor einem Jahr hat sie eine | |
Anzeige im Deutschen Ärzteblatt aufgegeben: "Suche Assistenzarzt". Aber | |
niemand reagierte darauf: keine Bewerbung traf ein, es gab nicht einmal | |
einen Anruf. Jetzt hat sie eine vierte Praxisschwester eingestellt. Ihre | |
Mitarbeiterinnen nehmen Blut ab, führen Vorgespräche mit den Patienten und | |
fahren zu Leuten nach Hause. Denn wenn Tina Lutsch alleine "auf Tour" gehen | |
würde, bräuchte sie ihre Praxis gar nicht mehr zu öffnen. | |
21 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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