# taz.de -- US-Firmen stellen Netzneutralität in Frage: Datendemokratie ade? | |
> Bislang ging es im Streit um Netzneutralität hauptsächlich um Theorie. | |
> Eine Präsentation zweier Mobilnetzdienstleister zeigt, wie die Praxis | |
> aussehen könnte. | |
Bild: Zwei Netze - zwei Modelle? | |
Die Frage der [1][Netzneutralität] beschäftigt Internetnutzer nur am Rande. | |
Selbst Fachleute haben oft Probleme mit der Erklärung, warum es wichtig | |
ist, dass Provider alle Inhalte gleich behandeln sollen - denn in der | |
Praxis ist das ja momentan noch so. Eine Präsentation zweier | |
Telekomdienstleister zeigt nun erstmals plastisch, welche Visionen | |
Netzbetreiber haben, die ein Ende der Datendemokratie herbeisehnen. | |
Das IT-Magazin Wired hat das [2][Papier aufgetan], das bislang nur Insidern | |
zugänglich war. Für Internetnutzer ist es nicht weniger als eine | |
Horrorvision. Die Präsentation stammt von den US-Firmen Allot | |
Communications und Openet, die Software anbieten, mit der Mobilfunkfirmen | |
ihre Netzinfrastruktur kontrollieren können. Dabei handelt es sich um | |
Programme, mit denen der Provider zum Beispiel das Tempo durchzuleitender | |
Daten verlangsamen oder höhere Tarife für zusätzliche Megabytes verlangen | |
kann. | |
Openet arbeitet von AT&T bis Turkcell mit zahlreichen Großkunden in aller | |
Welt zusammen. Diesen Mobilfunkunternehmen droht ein gemeinsames Schicksal: | |
Das Internet degradiert sie zur schlichten Datenleitung ("dumb pipe"). | |
Horrende Preise für Telefongespräche oder den Abruf von E-Mails können die | |
Firmen nicht mehr verlangen, auch die Roaming-Gebühren werden günstiger. | |
Neue Modelle müssen her, damit die Profite auch in Zukunft stimmen. | |
Allot und Openet sprechen in ihrer Präsentation von "OTT Monetizing and | |
Controlling". OTT steht für "Over The Top" - Dinge, die Mobilfunkanbieter | |
derzeit nicht kontrollieren können. Wenn es nach der Präsentation geht, | |
wird aus dem drahtlosen Internet künftig ein Bezahlnetz: Mit Hilfe der | |
sogenannten "Deep Packet Inspection" (DPI) soll festgestellt werden, wer wo | |
und wie mobil im Netz surft. DPI bedeutet, dass der Provider in jedes | |
Datenpaket des Kunden hineinschauen darf. In einer Grafik sind die | |
Netzbetreiber als arme, gebeutelte Firmen dargestellt, die an den | |
Datenpaketen von Facebook, Skype oder YouTube schwer zu tragen haben. | |
Eine andere [3][Grafik] demonstriert, wie sich das möglicherweise ändern | |
ließe. Dank "Policy Enforcement & Charging", der Kontrolle und Abrechnung | |
von Kundendaten, könnte ein Zugang zu Facebook zwei Cent pro Megabyte, zu | |
Skype drei Euro im Monat und zu YouTube 50 Cent im Monat kosten. Jede | |
Website, die ein Kunde ansteuert, könnte auf diese Weise Geld einbringen - | |
direkt im Mobilfunknetz und über die Telefonrechnung. | |
Auch an Anbieter digitaler Inhalte hat man bei Allot und Openet gedacht. | |
iTunes etwa könnte Kunden Vorschauen von Filmen liefern. Mietet oder kauft | |
jemand den Film, würden die Einnahmen geteilt. | |
Noch ist die Idee von Openet und Allot nur das - eine Idee. Technisch ließe | |
sie sich aber problemlos realisieren. Die beiden unabhängigen Firmen haben | |
sich zur Vermarktung zusammengetan. Nun muss sich nur noch ein | |
Mobilnetzbetreiber vorwagen und schon wäre das Ende der Netzneutralität | |
eingeleitet. Die Technologie der OTT-Präsentation muss zudem nicht aufs | |
Drahtlos-Internet beschränkt bleiben, auch DSL- und Kabelnetz-Anschlüsse | |
könnten eine entsprechende Software verpasst bekommen. | |
Die Regulierungsbehörden in den USA und in Deutschland unternehmen bisher | |
wenig, um die Netzneutralität zu schützen. Zwar sollen in den USA alle | |
Inhalte im Internet gleich behandelt werden, Mobilfunknetze könnten aus | |
einer Regulierung jedoch herausfallen. | |
Ironie des Schicksals: Die in der OTT-Präsentation enthaltenen Vorschläge | |
ähneln [4][einer Grafik], mit der Bürgerrechtler vor einem Jahr für | |
Netzneutralität warben - indem sie eine Horrorvision aufzeigten. In der | |
Grafik ist die Fantasie-Werbung eines Providers zu sehen, in der Kunden | |
einzelne Kanäle kostenpflichtig freizuschalten haben. Für fünf Dollar gibt | |
es Google und Wikipedia, weitere 5 Dollar erlauben den Zugang zu "über 200 | |
Nachrichtenseiten". | |
21 Dec 2010 | |
## LINKS | |
[1] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/netzneutralitaet-in-deutschland-bedroht/ | |
[2] http://www.wired.com/epicenter/2010/12/carriers-net-neutrality-tiers/all/1 | |
[3] http://www.wired.com/images_blogs/epicenter/2010/12/dpi_integrated.gif | |
[4] http://i.imgur.com/5RrWm.png | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
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