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# taz.de -- STADTRUNDGANG: Engel brauchen keine Flügel
> Das öffentliche Auftreten des Engels in unserer Stadt ist erschreckend
> profan. Und doch verweisen sie nur auf die Sehnsucht nach den Boten des
> Lichtes.
Bild: Wacher Blick seit 1905: der Engel an der Bremer Bank am Domshof
An der Ecke der altehrwürdigen Bremer Bank, an der heute die Reklame der
Commerzbank leuchtet, blickt eines dieser "Jahresend-Flügeltiere", wie sie
im realen Sozialismus verschämt genannt wurden, auf den Vorbeigehenden
herab. Barbusig und mit nacktem Bauch. Das Besondere an diesem Engel sind
aber die Augen, 1905 in Stein gehauen und noch heute lebendig, wenn sie den
eilig vorbeihastenden Geldwechslern in leicht erotischer Weise zublinzeln.
Der Engel an der Bank ist eine der Stationen, die Ottmar Hinz vom
Evangelischen Bildungswerk bei seiner "Engels-Stadtführung" besucht. Was
will uns dieser Engel sagen? "Kauf mich" vermutlich, wie die deutlich
kitschigeren Exemplare auf dem Weihnachtsmarkt. Mit seinem unschuldigen
Kindergesicht steht dieser Engel eher in der bildlichen Tradition der
Amoretten. In seinem Blickfeld ist übrigens der Spuckstein für die
Giftmörderin Gesche Gottfried, wegen ihrer mildtätigen Art lange "Engel von
Bremen" genannt.
Für den theologisch bewanderten Hinz sind Engel Hinweise auf eine "ganz
andere Dimension", sie werden aufgerufen, wenn Menschen ungläubig vor einer
Situation stehen und nicht mehr weiter wissen. Das scheint heute ganz aus
der Mode gekommen zu sein - Hinz erzählt deswegen gern die alten
Geschichten aus der Bibel, in der Engel noch richtige "Boten" des
Gotteslichtes waren, so der alte ägyptische und griechische Wortstamm von
"angolos". Dietrich Bonhoeffers in der Kerkerzelle geschriebene Verse "Von
guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so
will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr"
sind für den Theologen solche aktuellen Engels-Botschaften.
Wo sich Engel in der Bremer Innenstadt öffentlich zeigen, haben sie davon
wenig. Der größte Bremer "Engel" strahlt in Gold am nördlichen Eingang zur
Böttcherstraße. Er versinnbildlicht Ludwig Roselius verquaste Idee eines
germanischen Christentums: St. Michael ist dort dargestellt, der
Lichtbringer mit dem Schwert, der die jüdische Schlange besiegt hat, also
auch ein Sinnbild für Adolf Hitler und entsprechend bejubelt von vielen
kleinen Hitlergruß-Männchen.
Jede Zeit hat die Engel, die sie verdient. Die Christenheit wehrte sich
übrigens schon früh gegen die Flut der Engel. Das Konzil von Laodicea
untersagte im Jahre 363 das Anrufen von Engeln außerhalb öffentlicher
Gottesdienste. Nur die Erzengel Michael, Gabriel und Raphael sollten beim
Namen genannt werden dürfen. Die Anbetung tröstender persönlicher
Schutzengel mochte man gleichwohl nicht verdammen. Das Konzil blieb
wirkungslos. Im 8. Jahrhundert versuchte Papst Zacharias die Engel mit dem
Argument zurückzudrängen, dass alle Verehrung alleine Gott gebühre. Thomas
von Aquin argumentierte in derselben Zeit in seiner Abhandlung über das
Wesen der Engel: "Der Engel bedarf nicht des Körpers, da seine Kraft alle
Kraft des Körpers übersteigt. Also nimmt der Engel keinen Körper an." Es
nutzte bekanntlich nichts.
Selbst der Bremer Roland hat einen Engel - auf seiner Gürtelschnalle. Das
Symbol verweist darauf, so erklärt Hinz, dass der Roland auch als Märtyrer
verehrt wurde, als im Kampf gegen die Heiden gefallener Gotteskrieger. Die
Rosen um den Engel herum stehen für das vergossene Blut.
Ein eher schlichter Engelskopf ziert das Eingangsportal zur Raths-Apotheke
am Marktplatz. Seinen Witz hat der Architekt an dem Eingang zu dem
Ärztehaus verwirklicht, das sich über der Apotheke befindet: "Neque herba
neque malacma sanavit eos sed tuus domine sermo qui sanat omnia" steht dort
im Vries, weder Kräuter noch Wickel haben euch geheilt, es ist das Wort
Gottes, das alles heilt.
Die schönste Engels-Geschichte erzählt Hinz gelegentlich bei den Bremer
Stadtmusikanten, diesem schlichten Kunstwerk in der Ecke hinter dem
Rathaus. Mit Engeln haben sie nichts am Hut, der dumme Esel muss den Rest
der Truppe schleppen. Aber die dummen Esel sind manchmal für die Botschaft
des Lichtes besonders empfänglich, erzählt das Alte Testament im 4. Buch
Moses. Der Weise Bileam war auf seinem Esel unterwegs, drei Mal stellte
sich ihm ein Engel entgegen - drei Mal schlug der Weise seinen Esel, um ihn
dazu zu treiben weiterzugehen - bis ihn der Esel auf den Boten des Lichtes
aufmerksam machte, der die beiden auf ihrem Weg stoppen wollte. "Manchmal
sind Esel eben empfänglicher für die Botschaft der Engel als die
Oberschlauen", sagt Hinz. Fast niemand bekennt sich heute zu seinem Glauben
an Engel, gleichzeitig haben sie den Alltag überschwemmt als
werbeträchtiges Etikett. Die "Bremer Suppenengel" kochen Suppe für
Obdachlose und Bedürftige, "Bremerengel" ist eine Initiative der Erika
Müller Stiftung, die mit "Dancing Highlights" zu kulinarischen
Köstlichkeiten ins Bremer Congress Centrum einlädt und dabei Geld für
schwerstkranke Kinder sammelt.
Stadtrundgang mit Ottmar Hinz zu buchen unter 0421-3461534
23 Dec 2010
## AUTOREN
Klaus Wolschner
Klaus Wolschner
## TAGS
wochentaz
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