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# taz.de -- CCC-Kongress in Berlin: "Wir brauchen mehr Nerd-Lobbyismus"
> Richtig erwachsen ist man nicht geworden, doch Besonnenheit ist Trumpf.
> Das Motto "We come in peace" hat der diesjährige CCC-Kongress jedenfalls
> bewusst gewählt.
Bild: Klischeebild ohne Dame: Besucher des 27. CCC-Kongresses.
Die Debatte um Wikileaks, Julian Assange und die Anonymous-Angriffe auf
Mastercard und Paypal mag draußen toben – beim Jahrestreffen des Chaos
Computer Clubs in Berlin gibt man sich unaufgeregt. Natürlich gibt es viel
Unterstützung für die Whistleblowerplattform und auch für die
"Cablegate"-Veröffentlichungen und natürlich erregen die scharfen
Reaktionen auf diese Veröffentlichungen Besorgnis.
Die Rache-Attacken auf Mastercard, Paypal und andere Unternehmenswebseiten
finden bei vielen der 4500 Teilnehmer des Kongresses aber wenig
Unterstützung – wie die Zustimmung für den Hacker Rop Gonggrijp bei seiner
Eröffnungsrede auf dem Kongress zeigte. "Diese ganze Anonymous-Sache geht
mir so auf die Nerven", sagte der niederlandische Hacker dort, der nach
eigenen Aussagen selbst an der Wikileaks-Veröffentlichung des berühmten
"Collateral-Murder"-Videos beteiligt war, das einen Helikopter-Einsatz im
Irak zeigt.
Bekannt ist Gonggrijp jedoch vor allem wegen seines internationalen
Einsatzes gegen Wahlcomputer. Bei seiner CCC-Keynote kritisierte er die
mangelnde Fachkundigkeit der Angriffe, vor allem aber die fehlende Reife
derer, die unter dem Gruppenlabel "Anonymous" Angriffe durchführen. In
dieser Rede, aber auch während vielen anderen Veranstaltungen am ersten Tag
des 27. Kongresses des Chaos Computer Clubs wurde klar, dass das Motto "We
come in peace" durchaus auch politisches Programm des Hackerclubs ist.
Das destruktive und teils dilettantische Vorgehen der Anonymous-Gruppe
widerspricht der Hacker-Ethik – stattdessen widmet man sich lieber
konstruktiven Hacks, etwa auf den neu eingeführten Personalausweis. Auf der
Bühne präsentierten Frank Morgner und Dominik Oepen von der Humboldt
Universität Berlin am Montagabend, wo die Schwachstellen beim neu
eingeführten Personalausweis und seinen Lesegeräten liegen. Probleme, die
sie bereits den entwickelnden Behörden und dem Innenministerium berichtet
haben.
Mit derartig besonnenen Aktionen hat sich der Chaos Computer Club in
Deutschland einen Experten-Status erarbeitet, der ihm auch politischen
Einfluss verliehen und ihn vor dem Bundesverfassungsgericht zum wichtigen
IT-Sachverständigen gemacht hat. Die Liste der Erfolge ist lang – der
Einsatzes von Wahlcomputern in Deutschland wurde verhindert, die
Vorratsdatenspeicherung gekippt.
Und so ziehen am Montag zahlreiche Netzpolitaktivisten über die Hauptbühne
der Berliner Congresshalle und fordern die Teilnehmer des Kongresses zum
Dialog mit Politikern, zur Auseinandersetzung mit EU-Richtlinien und
Gesetzestexten auf. "Wir brauchen mehr Nerd-Aktivismus", ruft Alvar Freude
vom AK Zensur bei seinem Vortrag über Netzsperren von der Bühne. Jeremie
Zimmermann von der französischen Netzbürgerrechtsgruppe "La Quadrature du
Net" betreibt vor voll besetztem Publikum Textexegese des endgültigen
ACTA-Vertragstext. Und ruft dazu auf, sich mit den Mitgliedern des
Europäischen Parlamentes in Verbindung zu setzen, um das in seinen Augen
gefährliche Anti-Piraterie-Abkommen zu kippen.
Ein Panel aus Gegnern der Vorratsdatenspeicherung forderte gar, in jedem
europäischen Land eine Anti-Vorratsdatenspeicherungs-Bewegung ähnlich dem
deutschen AK Vorrat ins Leben zu rufen, um das entsprechende Gesetz auf
europäischer Ebene endgültig zu kippen. Richtig erwachsen ist man noch
immer nicht geworden. So wird in den Gängen des CCC-Kongresses an
fliegenden Dronen gebastelt, die man Jahr für Jahr in Fernsehbeiträgen
bewundern darf. So baut man im Keller lieber Leuchtdiodenketten und schaut
sich die Vorträge per Livestream an, als sie ein Stockwerk weiter oben live
anzusehen. In der Nacht zum Dienstag wurde der FDP-Shop gehackt.
Viele der 4,500 Teilnehmer des CCC-Kongresses sehen sich als diejenigen,
die die technischen Gefahren und möglichen künftigen Entwicklungen besser
verstehen als viele, die weniger Ahnung von ihren Computern haben. Oder,
wie es Eröffnungsredner Gonggrijep treffend zusammenfasst: "Das hört sich
so an, als hätten wir, die Hacker und Geeks, alle Antworten. Wir haben sie
nicht. Aber wir haben ein paar wichtige Teile davon."
28 Dec 2010
## AUTOREN
Meike Laaff
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