# taz.de -- Das Geld eines Kontinents: Moneten fürs Monopoly spielen | |
> Ausdruck von Zugehörigkeit, Anlass für Preiserhöhungen, Rauschmittel, | |
> Sammlerobjekt: Was der Euro für die Europäer bedeutet hat - und noch | |
> bedeutet. | |
Bild: Der Euro wächst einigen Nationen über den Kopf. | |
Durch und durch deutsches Geld | |
DEUTSCHLAND: Die spannendsten Euro-Diskussionen fanden hier lange vor der | |
Bargeldeinführung statt. Beschworen wurden die "deutschen Traumata" der | |
Inflation von 1914 bis 1923, der Währungsreformen von 1948 und der "Mythos | |
D-Mark". Das war der Zungenschlag, der auch die Politik bewegte: "Um Gottes | |
willen! Den Deutschen die D-Mark wegnehmen - das machst du nicht", habe er | |
gedacht, berichtete später der CSU-Mann Theo Waigel, der als einer von | |
vielen deutschen Vätern des Euro gilt. | |
Diesen Vorsatz konnte er nicht halten, aber zumindest die deutschen | |
Tugenden fanden sich in der Gemeinschaftswährung dann doch: Unabhängigkeit | |
der Zentralbank, Stabilitätsorientierung, Sitz in Frankfurt, so Waigel. | |
"Der Euro spricht Deutsch", kommentierte die britische Sun. Seither gab es | |
hierzulande alles - je nach politischer Großwetterlage: "Teuro-Hysterie", | |
Konsumstreik, Lobpreisung des Euro als Exportfördermaßnahme für die | |
deutsche Industrie, den Vorschlag, ihn zur globalen Leitwährung | |
auszuweiten. | |
Und auch wenn sich in der aktuellen Krise angeblich doch wieder 41 Prozent | |
der Deutschen die D-Mark zurückwünschen - ernsthaft werden sie das wohl | |
nicht fordern. Dazu lieben sie die ausländischen Euro-Münzen viel zu sehr. | |
Numismatiker und Münzhändler künden von einem ungebrochenen Run auf das | |
Kleingeld vor allem aus Monaco, San Marino, dem Vatikan, aber auch aus | |
Finnland und Zypern. Die Begründung ist so einfach wie deutsch: Wer | |
ausländische Euros im Portemonnaie hat, zeigt, dass sein Horizont nicht am | |
Gartenzaun endet. BW | |
An Bord der "Titanic" | |
ESTLAND: Ist es klug, mitten in der Krise den Euro einzuführen? Noch dazu | |
als dann ärmstes Land der Eurozone? Die halbe Bevölkerung hat daran ihre | |
Zweifel. "Wenn es stürmt, ist es besser, an Bord zu sein", verkündete | |
Finanzminister Jürgen Ligi. "Aber doch nicht an Bord der ,Titanic' ", | |
konterte der Ökonomieprofessor und Eurokritiker Ivar Raig. | |
"Ich bin eigentlich für den Euro", meint der 21-jährige Technikstudent | |
Alexander kürzlich in einem Straßeninterview im Fernsehen: "Aber der | |
Übergang gerade jetzt ist wohl nicht der optimale Zeitpunkt." Kristina und | |
Lale hätten gern die alten Kronen-Scheine behalten. War doch diese eigene | |
Währung, die 1992 den Rubel ablöste, ein Symbol für die Selbstständigkeit | |
des Landes. "Nicht einmal 20 Jahre durfte die Krone werden", bedauert | |
Kristina. Solch Wehmut ist recht verbreitet. Und das hauptsächliche | |
Gegenargument? "Wir Esten reisen ja viel", meint Raita: "Da ist das doch | |
praktisch." | |
Was es bedeutet, keine eigene Währungspolitik mehr betreiben zu können, | |
haben die Estinnen und Esten in den letzten zweieinhalb Jahren erfahren. Um | |
den Eurobeitritt nicht aufgeben zu müssen, war das Land in der globalen | |
Wirtschaftskrise, die dem Land ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts | |
kostete, zu einer "inneren Abwertung" statt zu einer Wechselkursanpassung | |
nach außen gezwungen. Löhne wurden bis zu 40 Prozent gesenkt, der | |
allgemeine Lebensstandard um fünf Jahre zurückgeschraubt. "Der Euro hilft | |
nur starken Volkswirtschaften, wie Deutschland und Frankreich", sagt der | |
lettische Sozialdemokrat Armands Strazds: "Nicht uns schwachen Ländern". | |
Und er hofft, sein Land möge Estland nicht in den Euro folgen. WOLFF | |
Nur drei Franc das Kilo Äpfel | |
FRANKREICH: Wenn es ums Geld geht, sind die Franzosen und Französinnen | |
Nostalgiker. Noch Jahrzehnte nach einer Währungsreform rechneten vor allem | |
die Älteren unter ihnen mit den anciens francs. Die anderen hatten wenig | |
Mühe damit, denn die Umrechnung war schnell gemacht: geteilt durch hundert. | |
Kompliziert wurde das mit dem Euro, der im Unterschied zu Deutschland in | |
Frankreich zunächst eher auf Begeisterung stieß - wie alles Neue, solange | |
es eine Idee ist und nicht Alltag. Dann fing das Gemecker darüber an, dass | |
durch den Euro alles teuer geworden sei - wenngleich viele Geschäfte von | |
der Umstellung profitiert haben, imdem sie ihre Preise gehörig nach oben | |
aufrundeten. | |
Die Klage ist umso einfacher, da auch heute noch auf den meisten | |
Preisangaben und fast jedem Kassenticket der Betrag nicht nur in Euro, | |
sondern klein gedruckt auch in Franc Français angegeben ist. Wenn es da um | |
Alltagsprodukte wie Früchte oder Benzin geht, wird diese doppelte | |
Preisangabe zur reinsten Provokation; denn man erinnert sich noch an die | |
guten alten Währungszeiten, wo doch ein Kilo Äpfel nicht drei Euro, sondern | |
drei Franc gekostet habe. | |
Trotz der aktuellen Krise und Unsicherheit wünschen aber laut einer Umfrage | |
nur etwa ein Drittel einen Austritt aus der Währungsgemeinschaft. Für die | |
rechnete die Zeitung Le Figaro jüngst auf die Kommastelle genau vor, was | |
dieser Ausstieg kosten würde: sinkende Löhne, Rückgang des | |
Bruttoinlandsprodukts, Anstieg der Arbeitslosigkeit. Und einen Benzinpreis | |
von 1,75 Euro. Oder eben 11,53 FF. BAL | |
Getrickst? Nicht mehr als andere | |
GRIECHENLAND: Die Börseneuphorie war grenzenlos: Erstmals in der Geschichte | |
übersprang der griechische Aktienindex die magische 4.000er-Marke, am | |
Strand wurden Börsentipps ausgetauscht, und sogar die blutbefleckten | |
Fleischverkäufer am Athener Zentralmarkt studierten in der Mittagspause die | |
Börsenteile der Zeitungen. Das war im Jahr 2001, als Griechenland in die | |
Währungsunion aufgenommen wurde. | |
Doch schon drei Jahre später, 2004, kamen die ersten Zweifel auf. Das | |
EU-Statistikamt Eurostat ließ verlauten, Griechenland habe über mehrere | |
Jahre seine Militärausgaben zu niedrig und Überschüsse der Sozialfonds zu | |
hoch berechnet und in den Haushalt mit einbezogen. Die Antwort aus Athen | |
lautete: Wir haben nicht getrickst. Oder nicht mehr als andere. | |
Zu diesem Zeitpunkt sehnten sich viele Griechen scheinbar nach der Drachme | |
zurück. Der Grund: Bei der Euro-Umrechnung haben Händler und Gastronomen | |
ihre Preise großzügig nach oben abgerundet, wodurch Lebensmittel und | |
Dienstleistungen unverschämt teuer wurden. Im Jahr 2005 kostete ein | |
Cappuccino in Athen knapp vier Euro, also doppelt so viel wie vor fünf | |
Jahren. Mietpreise explodierten, Löhne und Gehälter stagnierten. Man sprach | |
von der 700-Euro-Generation: jung, gut ausgebildet und chancenlos, am | |
besten aufgehoben im "Hotel Mama". | |
Fernsehprediger dämonisierten den Euro, Populisten machten Stimmung gegen | |
Europa. Erst als 2008 die Weltwirtschaftskrise ausbrach, wurden sie ganz | |
still, denn sie wissen: Nur der Euro bietet Griechenland einen sicheren | |
Hafen. Hoffentlich. JANPA | |
Besser als die vielen Nullen | |
ITALIEN: In der Bar an der Ecke hängen sie noch alle, gerahmt und hinter | |
Glas: Die Scheine im Wert von 1.000, 2.000, 5.000 und so weiter rauf bis | |
zur 500.000-Lire-Banknote. Doch kaum einer derer, die am Tresen ihren | |
Espresso schlürfen, schaut je hin. Und das, obwohl sich die Begeisterung | |
der Italiener über den Euro von Anfang an in Grenzen hielt. Gewiss, dabei | |
sein wollten die meisten schon, Ende der Neunzigerjahre, als der damalige | |
Ministerpräsident Romano Prodi es sich sogar erlauben konnte, eine | |
außerordentliche "Europa-Steuer" auf die Einkommen zu erheben, um den | |
Staatshaushalt zu sanieren und so die Beitrittskriterien zu erfüllen. | |
Niemand rebellierte damals gegen die "tassa europea", niemand verlangte den | |
Verzicht auf die Gemeinschaftswährung. Keine Ökonomieprofessoren, die vor | |
dem Verfassungsgericht den Erhalt der Lira eingeklagt, keine Parteien, die | |
den Verzicht auf den Euro verlangt hätten. | |
Als der Euro kam, machte sich aber Ernüchterung breit. Landauf, landab | |
wurde er bald als Verarmungsprogramm empfunden. Seither wird in Mailand, | |
Rom oder Neapel der Euro gerne für die Malaise Italiens verantwortlich | |
gemacht. | |
Dennoch werden keine Stimmen laut, die zurück zur Lira wollen. Gewiss, das | |
Land könnte wieder auf Abwertungen setzen, um seine Exporte zu steigern. | |
Zugleich aber ist die Erinnerung an Zeiten, als die Inflationsraten | |
bisweilen über 20 Prozent betrugen, noch recht lebendig. Spätestens mit der | |
Weltwirtschaftskrise sind die eurokritischen Stimmen verstummt. "Wie hätten | |
wir jetzt mit der Lira dagestanden?", fragte man allenthalben. MB | |
Nettozahler und bescheiden | |
SLOWENIEN: Das Werk war vollbracht. Nacheinander war die einstige | |
nördlichste Republik Jugoslawiens Mitglied der Europäischen Union, der | |
Eurozone, des Schengenabkommens und der Nato geworden. Die Einführung des | |
Euro im Jahr 2007 bedeutete die Vollendung all dessen und war Ausdruck der | |
gelungenen Integration des Landes in Europa. | |
Nicht, dass die Slowenen ihren Tolar leichtfertig hergegeben hätten, der | |
dem Land nach der Unabhängigkeit 1991 Stabilität gegeben hatte. Aber, so | |
formulierte es Präsident Milan Kucan, man sei "gerne dazu bereit, unsere | |
Souveränität einem größeren Staatenbund zu opfern, wenn diese Gemeinschaft | |
demokratisch ist". Dieser pragmatische Zug der slowenischen Politik ist | |
erhalten geblieben und wird von der Bevölkerung getragen. Slowenien ist der | |
einzige Nettoeinzahler aus der Runde der letzten EU-Erweiterung. Die Frage, | |
ob man Problemstaaten aus der Eurozone ausschließen sollte, wird nicht | |
öffentlich gestellt. Man bleibt eben bescheiden. ER | |
500er unter der Matratze | |
SPANIEN: Als die europäische Währung eingeführt wurde, ging es Spanien so | |
gut wie nie. Die Bauindustrie boomte dank einer Spekulationsblase. Die | |
Peseta gab man da gerne ab. Schließlich versprach der Euro die D-Mark für | |
alle. Wen störte es schon, dass manche Preise bei der Umstellung enorm | |
stiegen? Ein Land spielte Monopoly, und alle fühlten sich reich. Der Run | |
auf die Zweitwohnung, oft nur als Spekulationsobjekt gekauft, verstärkte | |
den Preisanstieg und damit die Immobilienblase. | |
Der beste Indikator für den Geldrausch ist der 500-Euro-Schein. Nur wenige | |
haben ihn in Händen gehalten, dennoch befinden sich knapp 30 Prozent aller | |
500er im Land, obwohl Spanien nur über 14 Prozent der europäischen | |
Geldmenge verfügt. Sie liegen bündelweise unter Matratzen oder in | |
Schließfächern. | |
Seit zwei Jahren hat die Krise Spanien fest im Griff, der Euro sinkt in der | |
Beliebtheit. Bei Umfragen behaupten inzwischen mehr als die Hälfte aller | |
Spanier, dass ohne Euro die Krise glimpflicher verlaufen wäre. Für viele | |
Spanier kommt nämlich grundsätzlich alles Schlechte von außen. So suchen | |
Politiker und Presse die Schuld für die Krise ausschließlich bei den USA | |
und vergessen dabei die eigene Spekulationsblase, die früher oder später | |
auch ohne internationale Finanzkrise geplatzt wäre. RW | |
Schilling-Nostalgie am Stammtisch | |
ÖSTERREICH: Daniel H. hat keine Probleme mit dem Euro. Als die | |
Einheitswährung vor acht Jahren kam, war er 15. An den Schilling hat er nur | |
mehr sehr verschwommene Erinnerungen. Seinen ersten Lohn als | |
Aushilfskellner bekam der Wiener bereits in der Einheitswährung. Das ist | |
sechs Jahre her. | |
Schilling-Nostalgie findet man noch an manchen Stammtischen und unter den | |
Lesern des Boulevardblatts Kronen Zeitung. Für dessen alternde Klientel | |
werden große Beträge oft umgerechnet. Die Mehrheit der LeserInnen des | |
Blatts hat den größten Teil des aktiven Lebens mit dem Schilling verbracht | |
– manche tun sich noch immer schwer mit dem Euro. Das passt auch zur | |
EU-skeptischen Blattlinie. Die Griechenlandkrise wurde genutzt, um | |
Diskussionen über einen Ausstieg aus der Währungsunion wieder anzufachen. | |
Dass durch den Euro die Inflation angeheizt worden sei, ist statistisch | |
nicht belegbar. Die Bundesanstalt Statistik Österreich stellte in einer | |
Bilanz im Jahr 2007 fest, dass Preiserhöhungen und Preissenkungen | |
anlässlich der Währungsumstellung zur Jahreswende 2001/2002 einander | |
neutralisiert hätten. Trotzdem werden im EU-skeptischen Österreich | |
Teuerungsschübe gerne der Gemeinschaftswährung zugeschrieben. Und jene, die | |
sich die alten Zeiten zurückwünschen, haben längst vergessen, dass der | |
Schilling zur Hartwährung werden konnte, weil er jahrelang an die D-Mark | |
gekoppelt war. RLD | |
30 Dec 2010 | |
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