# taz.de -- Durchsuchungen im Dioxin-Skandal: Razzia bei den Giftmischern | |
> Die Staatsanwaltschaft hat den Betrieb durchsucht, der 3.000 Tonnen | |
> möglicherweise dioxin-verseuchtes Fett verkauft hat. Die Verbraucher sind | |
> verunsichert. | |
Bild: Das versuchte Tierfutterfett wurde in mindestens vier Bundesländer gelie… | |
UETERSEN/HANNOVER dapd/dpa | Im Skandal um dioxinverseuchtes Tierfutter | |
gerät die Herstellerfirma Harles und Jentzsch zunehmend unter Druck. Die | |
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Geschäftsführung des Betriebs und | |
ordnete eine Razzia an. Polizisten und Staatsanwälte durchsuchten am | |
Mittwoch das Betriebsgelände in Uetersen (Schleswig-Holstein), um | |
Beweismittel sicherzustellen. Die Darstellung des Unternehmens, das Dioxin | |
sei durch einen Fehler beigemischt worden, wird bezweifelt. | |
Weiter unklar ist, woher das Dioxin in dem Zusatzfett für Tierfutter | |
stammte und welche Mengen an Eiern, Geflügel- und Schweinefleisch belastet | |
sind. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat das Ermittlungsverfahren gegen die | |
Leitung des Unternehmens übernommen. Es soll technische Mischfettsäuren, | |
die für die Papierherstellung bestimmt waren, für Futtermittel verwendet | |
haben. | |
Nach Angaben der Bundesregierung kann das krebserregende Dioxin bis zu | |
150.000 Tonnen Tierfutter zugesetzt worden sein. Zum Mengenvergleich: Ein | |
Huhn pickt bis zu 160 Gramm pro Tag. Mehr als 1.000 landwirtschaftliche | |
Betriebe in Deutschland wurden inzwischen gesperrt. | |
Auch wenn nach ersten Erkenntnissen des Agrarministeriums in Berlin keine | |
dioxinverseuchten Futtermittel in die EU exportiert wurden, sollen Anfang | |
Dezember 136.000 verdächtige Eier in die Niederlande geliefert worden sein. | |
Das niedersächsische Agrarministerium erhob neue Vorwürfe gegen Harles und | |
Jentzsch. Das Unternehmen habe erklärt, mit Dioxin belastete technische | |
Fettsäuren seien versehentlich in Futterfette gelangt. "Wir glauben dieser | |
Darstellung nicht mehr", sagte Ministeriumssprecher Gert Hahne in Hannover. | |
"Die Darstellung, da hat einer den falschen Hahn aufgedreht, erscheint uns | |
sehr unglaubwürdig." Wegen der großen Menge verseuchten Fettes sei | |
menschliches Versagen unwahrscheinlich. | |
Die Staatsanwaltschaft Itzehoe bestätigte der dpa, dass es eine gerichtlich | |
angeordnete Durchsuchung gegeben habe. Das betreffe auch einen Betrieb im | |
niedersächsischen Bösel, sagte Behördensprecher Friedrich Wieduwilt. Das | |
Werk bei Cloppenburg betreibt ein Tanklager und eine Futterfett-Rührstation | |
für Harles und Jentzsch. Die Staatsanwaltschaft in Oldenburg kümmert sich | |
um die Firma in Bösel (Kreis Cloppenburg). Es gebe ein | |
Vorermittlungsverfahren, sagte Staatsanwalt Rainer du Mesnil. "Wir wollen | |
wissen: Was ist in den Tanks, wo kommt es her und wo ging es hin?" Die | |
technische Mischfettsäure war von dem Biodieselhersteller Petrotec über den | |
niederländischen Händler Olivet an den Futtermittelhersteller Harles und | |
Jentzsch im schleswig- holsteinischen Uetersen geliefert worden. | |
Eine Überprüfung der Lieferscheine bei Petrotec im ostfriesischen Emden | |
ergab zunächst keine Anhaltspunkte auf Dioxin, wie eine Sprecherin des | |
Gewerbeaufsichtsamtes Emden sagte. Der Betrieb dürfe Mischfettsäure an die | |
Ölindustrie liefern, nicht jedoch für die Lebensmittel- oder | |
Futterproduktion. Nun würden die Fette auf Dioxin überprüft. Mit | |
Ergebnissen ist frühestens in einer Woche zu rechnen. | |
Die bis zu 3.000 Tonnen verseuchtes Futterfett wurden nach Angaben des | |
Bundeslandwirtschaftsministeriums zwischen dem 12. November und 23. | |
Dezember 2010 an 25 Futtermittelhersteller in acht Bundesländern geliefert. | |
Die Bundesregierung versucht, die Verbraucher zu beruhigen. "Wir kennen | |
nicht die Ursache für die Dioxinkontamination", sagte der Sprecher des | |
Bundeslandwirtschaftsministeriums in Berlin. Möglicherweise belastete | |
Lebensmittel seien bereits aus dem Handel geholt worden oder zumindest | |
lokalisiert worden. Der Genuss von Eiern gefährde die Gesundheit akut | |
nicht, betonte der Sprecher. "Eine akute Gesundheitsgefahr besteht nicht. | |
Deswegen ziehen die Unternehmen auch nicht flächendeckend Ware aus dem | |
Verkehr", erklärte auch ein Sprecher des Handelsverbands Deutschland (HDE) | |
in Berlin. | |
Nordrhein-Westfalen sperrte am Dienstagabend vorsorglich 139 Betriebe und | |
veröffentlichte Kennnummern, anhand derer die Verbraucher dioxinbelastete | |
Eier erkennen können. Sie sind jeweils auf die Schale gestempelt. | |
5 Jan 2011 | |
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