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# taz.de -- Gedenken an Rosa Luxemburg: "Ihre Widersprüche faszinieren"
> Sozialistin oder verkannte Demokratin: Die Politologin Anna Best-Kubik
> hat sich in einem Buch mit Rosa Luxemburgs Demokratieverständnis befasst.
Bild: Hier regnet's einmal im Jahr rote Nelken: Rosa-Luxemburg-Grab in Berlin.
taz: Frau Best-Kubik, waren Sie schon einmal auf der
Liebknecht-Luxemburg-Demo in Berlin?
Anna Best-Kubik: Nein, das ist nicht mein Fall. Meine Beschäftigung mit
Rosa Luxemburg war eine rein wissenschaftliche.
Was genau haben Sie untersucht?
Ich habe Luxemburgs Gesammelte Werke Wort für Wort durchforstet, um ihrem
Demokratieverständnis auf die Spur zu kommen. Sie war vor allem politische
Journalistin, also muss man ihre Haltung aus all den Artikeln zum
jeweiligen Zeitgeschehen destillieren. Das Faszinierende dabei sind die
Widersprüche, die sich erst ganz am Ende auflösen, vor dem Hintergrund
ihrer Persönlichkeit und ihrer Zeit.
Was war an Rosa Luxemburg so widersprüchlich?
Demokratie ist bei ihr sehr ambivalent. Ihr Begriff davon nimmt
verschiedene, auf den ersten Blick verwirrende Bedeutungen an. Einerseits
lehnt sie den Parlamentarismus ihrer Zeit strikt ab, andererseits streitet
sie in der preußischen Wahlrechtsbewegung für demokratische Rechte, für
Republik, für Wahlrecht.
Luxemburg war aber doch in erster Linie Revolutionärin.
Ja, ihre Verteidigung von Demokratie und Republik erweist sich als rein
taktisch. Das Proletariat sollte sich in dieser Form der bürgerlichen
Republik üben, um dann das sozialistische Endziel der Revolution zu
erreichen. In ihrer journalistischen Reaktion auf die Novemberrevolution
zeigt sich eine Wende: Sie nimmt das Rätesystem in ihr Denken auf, was
vorher nie vorhanden war. Das ist mit dem unvereinbar, was das Grundgesetz
heute unter einem demokratischen Verfassungsstaat versteht.
Die Ikone für Frieden und Freiheit als Demokratiefeindin?
Sie wurde höchst unterschiedlich rezipiert, von modernen
Politikwissenschaftlern tatsächlich als konsequente Demokratiefeindin.
Andere sehen sie als demokratische Sozialistin, als kommunistische
Sozialistin, als verkannte Demokratin, als Humanistin - es gibt eine
Vielzahl von Anknüpfungspunkten. In der DDR wurde sie instrumentalisiert,
indem man ihre politischen Ideen als "Luxemburgismus" verdammt hat, weil
sie Lenin in vielerlei Hinsicht widersprochen hat, vor allem was den
inneren Organisationsaufbau einer Partei anbelangt. Diese
Unterschiedlichkeit in der Rezeption entspricht der Widersprüchlichkeit
ihrer Begriffe.
Sehr aktuell seien ihre ökonomischen Analysen, meint der Aufruf zur
Gedenkdemo am Wochenende.
Das ist sehr umstritten. Ich denke, man sollte sie mit Vorsicht lesen, weil
sie ein völlig anderes politisches System favorisiert hat als das, was wir
heute haben. Dennoch macht sie auf wachsende soziale Ungleichheiten
aufmerksam. Und ökonomische Ausbeutungsverhältnisse, um es in Luxemburgs
Worten zu sagen, gibt es nach wie vor. Darüber kann man sich unterhalten,
ja.
Was würde sie zum heutigen Stand der Gleichstellung von Mann und Frau
sagen?
Rosa Luxemburg ist keine bekennende Feministin gewesen. Im Gegensatz zu
Clara Zetkin war es nie ihr Ziel, sich mit Frauenbefreiung zu beschäftigen.
Zwar analysierte sie die Demokratiedefizite ihrer Zeit gerade in Sachen
Frauenwahlrecht sehr akribisch und plädierte für ein demokratisches
Wahlrecht für alle. Aber es war nie ihr persönliches Anliegen, sich
explizit mit der Benachteiligung von Frauen auseinander zusetzen. Sie hätte
vermutlich gesagt, dass man die Revolution abwarten muss und sich die
Gleichheit zwischen Mann und Frau selbst ergibt, sobald der Kommunismus
umgesetzt ist.
Wie hat sie selbst denn als Frau inmitten all der Männer bestanden?
Sie war sehr spottlustig, mutig, selbstironisch und liebte die
Auseinandersetzung. Das erleichterte ihr den Umgang in der politischen Welt
ihrer Zeit. Nicht nur als Frau, sondern auch als Gehbehinderte und Jüdin,
was sie zur Außenseiterin prädestinierte. Andererseits war Luxemburg eine
fesselnde Rednerin.
Darf man sie sich als glücklichen Menschen vorstellen?
Nein, sehr prägend waren der persönliche Bruch mit dem
SPD-Parteichefideologen Karl Kautsky und das Erlebnis des Ersten
Weltkrieges. Letzteres versetzte sie fast schon in depressive Zustände. Ihr
Glaube beruhte darauf, dass die Internationale die Welt rettet und Frieden
bringt. Aber die Internationale konnte die Barbarei des Weltkrieges nicht
verhindern. Da brach für sie etwas zusammen. Dieses Erlebnis spiegelt sich
ganz eindeutig in einer Radikalisierung ihrer politischen Vorstellungen.
Sie sehen Luxemburg sehr kritisch, aber gibt es auch etwas, das Sie von ihr
mitnehmen?
Die Forderung nach sozialer Gleichheit. Wir brauchen Grundrechte auch in
privaten Rechtsverhältnissen wie dem Arbeitsverhältnis. Staatsbürger müssen
spüren, dass sie als Souverän nicht nur Schutzrechte gegenüber dem Staat
haben, sondern dass sie auch vor der Ökonomie geschützt werden. Denn die
bestimmt einen maßgeblichen Anteil ihres Alltags.
6 Jan 2011
## AUTOREN
Sebastian Puschner
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