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# taz.de -- Folgenreicher Umweltschutz: Der Fluch der sauberen Schiffe
> Strengere Grenzwerte für Treibstoff könnten den Schiffsverkehr zu teuer
> machen, besagt eine Bremer Studie. Die unerwünschte Folge: Mehr LKWs auf
> den Straßen.
Bild: Nehmen künftig vielleicht die Autobahn: Lastwagen am Rostocker Fährkai.
HAMBURG taz | Die norddeutschen Industrie- und Handelskammern (IHK Nord)
haben die EU-Kommission am Donnerstag davor gewarnt, die Abgasvorschriften
für den Schiffsverkehr in der Ostsee zu stark zu verschärfen. "Ein
Schwefel-Grenzwert von 0,1 Prozent führt zu erheblichen Verlagerungen von
Ostsee-Verkehren zurück auf die Straße", sagte Wolfgang Hering,
Vorsitzender der IHK Nord.
Die Kammern berufen sich dabei auf eine Studie des Bremer Instituts für
Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL), die bis zu 600.000 zusätzliche
LKW-Fahrten pro Jahr prognostiziert. Das Institut schlägt eine mildere
Regel vor, mit denen sich dieser Effekt zum großen Teil vermeiden lasse.
Umweltverbände bewerteten den Vorstoß der IHK Nord als typischen
Lobbyvorstoß.
Das, womit die Schiffe über die Meere tuckern, ist an Land längst verboten.
Sie speisen ihre gewaltigen Motoren mit dem, was bei der Heizöl- und
Benzin-Herstellung übrig bleibt: eine zähe Masse, die angewärmt werden
muss, damit sie in die Kolben strömen kann, und die so viele Schadstoffe
enthält, dass Kritiker von einer "Müllverbrennung auf See" sprechen.
Besonders problematisch ist das in küstennahen Gebieten, weshalb die
Internationale Schifffahrtsorganisation IMO auf Bitten der EU die Ostsee
als Emissionsüberwachungsgebiet insbesondere für Schwefel (Seca)
ausgewiesen hat. Damit gelten schärfere Abgasregeln als anderswo. Ist heute
noch auf der Ostsee ein Schwefelgehalt von einem Prozent im Treiböl
zulässig, sollen es 2015 nur noch 0,1 Prozent sein.
In seiner für den Verband Deutscher Reeder und den Zentralverband der
Deutschen Seehafenbetriebe erstellten Studie nimmt das ISL an, dass ein
derart niedriger Abgaswert mit Schweröl "höchstwahrscheinlich" nicht zu
erreichen sei. Das gehe nur mit Destillaten, die aber viel teurer seien.
Ausgehend von Preisprognosen für Schweröl mit einem Prozent Schwefel und
Destillaten mit 0,1 Prozent errechnete das Institut, um wie viel teurer der
Schiffstransport nach den neuen Vorschriften würde und wie sich das auf die
Nachfrage nach Verkehrsträgern auswirken würde.
Weil das ISL von einem überproportionalen Preisanstieg des hochwertigen
Treibstoffs ausgeht, würde bei einer schwachen Preissteigerung für
Treibstoffe neun Prozent des Containerverkehrs vom Schiff auf die Schiene
verlagert. Bei einem starken Preisanstieg wären es 15 Prozent - 830.000
Container. Von den Lastwagen, die bisher auf Fähren die Ostsee überqueren,
würden schlimmstenfalls 22 Prozent über die Straße tuckern. Das wären
600.000 zusätzliche LKW-Fuhren.
Um eine solche Verkehrsverlagerung zu vermeiden, schlägt das ISL einen
Schwefelgrenzwert von 0,5 Prozent vor. Solch ein Treibstoff sei nicht
wesentlich teurer als einer mit einem Prozent.
"Wir halten das für eine bestellte Lobbystudie", kommentiert Heiko
Messerschmidt von der IG Metall Küste. "Einige Industrieverbände nutzen
derzeit jede Möglichkeit, die Seca-Regelungen zu attackieren." Zusammen mit
Umweltorganisationen und anderen Gewerkschaften hatte sich die IG Metall
Küste bereits im Herbst gegen einen Vorstoß der Industrie bei der
EU-Kommission gewandt. Die Industrie hatte vorgebracht, die
Schwefelrichtlinie gefährde die Wettbewerbsfähigkeit der EU.
"Das ist eine typische sektorale Betrachtung", kritisiert Dietmar Oeliger
vom Naturschutzbund (Nabu) den neuen Vorstoß. Jahrzehntelang habe sich in
der Schifffahrt nichts verbessert. "Wenn die Schiffe nicht sauberer werden,
fehlt ihnen die ökologische Berechtigung." Selbst bei einem Grenzwert von
0,5 Prozent würde der Schiffstreibstoff 500-mal mehr Schwefel enthalten als
LKW-Diesel. Im übrigen werde die Abgasnorm für Laster 2014 weiter
verschärft und auch dieser Sprit teurer. "Wir glauben nicht an eine
Verkehrsverlagerung", sagt der Nabu-Mann.
6 Jan 2011
## AUTOREN
Gernot Knödler
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