# taz.de -- Dioxin-verseuchte Lebensmittel: Futter vorsätzlich gestreckt | |
> Der Futtermittelskandal weitet sich aus. Inzwischen sind 4.700 | |
> landwirtschaftliche Betriebe gesperrt. Auch 3.200 Schweinezüchter sind | |
> betroffen. Niedersächsische Spedition steht unter Verdacht. | |
Bild: Betroffen sind jetzt auch viele Schweinemastbetriebe. | |
Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium vermutet hinter dem | |
Dioxinskandal kriminelle Hintergründe. Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke | |
(CDU) sagte gestern in Hannover, der Futtermittelhersteller Lübbe habe | |
vermutlich vorsätzlich technische Fette in das Tierfutter gemischt. Der | |
niedersächsische Tochterbetrieb der schleswig-holsteinischen Firma Harles | |
und Jentzsch war zuvor als Quelle des vergifteten Futters ausgemacht | |
worden. In der Niederlassung in der Nähe von Oldenburg waren die | |
kontaminierten Fette in das Futter gemischt worden. | |
Neue Untersuchungen ergaben nun eine höhere Kontaminierung. Bei | |
Futterfetten der Firma Harles und Jentzsch aus Uetersen wurde der Grenzwert | |
für das krebserregende Gift stark überschritten. In neun von zehn neu | |
bekannt gewordenen Fällen war die Belastung zu hoch. Das Futterfett | |
enthielt bis zu knapp 78-mal so viel Dioxin wie erlaubt, teilte das Kieler | |
Agrarministerium am Freitag mit. | |
Mit dem Gift belastete Futterfette wurden außerdem schon deutlich länger zu | |
Tierfutter verarbeitet, als bislang angenommen. Bereits im März 2010 wurden | |
bei Eigenkontrollen des Betriebs zu hohe Werte festgestellt. Die Firma | |
meldete dies nicht. | |
Die Firma Lübbe habe sich im Jahr 2005 entgegen den Vorschriften nicht als | |
Futtermittelhersteller beim Landesamt für Verbraucherschutz registriert, | |
sondern als Transporteur und Spediteur, sagte der niedersächsische | |
Agrarstaatssekretär Ripke. Mit der Veräußerung von Fetten für | |
Futtermittelzwecke könne ein Betrieb doppelt so viel Gewinn machen wie mit | |
dem Verkauf von technischen Fetten. | |
Es gibt bislang keine Erkenntnisse darüber, wie lange die Firma bereits | |
Futtermittel vertreibt und technische Fette dabei verarbeitet. | |
Möglicherweise tut sie es schon seit Jahren. Den Behörden ist das bislang | |
nicht aufgefallen, weil sie den Betrieb nicht kontrolliert haben. | |
"Unser Prüfsystem basiert auf der Meldung der Betriebe", erklärte | |
Staatssekretär Ripke. Wenn ein Betrieb sich nicht als | |
Futtermittelhersteller meldet, wird er als solcher auch nicht kontrolliert. | |
Die Anzahl der gesperrten Landwirtschaftsbetriebe hat sich inzwischen auf | |
rund 4.500 allein in Niedersachsen erhöht. Das ist jeder elfte von | |
insgesamt rund 55.000 landwirtschaftlichen Betrieben im Land. Bundesweit | |
sind es etwa 4.700. Über 3.200 niedersächsische Schweinemastbetriebe kamen | |
am Donnerstag hinzu. | |
Ihre Tiere dürfen vorerst nicht geschlachtet und ihre Produkte nicht | |
verkauft werden. Zu dieser Maßnahme habe sich das Ministerium aber nur | |
entschieden, um ein Fleischexportverbot zu verhindern, sagte Ripke. | |
"Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme", sagte Ripke. Seiner Einschätzung | |
nach sind 95 Prozent des Schweinefleischs nicht mit Dioxin belastet. Diese | |
Vermutung speist sich auch daraus, dass der Fettanteil im Futter für | |
Schweine deutlich geringer ist als der im Legehennenfutter. | |
Inzwischen wurden in Niedersachsen rund 100.000 Eier vernichtet, weil sie | |
womöglich mit Dioxin belastet waren. Von den 250 gesperrten | |
Legehennenbetrieben liegen bislang 38 Ergebnisse der Dioxintests vor. Fünf | |
davon seien belastet gewesen, die anderen konnten den regulären Betrieb | |
wiederaufnehmen. Das seien "erste, hoffnungsvolle Signale" dafür, dass das | |
Ausmaß der Dioxinaffäre begrenzt bleibe, so Ripke. | |
Wie das Dioxin in das Fett gelangen konnte, ist unklar. Fest steht, dass es | |
über die technischen Fette in die Futterproduktion gelangte. Möglicherweise | |
liegt der Ursprung in Altfetten aus Imbissbetrieben und Fritteusen, die der | |
Biodieselhersteller Petrotec für die Produktion der technischen Fette | |
verwendet hatte. Mit den Testergebnissen der Altfette rechnet Ripke in der | |
kommenden Woche. | |
Im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium macht sich mittlerweile die | |
Befürchtung breit, Fälle wie diesen mit konventionellen Kontrollen nicht | |
verhindern zu können. "Kriminellen Machenschaften von Einzelnen" würde man | |
so nicht Herr, so Ripke. | |
Künftig sollten deshalb die Verarbeitung und der Vertrieb von technischen | |
Fetten von der Produktionskette der Fette für Futtermittel getrennt werden. | |
Außerdem sollen die Fette gefärbt werden. | |
## | |
7 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Laufer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Dioxinskandal: Die Retro-Agrarpolitiker | |
CDU und SPD erklären die Dioxineier als Einzelfall ab. Dabei sind | |
verunreinigte Lebensmittel das systematische Ergebnis einer | |
industrialisierten Turbo-Landwirtschaft. | |
Kommentar Dioxin-Skandal: Schurken statt Strukturen | |
Solange das industrielle Agrarsystem nicht grundlegend umgebaut wird, | |
gehören Dioxin-Eier und andere Lebensmittelskandale zum Alltag. | |
Verseuchtes Tierfutter: Der Dioxin-Quelle auf der Spur | |
Schon im Frühjahr 2010 ist mit Dioxin verseuchtes Tierfutter in den Handel | |
gelangt. Landesweit mussten mittlerweile mehr als 4700 Höfe gesperrt | |
werden. Die Quelle könnte Fritteusenfett sein. | |
Konsequenzen aus Dioxin-Skandal: Die böse Industrie soll büßen | |
Kaum taucht das Gift im Ei auf, kommen die Forderungen nach mehr: mehr | |
Kontrollen, mehr Härte, mehr Gesetz. Doch so einfach ist die Sache nicht. | |
Der Dioxinskandal in der Futtermittelindustrie: Erst füttern, dann fragen | |
Liegt der Fehler beim jüngsten Dioxinskandal tatsächlich nur bei einem | |
einzigen Futterhersteller? Eher doch in einer völlig undurchsichtigen | |
globalen Futterindustrie. | |
Biozulieferer zum Dioxin-Skandal: "Beim Fett wird viel geschummelt" | |
Problem Intransparenz: Hätten die Futterhersteller gewusst, dass die | |
Dioxin-Ware aus einer Biodiesel-Fabrik stammt, hätten "die Alarmglocken | |
geschrillt", sagt Rudolf Joost-Meyer zu Bakum. |