| # taz.de -- Das Jahr nach dem Erdbeben von Haiti: Verpasste Chancen | |
| > Nach dem Erdbeben vom 12. Januar 2010 flossen Spenden, viele Helfer kamen | |
| > nach Haiti. Die Hilfsmaschinerie lief schnell an, stagniert aber. | |
| > Ansprechpartner fehlen. | |
| Bild: Nach inoffiziellen Schätzungen starben rund 300.000 Menschen in den Trü… | |
| Die vergangenen zwölf Monate hätten zu einem "Jahr des Neuanfangs" für | |
| Haiti werden können - nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar 2010, | |
| nach den vielen Jahren der politischen Instabilität, der Putschversuche und | |
| Überschwemmungskatastrophen. Die Welt, die sich bis dahin wenig um das | |
| Schicksal der Menschen in Haiti - 60 Prozent der Bevölkerung verfügen über | |
| weniger als 80 Cent für den täglichen Lebensunterhalt - gekümmert hatte, | |
| reagierte mit einer erstaunlichen Hilfsbereitschaft. | |
| Im Minutentakt landeten auf dem schwer beschädigten Flughafen | |
| Transportmaschinen aus aller Welt mit Hilfsgütern, wurden Suchmannschaften | |
| eingeflogen, die nach Verschütteten suchen sollten. Freiwillige verteilten | |
| Notzelte und Plastikplanen, damit sich die Obdachlosen vor Sonne und Regen | |
| schützen konnten. Millionen wurden gespendet. Spezialisten halfen bei der | |
| Trinkwasserversorgung, der Wiederherstellung des zerstörten | |
| Telekommunikationssystems. Saatgut sollte Versorgungsengpässe verhindern. | |
| Auf einer internationalen Geberkonferenz wurden dem Armenhaus | |
| Lateinamerikas für den Wiederaufbau fast 10 Milliarden US-Dollar zugesagt. | |
| Es war eine angekündigte Katastrophe gewesen. Kleinere Beben im Jahr 2009 | |
| und seismologische Untersuchungen waren dem "göttliche Monster" | |
| vorausgegangen. "Goudou Goudou" nennen es die Haitianer inzwischen in der | |
| Landessprache Kreyól. Als dann am 12. Januar 2010 um 16.53 Uhr Ortszeit | |
| (21.53 Uhr Berliner Zeit) in der Hauptstadt Port-au-Prince und Umgebung die | |
| Erde mit der Stärke 7 erzitterte, brach das Chaos aus. Menschen knieten | |
| nieder, weil sie glaubten, der Jüngste Tag sei angebrochen. Gastanks | |
| explodierten, Betonhäuser brachen zusammen wie Kartenhäuser. Nach | |
| inoffiziellen Schätzungen starben rund 300.000 Menschen in den Trümmern, | |
| mehr als 400.000 wurden verletzt, und 8.000 bis 10.000 Personen verloren | |
| Gliedmaßen oder sind für den Rest ihres Lebens an einen Rollstuhl | |
| gefesselt. 1,7 Millionen Menschen wurden obdachlos, und noch immer leben | |
| 1,2 Millionen in Lagern. Haiti erlebte das schwerste Beben in der | |
| Geschichte Nord- und Südamerikas und das weltweit verheerendste im 21. | |
| Jahrhundert. | |
| Zwar hat die Regierung von René Préval im Lauf des Jahres einen Plan für | |
| den Wiederaufbau ausgearbeitet, doch über die Details herrscht nach wie vor | |
| Unklarheit. Bisher sind gerade mal 15 Prozent der Trümmer in Port-au-Prince | |
| beseitigt - im Regierungsviertel. Nur in Regionen, wo der Staat | |
| traditionell nicht präsent ist, haben Hilfsorganisationen mit | |
| Regionalpolitikern das öffentliche Leben wiederhergestellt. Aber auch dort | |
| mangelt es an festen Unterkünften für die Überlebenden. | |
| "Bei der Nothilfe haben viele vieles richtig gemacht", sagt rückblickend | |
| der damalige Regionalchef der Deutschen Welthungerhilfe, Michael Kühn. | |
| Aber: Den Hilfsorganisationen fehlten Ansprech- und Planungspartner vor | |
| Ort. Und so wurde 2010 zum "Jahr der verpassten Chancen für den | |
| Wiederaufbau Haitis", wie der Leiter der britischen Hilfsorganisation Oxfam | |
| in Haiti, Roland Van Hauwermeiren, bilanziert. Er kritisiert die schlechte | |
| Abstimmung zwischen den Geberländern, und auch der haitianischen Regierung | |
| fehle es an Entscheidungsstärke. Von Staatspräsident René Préval und seinen | |
| überlebenden Ministern hörte die Bevölkerung nur wenig. | |
| Seit Mitte des Jahres beschäftigt sich die haitianische Politik vor allem | |
| mit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Deshalb halten viele | |
| Staaten zugesagte Wiederaufbaugelder zurück. Sie wollen wissen, ob sie es | |
| künftig mit zuverlässigen haitianischen Partnern zu tun haben werden. | |
| Préval, heißt es unter Diplomaten hinter vorgehaltener Hand, gehört schon | |
| lange nicht mehr dazu. Und so tritt die Wiederaufbauhilfe auf der Stelle. | |
| Das liegt nach Meinung Michael Kühns von der Welthungerhilfe auch daran, | |
| dass die internationale Staatengemeinschaft, allen voran die USA, kein | |
| Interesse an Haiti hat. Niemand wolle wirklich die strukturelle Armut und | |
| Unterentwicklung bekämpfen. "Insofern versagt die internationale | |
| Gemeinschaft ständig." Positiv beurteilt Kühn nur einige internationale | |
| Nichtregierungsorganisationen, die sich ähnlich der Welthungerhilfe um die | |
| Belange der Bevölkerung gekümmert haben. | |
| Die rund 12.000 Hilfsorganisationen, die mit meist sehr jungen und | |
| unerfahrenen Mitarbeitern im Land präsent seien, würden insgesamt mehr zur | |
| Verstärkung der Probleme als zu ihrer Lösung beitragen, so Kühn. Das Land | |
| sei zu komplex für Menschen, die an schnellem Erfolg orientiert seien. "Man | |
| muss sich Zeit nehmen, die Besonderheiten des Landes und seiner Bevölkerung | |
| kennenzulernen", sagt Kühn. Vielleicht könne man dann in zehn Jahren von | |
| einer erfolgreichen Aufbauarbeit sprechen. | |
| 11 Jan 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Hans-Ulrich Dillmann | |
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