# taz.de -- Tunesiens Ex-Diktator in Saudi-Arabien: Übergangspräsident vereid… | |
> Tunesischer Ex-Diktator Ben Ali nach Saudi-Arabien geflohen. EU und USA | |
> mahnen zur Ruhe. Parlamentspräsident Mbaza als Übergangspräsident | |
> vereidigt, er soll Neuwahl vorbereiten. | |
Bild: Ghannouchi (Mitte) am Freitagabend, rechts Übergangspräsident Foued Mba… | |
TUNIS/PARIS dpa/reuters/afp/dapd | Am Samstag hat der tunesische | |
Verfassungsrat den bisherigen Parlamentspräsidenten, Foued Mbazaa (77), zum | |
Interims-Präsidenten des Landes ernannt, nach Angaben des Staatsfernsehens | |
wurde er bereits wenig später vereidigt. Nach der Flucht von Ex-Diktator | |
Ben Ali ins saudische Exil hatte zunächst Ministerpräsident Mohamed | |
Ghannouchi am Freitag die Amtsgeschäfte übernommen. Mbazaa soll Neuwahlen | |
vorbereiten. Diese sollen in zwei Monaten stattfinden, teilte der Präsident | |
des Verfassungsgerichts am Samstag mit. | |
Ben Ali hatte vor seiner Flucht den Ausnahmezustand verhängt und die Macht | |
Ministerpräsident Ghannouchi als Interims-Präsidenten übertragen. Laut | |
Verfassung ist das jedoch nur für eine begrenzte Zeit möglich. Sie sieht | |
vor, dass der Vorsitzende des Parlaments das Amt des Präsidenten treten | |
soll. Oppositionspolitiker hatten bereits kritisiert, dass die Ernennung | |
Ghannouchis als Interim-Präsident verfassungsrechtlich bedenklich sei. | |
In der Nacht zum Samstag hatte es Ausschreitungen gegeben, die Polizei hat | |
das Zentrum der tunesischen Hauptstadt Tunis abgeriegelt. Die Beamten | |
errichteten am Samstagmorgen Straßensperren an einer großen Straße, um die | |
Zufahrt in das Stadtinnere zu blockieren, wie AFP-Reporter berichteten. | |
Zudem wurde das Aufgebot an Sicherheitskräften verstärkt. Trotz der | |
beendeten nächtlichen Ausgangssperre blieben Cafés und Geschäfte vorerst | |
geschlossen. Auf den Straßen im Zentrum blieb es zunächst ruhig. | |
An mehreren Orten war es zu Plünderungen gekommen, mehrere Gebäude waren in | |
Flammen aufgegangen. Im Zentrum der Hauptstadt Tunis waren am Freitagabend | |
Schüsse zu hören, in der Luft hing beißender Rauch. Hubschrauber kreisten | |
über der Stadt. | |
In Stadtteilen, in denen viele Arbeiter leben, verteidigten Anwohner ihren | |
Besitz gegen Plünderer mit Messern und Metallstangen. Augenzeugen | |
berichteten, marodierende Gruppen seien durch Tunis gezogen, hätten Gebäude | |
in Brand gesetzt und Menschen angegriffen. In der Nacht hatte es Berichte | |
über einen in Flammen stehenden Bahnhof sowie brennende Supermärkte in | |
Tunis gegeben. Auch ein Krankenhaus soll angegriffen worden sein. Wegen der | |
nächtlichen Ausgangssperre war ein Überblick über den Schaden zunächst | |
schwierig. | |
Der zivile Ungehorsam werde weitergehen, bis das Regime des nach | |
Saudi-Arabien geflohenen Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali Vergangenheit | |
sei, sagte ein Protestler. | |
"Hier herrscht das Chaos, jeder hat Angst", sagte telefonisch ein Tunesier | |
aus der Stadt Bizerte, meldete die Nachrichtenagentur dpa. Besorgte Anrufe | |
von Angehörigen führten landesweit zu einer Überlastung des Telefonnetzes. | |
Am frühen Samstagmorgen traf die Maschine des geflohenen Präsidenten im | |
saudi-arabischen Dschiddah am Roten Meer ein. Man habe Ben Ali und seine | |
Familie im Königreich willkommen geheißen, meldete die saudische | |
Nachrichtenagentur SPA. Die Regierung Saudi-Arabiens wünsche Tunesien | |
"Sicherheit und Stabilität" und "stehe an der Seite des tunesischen | |
Volkes", hieß es. Ben Ali hatte nach französischen Medienberichten zuvor | |
versucht, in Paris zu landen. Die französische Regierung habe ihn aber | |
nicht einreisen lassen wollen, berichtete die Zeitung Le Monde. | |
Die EU-Kommission mahnte "alle Parteien, Zurückhaltung zu zeigen und Ruhe | |
zu bewahren, um weitere Opfer und Gewalt zu vermeiden", so die | |
EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Freitagabend in Brüssel. Der | |
Schlüssel für die weitere Entwicklung sei der Dialog. US-Außenministerin | |
Hillary Clinton sagte, die tunesische Regierung müsse "in diesem Moment des | |
bedeutenden Wandels" das Recht ihres Volkes respektieren, sich friedlich zu | |
versammeln und seine Ansichten zu äußern. Die Vereinigten Staaten | |
verfolgten die rapiden Entwicklungen ganz genau, so Clinton weiter. Sie | |
rief zu freien und fairen Wahlen in naher Zukunft sowie zu Reformen auf. | |
Reiseveranstalter flogen am Freitagabend deutsche Tunesien-Urlauber aus. | |
Erste Maschinen mit Touristen trafen in Düsseldorf und Berlin ein. Wegen | |
des Ausnahmezustands und der Sperrung des tunesischen Luftraums war es zu | |
Flugausfällen gekommen, die die vorzeitige Heimkehr zahlreicher Touristen | |
verzögerten. Reiseveranstalter schätzen, dass mit deutschen Anbietern etwa | |
7000 Touristen nach Tunesien geflogen sind. In den Urlauber-Hotels blieb es | |
zunächst ruhig. | |
Die wochenlangen blutigen Proteste mit Dutzenden Toten hatten sich | |
ursprünglich gegen die hohe Arbeitslosigkeit gerichtet, dann aber immer | |
mehr zum Volksaufstand entwickelt. Am Freitag hatte Ben Ali nach einem | |
knappen Vierteljahrhundert an der Macht den Ausnahmezustand verhängt und | |
die Regierung abgesetzt. Die Macht hatte er zwischenzeitlich | |
Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi übertragen. | |
15 Jan 2011 | |
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