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# taz.de -- Hausprojekt vor Räumung: Warten auf Tag X
> Zwei Wochen hat die Liebig 14 noch, dann soll geräumt werden. Nach außen
> gibt man sich kämpferisch. Trotzdem packen die Bewohner schon mal ihre
> Sachen.
Bild: Könnten sich am 2. Februar wieder gegenüberstehen: Linker und Polizei.
Immer wieder geht der Blick vom Tisch zur Fensterscheibe, nach draußen ins
Dunkel der Liebigstraße. Dann, wenn im Zehn-Minuten-Takt wieder ein
Mannschaftswagen der Polizei vorbeischleicht. Ein "Scheißgefühl" sei das,
sagt Fiona, 21 Jahre, schwarzer Kapuzenpullover, blonde, teils
grün-gefärbte Dreadlocks. Weil es jedes Mal daran erinnere, was demnächst
anstehe.
In einer Bäckerei, gleich neben der Liebig 14, sitzen am Montagabend Fiona,
Gerrit, Fabian, Sarah und Eric um einen kleinen Tisch. Es sind junge,
freundliche Gesichter, keiner ist älter als 25 Jahre. Sie tragen dunkle
Pullover, mummeln sich in Schals. Die Fünf sprechen unaufgeregt, nur selten
wird gescherzt, gelacht. Es gibt wenig Grund dazu.
Denn seit dem 10. Januar ist es offiziell: Die Liebig 14, eines der letzten
großen Hausprojekte im Friedrichshain, soll geräumt werden. Am 2. Februar
um 8 Uhr morgens. So steht es im Räumungsbescheid. Jahrelang haben Fiona,
Gerrit, Fabian, Sarah und Eric dagegen gekämpft. Und nun verloren.
In ihr Haus lassen die Liebig-Leute keine Fremden mehr, auch keine
Journalisten. Nicht jetzt, in den letzten Tagen. Man wolle sich einen
Rückzugsort bewahren, sagt Fiona. Bei all dem Trubel wenigstens dort
geschützt unter sich sein. Noch.
Die Eltern mit kleinen Kindern zogen bereits nach den letzten verlorenen
Gerichtsprozessen im November 2009 aus. Jetzt packen auch die anderen ihre
Sachen zusammen, schaffen das Wichtigste aus dem Haus. Ausziehen wollen sie
nicht. 25 Bewohner sind noch da, zwischen 18 und 40 Jahren, darunter auch
Engländer, Spanier, Italiener. Bis zu acht Jahre leben sie im Haus. Als der
Räumungsbescheid im Briefkasten lag, sei die Stimmung im Haus "sehr
emotional" gewesen, erzählt Sarah. Man versuche trotzdem einen Alltag zu
wahren. Wer studieren oder arbeiten geht, tue dies weiter. Nur ein Plenum
gebe jetzt täglich statt einmal die Woche.
Geht es um den 2. Februar werden die Fünf einsilbig. Man werde sehen, was
passiert. "Für uns ist das ja auch relativ offen", sagt Sarah. Alle 25
Bewohner seien gewillt bis zum Ende zu bleiben. "Wir werden das Haus nicht
widerstandslos übergeben."
Es klingt mehr nach Durchhalteparole als nach Kampfansage. Aber
Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) prognostiziert "erhebliche
Auseinandersetzungen". Die Polizei hält sich in Punkto ihrer Planung
allerdings auffallend bedeckt. An der letzten großen Hausräumung waren 600
Polizisten beteiligt, Ende 2009 in der Brunnenstraße 183 in Mitte. Diesmal
dürften es noch mehr Beamte werden, auch Spezialeinsatzkommandos sollen zum
Einsatz kommen. Weil die Liebig 14 viel fester in der Szene verwurzelt ist.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) droht bereits, den "Linksterroristen"
nicht nachgeben zu wollen.
Doch die Fünf in der Bäckerei haben wenig Terroristisches. Ruhig werben sie
um Verständnis, sprechen von "dem Versuch, anders zu leben" und "einem
Zuhause, das man uns nimmt". Geredet wird auf Englisch, damit die britische
Mitbewohnerin Sarah nicht außen vorbleibt. Monatelang hatten sie sich mit
dem Bezirk an einen Tisch gesetzt, nach Alternativhäusern gesucht.
Erfolglos. Auch weil die Eigentümer alle Gespräche verweigerten. "Offenbar
haben die mit uns nicht genug verdient", sagt Fabian. "Denen geht's nur um
Profit."
Noch bleibt der große Protest gegen die Räumung aus. Eine Demonstration
soll am 29. Januar durch Friedrichshain ziehen, auch am Räumungstag soll
demonstriert werden. Unbekannte warfen einen Brandsatz aufs Bezirksrathaus
im Bezirk, drohten Bürgermeister Schulz mit Gewalt. Die Mittel des Protests
seien jedem selbst überlassen, sagt Eric dazu nur. Widerstand aber sei
legitim.
Im Internet kursieren verschiedene Modelle, wie der Räumung begegnet werden
soll. Noch gibt es keinen öffentlichen Aufruf, sich direkt im oder vorm
Haus zu versammeln. Stattdessen wird diskutiert, im Umfeld "dezentral in
Kleingruppen zu agieren". Ziel sei es, zumindest die "Kosten der Räumung
möglichst hoch zu treiben". Es wird davon ausgegangen, dass die Polizei die
Liebigstraße großräumig absperren wird. In direkter Nachbarschaft befinden
sich die alternativen Hausprojekte "Liebig 34" und "Rigaer 94".
Das Haus selbst organisiert bisher nur ein Festival: Seit Montag gibt es
allabendliche Konzerte, Partys und Voküs. Die Unterstützung für die Liebig
sei "enorm", heißt es einstimmig in der Fünfer-Runde. Selbst in London habe
es Protest vor der deutschen Botschaft gegeben. Auch im Kiez wird das
Zusammenstehen sichtbar. "Solidarität mit L14" hängt ein Transparent am
Nachbarhaus. "We don't want other neighbors", heißt's auf einem anderen
Banner gegenüber.
Dass sich jetzt viele solidarisierten, sei ja auch ein Zeichen, sagt Fiona.
Die Liebig-Räumung sei eben nur Teil eines Prozesses der Kommerzialisierung
und Aufwertung der Innenstädte. Wer die steigenden Mieten nicht bezahlen
könne, werde an den Stadtrand verdrängt. Die Politik schaue da nur zu.
"Denen fehlen auch die Antworten", sagt Fabian. "Nicht nur zu unserem
Projekt."
Sollte die Polizei die Räumung durchziehen, werden die Liebig-Bewohner
nicht obdachlos auf der Straße stehen. Nachbarn und andere Hausprojekte
haben Schlafplätze angeboten. Man wolle als Kollektiv weitermachen, sich
möglichst in einem neuen Domizil wieder zusammenfinden, sagt Fabian. "Auch
wenn die Liebig verschwindet, wird die Idee alternativen Zusammenlebens
fortbestehen."
Es ist kalt geworden, als Fiona, Gerrit, Fabian, Sarah und Eric die
Bäckerei verlassen. Verkäufer Mehmet Kaplankiran blickt ihnen hinterher.
Schade sei das mit der Räumung, sagt er. "Da geht hier wieder ein Stückchen
Kultur und Vielfalt verloren." Und langweiliger werde es auch.
18 Jan 2011
## AUTOREN
Konrad Litschko
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