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# taz.de -- Das Dopingsystem des Lance Armstrong: Der Sturz eines Heiligen
> Nach den neuesten Enthüllungen gilt Lance Armstrong nun auch in den USA
> als Betrüger. Das könnte das Ende seiner Stiftung und seiner politischen
> Ambitionen bedeuten.
Bild: Schöne Scheiße! Und nun, Mr. Armstrong?
BERLIN taz | Lance Armstrong hat gedopt. Das ist keine Neuigkeit. Zumindest
in Europa, wo immer noch, wenn auch zusehends schwächer, das Herz des
Radsports schlägt. Hier gilt seit langem als gesichert, dass der
siebenfache Tour-de-France-Sieger seine Erfolge leistungssteigernden
Mitteln verdankt, die er und seine Helfer ebenso systematisch eingenommen
haben wie sein großer Gegenspieler Jan Ullrich und dessen
Telekom-Mannschaft.
In seiner Heimat allerdings ist das noch eine Neuigkeit für viele: Lance
Armstrong hat gedopt. Diese nicht erst seit den neuesten, vom Magazin
Sports Illustrated recherchierten Enthüllungen durchaus als Tatsache zu
bezeichnende Information war in den USA zwar stets bekannt, in der
kollektiven Wahrnehmung aber weitgehend verdrängt worden.
Im Gegensatz zum in Deutschland mittlerweile desavouierten Ullrich genoss
Armstrong in den USA immer noch den Status eines Heroen, eines Heiligen
gar, der übermenschliche sportliche Leistungen erbracht und ganz nebenbei
auch noch den Krebs besiegt hatte.
Während Ullrich sich in einem Schweizer Dorf namens Scherzingen vor der
Öffentlichkeit versteckt, wurde Armstrong bis zuletzt von großen Konzernen
dafür bezahlt, für ihre Produkte zu werben, und von den Mächtigen hofiert.
Noch kurz vor dem Start der "Tour Down Under", bei der der 39-Jährige
gerade radelt, wurde er vom US-Botschafter in Australien empfangen. Im
vergangenen Dezember hatte ihn die US-Armee nach Afghanistan entsendet, um
die dortigen Truppen aufzubauen: Armstrong nutzte die Gelegenheit, mal eine
Kalaschnikow auszuprobieren.
Nun aber wird auch zu Hause scharf geschossen. Dass es ausgerechnet Sports
Illustrated ist, das jetzt enthüllt, dass die amerikanische Ikone den
niemals zugelassenen Blutersatzstoff und Sauerstoffträger HemAssist
ausprobiert und jahrelang erhöhte Testosteronwerte aufgewiesen hätte,
markiert eine Zeitenwende. Denn bislang war das Flaggschiff des
US-amerikanischen Sportjournalismus mit dem Fall Armstrong sehr
zurückhaltend umgegangen. Die Linie des Magazins war bislang: Ohne
offiziell veröffentlichten positiven Doping-Test ist Armstrong weiterhin
unschuldig.
Die überwältigenden Indizien gegen den Nationalhelden, die vertuschten
Dopingtests von 1999, die Verbindungen zum Doping-Arzt Michele Ferrari, die
Aussagen ehemaliger Team-Kollegen wie Floyd Landis und Frankie Andreu: All
das wurde vom Leitmedium und der restlichen US-Öffentlichkeit zwar nicht
ignoriert, aber doch entschieden anders interpretiert als in Europa. Die
Anschuldigungen, die von der anderen Seite des großen Teichs kamen, wurden
gern als Neid abgetan. Nun häufen sich die Symptome dafür, dass sich das
Image von Armstrong auch in seiner Heimat entscheidend wandelt.
Mit ihrer Enthüllungsstory hat nun auch die mit einer wöchentlichen
Reichweite von mehr als 20 Millionen Lesern mit Abstand einflussreichste
Sportzeitung der USA das Armstrong-Lager offiziell verlassen: In der am
kommenden Montag offiziell erscheinenden SI-Geschichte weisen die Autoren
fein säuberlich nach, dass die erstaunliche Karriere des Texaners von
Anfang an auf Betrug aufgebaut war – von seinem vermutlich ersten Kontakt
mit Doping als 19-jähriger Amateur bis zu dem von ihm aufgebauten,
erschreckend avancierten System aus Lieferanten, Ärzten und Rechtsanwälten,
Radsport-Funktionären, die positive Tests vertuschten, und vermeintlichen
Doping-Jägern wie Don Catlin, die dabei mithalfen.
Jeff Novitzky, Chefermittler der U.S. Food and Drug Administration (FDA),
will Armstrong nachweisen, dass er von 1999 bis 2004, als er seine ersten
sechs Tour-Titel einfuhr, die Doping-Praktiken im damaligen US-Postal-Team
gesteuert habe. Sollte Novitzky dafür Beweise finden, droht Armstrong eine
Anklage wegen Drogenhandel, Geldwäsche, Verschwörung und organisiertem
Verbrechen. Außerdem wegen Unterschlagung, weil die amerikanische Post, die
als Hauptsponsor über die Jahre mindestens 32 Millionen US-Dollar in das
Team steckte, eine quasistaatliche Einrichtung ist.
Armstrong begegnet den Anschuldigungen, wie er es immer getan hat. Sein
Sprecher Mark Fabiani sagte Cycling News: "In der Geschichte werden
dieselben alten müden Lügen von denselben alten müden Lügnern recycelt."
Der Beschuldigte selbst reagierte in Australien wie üblich gereizt auf
Nachfragen und ignorierte das Thema demonstrativ in seinen
Twitter-Nachrichten. In denen erfährt man dafür, dass sich Armstrong um den
erkrankten Apple-Chef Steve Jobs sorgt.
Besser sollte er sich aber wohl um die eigene Zukunft Gedanken machen.
Selbst wenn er niemals vor Gericht landet, dürfte der aktuelle
Stimmungswechsel dafür sorgen, dass Armstrong trotz bester Beziehungen zu
George W. Bush seine politischen Ambitionen begraben kann. Ob die Texaner
einmal einen Doper zu ihrem Gouverneur wählen werden?
Auch seine Stiftung, die nach Informationen der New York Times allein im
vergangenen Jahr 31 Millionen Dollar in den Kampf gegen Krebs investiert
hat, ist gefährdet: Wer wird wohl noch einer Lance Armstrong Foundation
sein Geld geben, deren Namensgeber und Spendensammler als systematischer
Betrüger entlarvt ist?
Vielleicht beobachten wir gerade den Moment, in dem Lance Armstrong sich
auf den Weg macht, das zu werden, was aus Jan Ullrich bereits geworden ist:
ein Betrüger, der nie verurteilt wurde, aber seine Strafe in
selbstgewählter Isolation absitzt.
20 Jan 2011
## AUTOREN
Thomas Winkler
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