# taz.de -- Erfinder des digitalen Radiergummis: Der missverstandene Professor | |
> Michael Backes hat die Software X-Pire entwickelt, mit der Bilder im Netz | |
> verschwinden. Technisch perfekt ist sie noch nicht - ebensowenig wie die | |
> Vermarktung. | |
Bild: Wann wohl die Fotos verfallen? Startseite von X-Pire. | |
Vielleicht hätte sich Prof. Dr. Michael Backes etwas weniger an Ilse Aigner | |
anlehnen sollen. Die Bierzelt-gestählte Verbraucherschutzministerin der CSU | |
ist unter Netzaktivisten als Facebook- und Google-Hasserin gebrandmarkt, | |
seitdem sie sich aus dem sozialen Netzwerk mit Getöse verabschiedete und | |
den Bilderdienst Street View rustikal bekämpfte. Doch ohne die | |
Unterstützung Aigners hätte es wohl nicht so viel Aufmerksamkeit gegeben | |
für Backes' Hochschule, die Universität des Saarlandes in Saarbrücken. | |
Ein Spin-off namens [1][X-Pire] hat der Hochschullehrer für | |
Computersicherheit und Kryptografie gegründet, das eine Software entwickelt | |
hat, mit der man Bilder im Internet nach einer gewissen Zeit verschwinden | |
lassen kann. Die Idee wurde an der Uni entwickelt, doch die Firma selbst | |
sei ganz mit privaten Geldern hochgezogen, betont der noch keine 35 Jahre | |
alte IT-Spezialist im Gespräch mit der taz. 2005 wurde er, im Alter von | |
gerade einmal 27, zum jüngsten Informatik-Professor Deutschlands ernannt - | |
nicht etwa als Anfänger, sprich: Junior-Professor, sondern gleich auf | |
Lebenszeit. | |
Nachdem Backes' Idee vom "digitalen Radiergummi" von Aigner als | |
[2]["höchster Datenschutz Made in Germany"] bezeichnet wurde, nahmen sich | |
einige Experten und Blogger die Technik genauer vor. Sie [3][stellten | |
fest,] dass das Programm einige grundlegende Schwächen hat. Die erste: Es | |
ist möglich, nach der Entschlüsselung Screenshots anzufertigen. Dazu sagt | |
Backes, dass sich das technisch nie vermeiden lasse und die Zielgruppe, die | |
X-Pire anspreche, hier weniger in Gefahr sei. Ein "Angreifer" speichere | |
Bilder von Otto-Normal-Nutzern selten gezielt zwischen. | |
Außerdem funktioniert - und das ist das zweite Grundproblem - die | |
Bilderverschlüsselung nur dann, wenn der Verschlüsselnde und der Betrachter | |
von Internet-Fotos ein spezielles Plug-in einsetzen, das X-Pire kostenlos - | |
zumindest für die Darstellung - zum Download für den Browser Firefox | |
anbietet. "Ohne solche Zusatzsoftware geht das aber auch gar nicht", sagt | |
Backes, "wir brauchen etwas, das dazwischengeschaltet ist". Im Browser | |
selbst lasse sich die Technik nicht ohne Plug-in einbauen, auch wenn sein | |
Unternehmen entsprechende Standards favorisieren würde. | |
X-Pire, das seit dieser Woche [4][offiziell verfügbar] ist, funktioniert in | |
einem mehrstufigen Verfahren. Zunächst nimmt der Nutzer ein Bild, zieht es | |
in das Browser-Plug-in, wo es dann verschlüsselt wird. Dabei kann er | |
wählen, wo es landen soll - Netzwerke wie Facebook benötigen beispielsweise | |
bestimmte Anpassungen, damit der Inhalt nicht verloren geht. Anschließend | |
liegt ein verschlüsseltes Bild auf dem Desktop. In der Mitte befindet sich | |
ein Hinweis, dass man sich X-Pire zum Betrachten herunterladen muss. | |
Das Bild wird dann hochgeladen - zum Beispiel bei Facebook. Schaut ein | |
Nutzer die Aufnahme mit einem X-Pire-fähigen Browser an, fragt dieser bei | |
einem Entschlüsselungsrechner (Keyserver) nach dem zugehörigen Schlüssel. | |
Ist das Zeitlimit, in dem der Bild-Ersteller seine Aufnahme sichtbar lassen | |
will, noch nicht überschritten, wird das Bild entschlüsselt. Ist es | |
"abgelaufen", bleibt nur ein Rauschen - der Schlüsselserver verweigert die | |
Herausgabe des Schlüssels. | |
Die Server-Lösung sorgte für viel Kritik. Der Blogger und IT-Experte | |
[5][Kristian Köhntopp meinte,] der zentrale Schlüsselrechner stelle ein | |
Sicherheitsproblem dar. "Die Tatsache, dass der Keyserver nach dem | |
Verstreichen eines Verfallsdatums den Schlüssel nicht mehr ausliefert, | |
heißt nicht, dass der Schlüssel nicht mehr existiert", sagte er der taz. | |
Backes weist das weit von sich: Jeder Schlüssel werde unwiderbringlich | |
gelöscht, wenn ein Bild "abgelaufen" sei. Außerdem werfe der Server auch | |
Logdateien zu den Bildanfragen regelmäßig weg. "Die speichern wir nur | |
kurzfristig, damit wir den Dienst ausführen können." | |
Wer ihm das nicht glaube, der könne außerdem einen eigenen X-Pire-Keyserver | |
aufsetzen, kündigte Backes an. Diesen werde seine Firma Privatpersonen | |
kostenlos zur Verfügung stellen. Damit könne man dann seine Schlüssel | |
einfach selbst vorhalten. Allerdings muss dieser "Server im Keller", wie | |
Backes ihn nennt, beim Verschlüsseln bei X-Pire nachfragen, ob die Person | |
auch dazu berechtigt ist. "Das ist aber nur eine reine Account-Abfrage. | |
Welche Bilder wo geladen werden, wird überhaupt nicht übertragen", sagt | |
Backes. | |
Über das Problem mit den Servern will Backes nun auf seiner Website besser | |
aufklären: "Danke, dass sie mich darauf hinweisen", sagt er. Genervt hat | |
ihn, dass viele ihn nicht richtig gefragt hätten, was der "digitale | |
Radiergummi" könne und was nicht. "Da wurde viel Quatsch geschrieben." | |
Auch beim Preis, der ausschließlich für das Verschlüsseln verlangt wird, | |
hat Backes nachjustiert. Anfangs waren zehn Euro im Monat für eine | |
"Flatrate" geplant oder ein Bildpaket mit 20 bis 30 Verschlüsselungen für | |
ebenfalls zehn Euro. Im Netz lachten viele angesichts solcher Preise, | |
schließlich haben viele Verlage Probleme, für ihre Inhalte nur wenige Cent | |
zu verlangen. "Das war eindeutig zu teuer", räumt Backes ein. Nun ist das | |
Unternehmen bei Preisen zwischen knapp 2 Euro 30 und 2 Euro im Monat | |
gelandet. Gratis anbieten will er X-Pire nicht: "Das ist auch nicht im | |
Interesse des Nutzers. Der will von uns ja, dass wir seine Daten schützen. | |
Da können wir nicht Geld mit Werbung oder ähnlichem verdienen." | |
Dass Backes' Technik sich durchsetzt, ist trotzdem zumindest zweifelhaft. | |
Das Problem, dass erst einmal genügend Nutzer das Plug-in installiert haben | |
müssen, besteht weiter. "Das macht den Dienst aber grundsätzlich nicht | |
schlechter. Er funktioniert auch mit wenigen Nutzern", betont Backes. Wie | |
viele Kunden X-Pire in den ersten Tagen einsammeln konnte, wollte der | |
Professor trotzdem nicht sagen. | |
27 Jan 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.x-pire.de/ | |
[2] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Aigner-Hoechster-Datenschutz-made-in… | |
[3] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/digitaler-radiergummi-radiert-nicht/ | |
[4] /1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/vergessens-statt-erinnerungsk… | |
[5] http://blog.koehntopp.de/archives/2999-Das-Radiergummi-fuers-Internet-ein-S… | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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