# taz.de -- Itamar Rabinowitsch über al-Dschasira: "Natürlich reagieren sie w… | |
> Der TV-Sender Al-Dscharisa ist längst ein politisches Instrument | |
> geworden, meint der israelische Historiker Itamar Rabinowitsch. Er ist | |
> sicher, dass es Frieden erst mit der Demokratie geben werde. | |
Bild: Wütende Proteste gegen Mahmud Abbas, den Präsidenten der palästinensis… | |
taz: Lassen Sie uns zunächst über Mahmud Abbas reden, den Präsidenten der | |
palästinensischen Autonomiebehörde. Halten Sie für möglich, dass die | |
Al-Dschasira-Leaks getauften Enthüllungen über die Friedensverhandlungen | |
den Anfang seines politischen Endes bilden könnten? | |
Itamar Rabinowitsch: Al-Dschasira hat nicht die Macht, Abbas zu stürzen. | |
Da ist nicht nur al-Dschasira, sondern auch Tunesien und Ägypten. Werden | |
sich die Palästinenser von den Protesten anstecken lassen? | |
Moment. Das sind zwei verschiedene Themen, eigentlich drei. Da sind einmal | |
die Al-Dschasira-Leaks, dann gibt es Libanon, wo Iran versucht über die | |
Hisbollah die Kontrolle zu gewinnen, und zum Dritten die Bewegung in | |
Tunesien, Ägypten und vielleicht Marokko. Die arabische Welt hat große | |
Probleme. Die meisten Jugendlichen haben keine Arbeit und keine | |
Perspektive. Dazu kommt die Korruption, keine Demokratie, das explodiert. | |
Könnte es auch im Westjordanland explodieren? | |
Die Palästinenser sind sehr auf die nationale Selbstbestimmung | |
konzentriert. Außerdem ist die Wirtschaftslage im Vergleich gar nicht so | |
schlecht. | |
Die Protestierenden fordern Demokratie. Wie schätzen Sie ihre Chancen auf | |
Erfolg ein? | |
In Tunesien ganz gut, denn dort gibt es eine Zivilgesellschaft, einen | |
Mittelstand und geordnete Verhältnisse. In Ägypten halte ich es für | |
unwahrscheinlich, dass die Proteste grundsätzlich etwas verändern werden. | |
Wie steht Israel zu den Entwicklungen? | |
Einen echten Frieden wird es an dem Tag geben, da die Region demokratisch | |
sein wird. Das Problem ist, dass sich Demokratie nicht auf freie Wahlen | |
beschränkt. Dazu gehören Bürgerrechte, Rechtsstaat und andere Komponenten. | |
Ein Teil der arabischen Welt ist dazu noch nicht bereit. | |
Zurück zu den von Al-Dschasira veröffentlichten Protokollen der | |
Friedensverhandlungen mit Israel. Viele waren überrascht, vor allem viele | |
Palästinenser. Sie auch? | |
In Israel muss niemand überrascht gewesen sein. Ex-Regierungschef Ehud | |
Olmert schreibt ein Buch, von dem Ausschnitte schon veröffentlicht wurden, | |
darunter auch ein Kapitel über die Friedensverhandlungen. Außerdem hat er | |
in Interviews bereits ausführlich dazu Stellung bezogen. | |
Die Palästinenser sind sehr aufgeregt. | |
Unter den Palästinensern war die Sache weniger bekannt. Aber der Schock | |
wird sich legen. | |
Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erikat spricht von Morddrohungen | |
gegen ihn. | |
Die Hamas und der Islamische Dschihad drohen immer jedem, der zu Verzichten | |
bereit ist. Das gehört dazu. Was der ganzen Sache eine solche Dramatik | |
gegeben hat, ist, dass sie ohne jeden Zusammenhang dargestellt wurde. Wenn | |
man beide Seiten präsentiert hätte, dann stellte sich alles viel | |
ausgewogener dar. Was soll das heißen: Die Palästinenser verzichten auf | |
Jerusalem? Auch Israel verzichtet auf Teile Jerusalems. | |
Sie sagen, dass nicht der Inhalt der Protokolle, sondern die Art der | |
Darstellung die Aufregung verursachte? | |
Al-Dschasira hat nicht nur ganz gezielt die Auszüge aus den Verhandlungen | |
außerhalb von jedem Kontext präsentiert, sondern am gleichen Tag einen | |
Kameramann in die Flüchtlingslager geschickt, der den Leuten das Mikrofon | |
unter die Nase hält und sie fragt, was sie davon halten, verkauft zu | |
werden. Natürlich reagieren sie wütend. Al-Dschasira hat schon vor langer | |
Zeit aufgehört, ein Medium im klassischen Sinne zu sein, sondern gibt sich | |
her als politisches Instrument für eine nationalistische und islamistische | |
Agenda. | |
Trotzdem hat sich PLO-Chef Abbas doch sehr weit vorgewagt. | |
Es ist klar, dass die heutige palästinensische Führung von Abbas und | |
Ministerpräsident Salam Fajad nicht gleich Ex-PLO-Chef Jassir Arafat ist. | |
Heute hat Israel einen Partner für den Frieden. Was wir hier beobachten, | |
ist eine Generalprobe. In dem Moment, in dem es ernst wird, ist mit | |
Widerstand und Gewalt zu rechnen. Wir hatten das in Israel mit dem Mord an | |
Regierungschef Jitzhak Rabin, mit dem Massaker in Hebron und mit | |
palästinensischem Terror. Wenn wir uns heute die israelische Seite | |
angucken, dann werden die meisten Siedler in ihren Häusern bleiben können, | |
trotzdem müssen rund 60.000 umgesiedelt werden. Niemand soll glauben, dass | |
das friedlich über die Bühne geht. | |
Das steht doch momentan überhaupt nicht zur Debatte. | |
Im Moment gibt es keinen Friedensprozess. Aber wenn Sie wissen wollen, ob | |
es noch eine Hoffnung gibt, dann sage ich: Ja, die gibt es. | |
Warum ist es dann nicht schon längst zu einer Einigung gekommen? | |
Es gibt eine Basis für ein Abkommen; was fehlt, ist der politische Rahmen. | |
Das liegt nicht nur daran, dass wir in Israel eine Rechtsregierung haben, | |
sondern auch an der US-amerikanischen Regierung, deren Nahostpolitik nicht | |
effektiv ist - und weil Iran einen Schatten auf die Region wirft. | |
Ist beim Lesen der Protokolle auch bei Ihnen der Eindruck entstanden, dass | |
Israel Friedensverweigerer Nummer eins war? | |
Nein. Was soll das heißen: Friedensverweigerer Nummer eins? Alles, was die | |
Palästinenser angeboten haben, kam als Reaktion auf den Olmert-Plan. | |
Olmert hat die Rückführung von lediglich 5.000 palästinensischen | |
Flüchtlingen angeboten. | |
Und - hat Abbas ihm geantwortet? | |
Abbas will 100.000. | |
Das Angebot Olmerts ist nie beantwortet worden. | |
5.000 von insgesamt 5 Millionen Exilpalästinensern. Wie sollte Abbas das | |
seinem Volk gegenüber rechtfertigen? | |
Wie viele Sudetendeutsche sind nach dem Krieg nach Hause zurückgekehrt? Das | |
Flüchtlingsproblem begann 1948. Damals gab es weltweit fast hundert | |
Millionen Flüchtlinge. Heute sind nur noch die Palästinenser übrig. Wo sind | |
die eine Million Juden, die aus arabischen Ländern weggehen mussten. In | |
Flüchtlingslagern vielleicht? | |
28 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## TAGS | |
Libanon | |
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