# taz.de -- Fragiles arktisches Ökosystem: Die blinden Flecken der Klimaforsch… | |
> Wie beim Dominoeffekt könnte die Atmosphäre ab einer bestimmten | |
> Temperatur kippen. Forscher wissen aber zu wenig, um die Politik | |
> rechtzeitig zu warnen. | |
Bild: Kajakfahrer, aufgepasst! Verschwindet das Eis in Grönland komplett, wür… | |
STOCKHOLM taz | Der norwegische Außenminister Jonas Gahr Støre wählte | |
drastische Worte: "Forscher warnen uns, dass wir uns einem Zustand nähern, | |
in dem das arktische Ökosystem zusammenbricht", erklärte er bei der | |
Eröffnung von "Arctic Frontiers". Wann dieser Punkt erreicht ist, war das | |
Thema für rund tausend TeilnehmerInnen aus Wissenschaft und Politik auf der | |
fünften internationalen Arktis-Konferenz in der vergangenen Woche im | |
nordnorwegischen Tromsø. "Tipping Points" war das Motto der Konferenz, also | |
die Frage, wann das arktische Klima in einem sich selbst verstärkenden | |
Effekt unumkehrbar und unaufhaltsam kippt. | |
Sechs von vierzehn "Kippkomponenten" für das globale Klimasystem | |
lokalisierte der Ozeanograf Carlos M. Duarte vom spanischen | |
Forschungszentrum Imedia in der Arktis. Dazu gehört das arktische Seeeis, | |
das Sonnenstrahlen reflektiert und so einen kühlenden Effekt hat. Je | |
stärker es schmilzt, desto schneller erwärmen sich die Meere zusätzlich. | |
Aus Permafrostböden wiederum drohen gewaltige dort gebundene Mengen des | |
Klimagases Methan in die Atmosphäre zu gelangen. Würde das grönländische | |
Festlandeis verschwinden, würden die Ozeane weltweit um sieben Meter | |
ansteigen - allerdings würde das Jahrtausende dauern, das Eis ist im Mittel | |
zwei Kilometer dick. Trotzdem könnten innerhalb weniger Jahrzehnte einige | |
für das Weltklima zentralen Komponenten wie Dominosteine kippen, so Duarte. | |
Doch noch fehle die wissenschaftliche Basis für ein Frühwarnsystem. Duarte | |
sprach von "klaren Indikatoren, an denen wir festmachen können, dass wir | |
uns dieser Schwelle nähern. Und noch vorher anhalten können." Solches | |
Werkzeug müsse man der Politik liefern, damit die Weltgemeinschaft ähnlich | |
wie bei der Klimakonferenz in Cancún mit der 2-Grad-Vorgabe auf ein Ziel | |
hinarbeiten könne. "Unser Problem sind nicht zu wenige Daten", erklärte | |
Oran R. Young, Professor an der kalifornischen Universität Santa Barbara: | |
"Wir müssen uns klar werden, welche Daten relevant sind: Wir brauchen | |
einige wenige, aber entscheidende Indikatoren." | |
Beim Schmelzen des arktischen Seeeises werde der "Kipppunkt" derzeit | |
bereits überschritten, meint Duarte. Ein ab dem Jahr 2020 in den | |
Sommermonaten zum größten Teil eisfreies Arktismeer sei vermutlich nicht | |
mehr aufzuhalten. Einig sei man sich darüber, dass eine solche Entwicklung | |
große Veränderungen mit sich bringen werde, erklärte der Umweltbiologe Paul | |
Wassmann, Professor an der Universität Tromsø und einer der Initiatoren von | |
"Arctic Frontiers": Doch noch seien viele Fragen offen. | |
Ein Beispiel präsentierte die dänische Marinebiologin Dorte Krause-Jensen: | |
Verschwindet das Eis, entzieht das einerseits Eisbären und Robben ihre | |
natürliche Lebensgrundlage. Gleichzeitig wachsen durch das stärker | |
einfallende Sonnenlicht Plankton und andere Vegetationen im Wasser | |
kräftiger - eine für Meereslebewesen vermutlich vorteilhafte Entwicklung. | |
Neue Forschungen könnten ergeben, dass die angestrebte Begrenzung der | |
globalen Erwärmung auf 2 Grad nicht reichen werde, berichtete der | |
Ozeanograf Stefan Rahmstorf, Professor am Potsdam-Institut für | |
Klimafolgenforschung: Womöglich schmelze das grönländische Inlandeis schon | |
bei einem Anstieg von 1,3 bis 2,3 Grad unwiderruflich, darauf deuteten | |
bislang unveröffentlichte Forschungen hin. Der Weltklimarat sprach in | |
seinem Bericht von 2007 von 1,9 bis 4,6 Grad. Schon jetzt sind die globalen | |
Temperaturen durchschnittlich um 0,8 bis 0,9 Grad angestiegen. | |
31 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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