# taz.de -- Reaktionen auf Proteste in Ägypten: In Bagdad drücken sie die Dau… | |
> Saddam ist tot, Ben Ali im Exil - und jetzt stürzt Mubarak? Junge Iraker | |
> reden sich die Köpfe heiß. In ihre Bewunderung für die Ägypter mischt | |
> sich Skepsis über ihr Land. | |
Bild: Im Cafehaus in Bagdad werden die Proteste in Ägypten gebannt verfolgt. | |
"Es ist vorbei, aus und vorbei", sagt Ahmed Ali Wali. "Gestern Ben Ali, | |
heute Mubarak, die Diktatoren im Nahen Osten sind angezählt." So wie Wali, | |
der Besitzer des Kaffeehauses Jungle Night, kleben viele Iraker am | |
Fernseher und verfolgen die Nachrichten aus Tunesien und Ägypten. | |
"Mubarak könnte nun wirklich abdanken", sagt Ammar Rahim. "Er ist noch | |
länger an der Macht als Saddam es war." Als Saddam Hussein die Macht | |
übernahm, waren weder Wali, Rahim noch sonst einer der Männer hier geboren. | |
Als er gestürzt wurde, waren sie kaum volljährig. Warum haben es die Iraker | |
damals nicht genauso gemacht wie die Tunesier und vielleicht auch bald die | |
Ägypter? "Die Iraker sind Feiglinge", sagt Wali. Mitten im Gedanken wird er | |
unterbrochen. "Schaut euch das an", ruft Rahim. "Sie plündern!" | |
Die Spannung im Jungle Night steigt. Der Sender al-Arabia zeigt ein | |
Regierungsgebäude, aus dem Flammen schlagen, zeigt rußgeschwärzte Fassaden, | |
zertrümmerte Schaufenster, ausgebrannte Autos. Männer schleppen Möbel weg, | |
einer schiebt einen Ledersessel vor sich her, ein anderer trägt eine Bank | |
mit goldenen Füßen davon - Bilder wie aus Bagdad im Frühjahr 2003. "Hey, | |
die sind auch nicht besser als wir", sagt Rahim. Ein Grinsen breitet sich | |
über sein glatt rasiertes Gesicht. Andere sind schockiert. | |
"Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie bei uns", murmelt einer. Als der | |
Sender von Überfällen auf Privathäuser berichtet, stimmt auch er in die | |
Schadenfreude ein. "Das haben wir zumindest nicht getan." Es ist ein Moment | |
der Katharsis. Wie ein Schandmal empfanden viele Iraker die Bilder von den | |
Plünderungen, die 2003 um die Welt gingen. | |
Wer hat Saddam gestürzt? | |
"All die Jahre haben die Araber uns als Plünderer beschimpft", sagt Rahim. | |
"So ist es eben, wenn eine Revolution stattfindet", fügt er lakonisch an | |
und wendet sich wieder Saddam zu: "Wir haben ihnen vorgemacht, wie man | |
einen Diktator stürzt." Wie ein Kobold hüpft der Angestellte von einem Bein | |
aufs andere. Aber waren das nicht die Amerikaner? "Schon", räumt er ein, | |
"aber ohne unsere Unterstützung hätten sie es nicht geschafft." | |
Kaffeehausbesitzer Wali entgegnet: "Nein, die Iraker waren nicht bereit, | |
die Opfer zu bringen, die der Kampf gegen eine Diktatur und Ungerechtigkeit | |
fordert." Doch damit steht er hier ziemlich allein da. Sein Vater, der sich | |
hinzugesellt hat, erinnert an Saddams Brutalität. "Die Iraker sind mutige | |
Leute. Aber gegen die Kurden hat er Giftgas eingesetzt, und er hat wahllos | |
Frauen und Kinder umgebracht", sagt der Eisenwarenhändler. "Im Vergleich zu | |
Saddam sind Ben Ali und Mubarak die reinsten Waisenknaben." | |
Als George W. Bush den Befehl für den Einmarsch gab, sollte der Irak ein | |
Beispiel für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit werden. Dass der Terror und | |
das Morden zwischen Schiiten und Sunniten im Irak Tunesier oder Ägypter | |
inspiriert haben könnte, ist schwer vorstellbar. Doch davon sind viele | |
irakische Kommentatoren überzeugt. "So fragil die demokratische Entwicklung | |
in unserem Land ist, ist sie doch der Beweis dafür, dass Demokratie auch im | |
Nahen Osten möglich ist", sagt der Kolumnist Hamed Gaed Juburi. "Mit | |
unseren Wahlen haben wir in der arabischen Welt ein Zeichen gesetzt." | |
Ob die Demokratie im Irak den Abzug der Amerikaner übersteht, ist derzeit | |
fraglich, nicht nur wegen der ständigen Terroranschläge. Jüngst hat das | |
höchsten Gericht die wichtigsten unabhängigen Körperschaften der Exekutive | |
unterstellt. Das Urteil, das auf Betreiben von Regierungschef Nuri | |
al-Maliki erging, betrifft die Wahlbehörde, die Menschenrechts- und die | |
Antikorruptionskommission sowie die Zentralbank. Bisher hat al-Maliki | |
Kritik an sich abprallen lassen. Solange er im Amt sei, müsse er wissen, | |
was in den Behörden vor sich gehe, sagte er und schloss: "Das Urteil ist | |
unumstößlich." | |
Für Ammar Rahim ist dieser Coup eine weitere Bestätigung dafür, dass der | |
Regierungschef auf dem besten Weg ist, ein Diktator zu werden. "Al-Maliki | |
ist ein Mini-Saddam", schimpft Rahim - dabei hat er ihn selbst gewählt. Das | |
bereut er nun. "Ich werde nie wieder wählen!" Etliche nicken. Sie sind | |
enttäuscht von der Politik, die nichts zur Verbesserung ihres Lebens | |
beiträgt. | |
Schlimmer als in Ägypten | |
Jawad Kadhem ist Ingenieur, doch einen Job findet er nicht. Stattdessen | |
bringt er sich und seine dreiköpfige Familie mit Gelegenheitsjobs durch. | |
Wie ihm ergeht es vielen Hochschulabsolventen. Nach UN-Angaben liegt die | |
Arbeitslosigkeit bei knapp 30 Prozent, und jedes Jahr drängen | |
Hunderttausende neu auf den Arbeitsmarkt. "In Tunesien und Ägypten gibt es | |
mindestens Strom und die Dienstleistungen funktionieren", sagt Jassem. "Wir | |
haben nicht einmal das. Ich wünschte, wir würden auch gegen unsere korrupte | |
Regierung demonstrieren." | |
Obwohl noch Vormittag, ist das Jungle Night fast brechend voll. Das Café im | |
Stadtteil Zeyuna ist hip. Den Eingang zieren Graffiti, die Wände sind | |
dunkel, in einem Nebenraum stehen die Billardtische. Für Besitzer Wali wäre | |
es eine Goldgrube, müsste er nicht jeden Monat ein Drittel der Einnahmen | |
für den Generator berappen. | |
"Die Leute haben Geld, das ist nicht das Problem", sagt Wali. Der Handel | |
floriert, in der Innenstadt gibt es zahlreiche neue Restaurants, die | |
zerbeulten Karossen aus der Saddam-Zeit haben neuen Mittelklassewagen Platz | |
gemacht. "Der Staat zahlt gute Gehälter", erklärt Wali. "Doch Bagdad sieht | |
noch immer so aus wie vor acht Jahren, nichts hat sich geändert." | |
Tatsächlich gleicht die Hauptstadt eher einer Drittweltmetropole. Sobald es | |
regnet, breiten sich auf den Straßen Seen aus. Zwischen schäbigen Fassaden | |
zieht sich ein schier unendliches Kabelgewirr. | |
Die Iraker wollen Ruhe | |
"Was in Tunis und Kairo passiert, sollte ein Weckruf für unsere Politiker | |
sein", sagt der Kolumnist Juburi. "Sie müssen die Klagen der Bürger endlich | |
ernst nehmen und dafür sorgen, dass es Strom und Arbeit gibt." Im | |
vergangenen Sommer gab es in mehreren südirakischen Städten Unruhen wegen | |
der katastrophalen Stromversorgung. | |
Die Regierung befinde sich in einem Wettlauf mit der Zeit, sagte ein | |
hochrangiger Mitarbeiter der US-Botschaft in Bagdad. Wenn sie mit den | |
Erwartungen der Bürger nicht Schritt halten könne, seien mangelhafte | |
Dienstleistungen eine der größten Gefahren für den fragilen Frieden. | |
So sehr die jungen Männer im Jungle Night dem Beispiel ihrer Altersgenossen | |
in Tunesien und Ägypten folgen würden - weder Wali noch Rahim und Kadhem | |
glauben, dass die Iraker für ihre Forderungen auf die Straße gingen. "Der | |
Irak ist kompliziert. Alles, was man hier sagt, wird sofort durch die | |
schiitische, sunnitische oder kurdische Brille betrachtet, sagt Kadhem. | |
"Nach dreißig Jahren Krieg, Sanktionen und Bürgerkrieg sind die Menschen | |
ausgezehrt. Sie wollen Ruhe und Frieden." | |
Dass es Frieden gibt, glaubt hier keiner. Wali schaut auf die Fernsehbilder | |
aus Kairo. "Bei uns wären die Demonstrationen schnell vorbei", sagt er. | |
"Ein Bombenanschlag würde reichen, damit sich keiner mehr auf die Straße | |
traut." | |
1 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Porträt Husni Mubarak: Drei Jahrzehnte an der Macht | |
Attentatsversuche, Krankheit und islamistisches Aufbegehren hat Mubarak | |
unbeschadet überstanden. Jetzt verweigert ihm sein Volk nach drei | |
Jahrzehnten die Gefolgschaft. | |
Proteste in Ägypten: Mubarak enttäuscht sein Volk | |
Mubarak vergibt in einer Ansprache die Chance auf einen Abgang in Würde. Er | |
ignoriert die Rücktrittsforderung und will wieder Ordnung schaffen. | |
US-Präsident Obama dringt auf einen schnellen Übergang. | |
Proteste in Ägypten: Alternativen schleierhaft | |
Noch ist völlig unklar, wer das Vakuum nach Husni Mubarak füllen wird. | |
Innerhalb der Opposition ist vor allem eine Zusammenarbeit mit den | |
Muslimbrüdern umstritten. | |
Kommentar Ägypten und Islamismus: Schreckgespenst Islamismus | |
Das Mubarak-Regime behauptet, die Revolution könnte islamistisch kippen. | |
Das geht in Ägypten nicht auf – aber in Europa. Dabei wird sich Teheran | |
1979 nicht wiederholen. | |
Ticker vom Protesttag in Ägypten: Zwei Millionen gegen Mubarak | |
"Das Regime muss weg!" Millionenen Menschen haben in Kairo gegen Präsident | |
Mubarak demonstriert. Viele richteten sich auf eine Nacht im Freien ein. | |
Die Ereignisse des Tages zum Nachlesen. |