# taz.de -- Ende der Liebig 14: Räumung mit Hindernissen | |
> Es ist vorbei, das Hausprojekt ist geräumt. Hunderte demonstrierten auf | |
> den Straßen gegen den Einsatz. Am Ende präsentierte die Polizei einen | |
> Haufen Müll und Verteidigungsanlagen, die sich als harmlos entpuppten. | |
Bild: Bisschen eng hier: verbarrikadierter Flur in der Liebig 14. | |
Es ist finster und kalt. Der Wetterbericht hat Eisregen vorhergesagt. | |
Normalerweise sind die Bürgersteige in Friedrichshain so früh am Morgen wie | |
leergefegt. Nicht so am Mittwoch: Dunkel Gekleidete mit tief ins Gesicht | |
gezogenen Kapuzen durchstreifen den Kiez in kleinen Gruppen. Die einen | |
halten Bierflaschen, die anderen Kaffeebecher, dritte beißen in ein | |
Brötchen. Man sieht viele junge Leute. Manche sprechen Englisch | |
miteinander, sie haben die Nacht durchgemacht und halten sich nur mit Mühe | |
auf den Beinen. Alle Männer und Frauen haben dasselbe Ziel: möglichst nah | |
an die Liebigstraße 14 heranzukommen, die an diesem Morgen von der Polizei | |
geräumt wird. Das Problem ist: Die Straßen rund um das Haus sind seit 5 Uhr | |
weiträumig abgesperrt. "Selbst vor dem kleinsten Mauseloch steht ein | |
Bulle", sagt ein junge Frau enttäuscht. | |
Rastlos ziehen die Solidaritätswilligen umher. An allen Kreuzungen, die zur | |
Liebigstraße führen, werden sie von Polizeiketten aufgehalten. Nicht mal | |
ein Blick auf das Haus lässt sich erhaschen. Als in der Straßenschlucht das | |
"Lied vom Tod" erklingt, ist klar: die Räumung hat begonnen. | |
Hässliche Szenen | |
Es kommen immer mehr. In der Proskauer Ecke Rigaer Straße stehen bald so | |
viele Menschen, dass die Polizisten sie nicht mehr auf die Bürgersteige | |
zurückdrängen können. Von der Frankfurter Allee her nähern sich rund | |
weitere Unterstützer. Im Nu bildet sich eine Spontandemonstration. Die | |
Einsatzhundertschaften werden immer nervöser. Beamte rennen los, versuchen | |
sich an die Spitze des Zuges zu setzen. Es kommt zu hässlichen Szenen: | |
Demonstranten werden rabiat zurückgedrängt, ein Polizist wendet sein | |
Pfefferspray an. Eine junge Frau bricht tränenüberströmt an einer Hauswand | |
zusammen. Weitere Einheiten verschließen den Weg zur Frankfurter Allee. | |
Aber ein Teil der Unterstützer ist bereits durchgerutscht. Der Verkehr auf | |
der Magistrale kommt zu Erliegen. | |
So geht es den ganzen Vormittag. Immer wieder bilden sich | |
Spontandemonstrationen und werden wieder zerstreut. Die Spur der | |
Unterstützer zieht sich wie ein schwarzer Lindwurm durch den Kiez. Wie | |
viele Menschen es sind, ist schwer zu sagen, mehrere hundert auf jeden | |
Fall. In den Mittagstunden ebben die Proteste ab. Kräfte sammeln für den | |
Abend, lautet die Parole. | |
Das größte Verkehrshindernis ist die Polizei selbst. Rund 2.500 Beamte - | |
die Hälfte davon aus dem Bundesgebiet - blockieren mit zig Mannschaftswagen | |
die Straßen. "Berlin ist immer eine Reise wert", witzelt ein Beamter aus | |
Leipzig. Eine etwa 40-jährige Erzieherin aus der Bänschstraße sagt, sie | |
fühle sich extrem belästigt. "Von der Polizei", schiebt sie nach. Nicht von | |
den Demonstranten. "Das Haus hätte nicht geräumt werden müssen". Auch der | |
Inhaber des Ladens, der im Weidenweg Sicherheitstechnik anbietet, ist | |
stocksauer. Allerdings aus anderem Grund: Wegen der Straßensperren bleiben | |
ihm die Kunden weg. Als der Mann hört, dass die Polizei Stunden für die | |
Räumung braucht, haut er sich belustigt auf die Schenkel. "Hätten se ma | |
mich geholt. Ich hätte die Hütte ganz schnell aufgehabt". | |
Sperrmüll im Treppenhaus | |
Gegen 13.30 Uhr dürfen Journalisten die geräumte Liebig 14 besichtigen. | |
Spaghettipackungen, Popcornmais in Tüten und Ketchup stehen noch im | |
Küchenregal des dritten Stocks. Die sechs Männer und drei Frauen, die sich | |
hier bis zuletzt verschanzt hatten, waren gut ausgerüstet. Im Innenhof | |
stapeln sich Sofas, Metallabsperrungen, Turnschuhe und Matratzen. Alles | |
Sperrmüll, den die Polizei hinausbefördert hat, ehe sie sich Zugang zum | |
Haus verschaffen konnte. | |
Am Vormittag hatte die Polizei verbreitet, in dem Gebäude gebe kein | |
Treppenhaus mehr. Die Bewohner hätten es herausgerissen, um die Räumung zu | |
erschweren. Beim näheren Hinsehen stellte sich raus: Die Treppen sind noch | |
da. Vor lauter Sperrmüll waren sie nicht zu sehen gewesen. Die Wand aus | |
Sperrmüll sei kaum durchdringbar gewesen, sagt ein Polizist. "Wir mussten | |
unser komplettes Repertoire einsetzen, um hier durchzukommen". Als Beamten | |
ins Erdgeschoss eindrangen, sei ihnen Wasser aus den oberen Etagen | |
entgegengeflossen. Auch eine verschweißte Metallvorrichtung habe man mit | |
Sägen, Brecheisen, Bohrhammern entfernen müssen. | |
Zu den Bewohnern im dritten Stock waren die Polizisten durchs Dachgeschoss | |
vorgedrungen. Dort sei man auf Badewannen mit Flüssigkeit gestoßen, aus der | |
Elektrokabel ragten, so ein Polizeisprecher. Eine Überprüfung des | |
Hindernisses, die wieder einige Zeit dauerte, ergab aber, dass das | |
Stillleben nicht unter Strom stand. | |
Nach Aussage des Polizeisprechers haben die Besetzer "nicht so agiert, dass | |
Leib und Leben Anderer zielgerichtet gefährdet werden sollten." Sie hätten | |
sich in erster Linie verbarrikadiert. "Das aber gewaltig." Allerdings seien | |
die Polizisten, die schließlich zu den Bewohnern vordrangen, durch einen | |
Türspalt mit Feuerlöschern und Reizgas beschossen worden, so der Spreher | |
weiter. Letzlich hätten sich die neun Personen aber widerstandslos ergeben. | |
Ermittelt werde gegen sie wegen gefährlicher Körperverletzung. | |
Jetzt steht das Haus leer. An einer Flurwand steht geschrieben: "Tritt den | |
Bullen ins Gesicht, bis der Schädel bricht." Schokolade liegt unangerührt | |
auf dem Boden, Vollmilch-Mandel und Edelbitter. | |
2 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Plutonia Plarre | |
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