Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bürgerinitiative für das Oderbruch: Weltkultur, nah am Wasser geb…
> Das Oderbruch soll Unesco-Welterbe werden. Der Vorschlag einer hat
> Charme, finden selbst Skeptiker. Von der Vergangenheit allein kann die
> einzigartige Kulturlandschaft aber nicht leben. Sie braucht auch Zukunft.
Bild: Landschaft im Oderbruch
Letschin ist die heimliche Hauptstadt des Oderbruchs. Hier gibt es eine
Kaufhalle, mehrere Bäckereien und eine noch größere Schar treuer Bewunderer
von Friedrich II., den sie hier immer noch den Großen nennen. Mitten im Ort
steht sein Denkmal als sichtbares Zeichen. Schon zu DDR-Zeiten wurde es
wieder an seinen Platz gestellt. Das Bruchvolk kann in solchen Dingen
hartnäckig sein.
Letschin war es auch, wo Ende Januar eine denkwürdige Veranstaltung
stattfand. Eingeladen hatte der Verein "Wir im Oderbruch", eine Gruppe von
20 Leuten, die sich um den Erhalt der im 18. Jahrhundert erschaffenen
Kulturlandschaft kümmert. Weil es um das Vereinsziel wegen des anhaltenden
Binnenhochwassers derzeit nicht besonders gut steht, zauberte Mario Forner,
der Vorsitzende von "Wir im Oderbruch" auf der Veranstaltung eine
überraschende Forderung aus der Kiste. Das Oderbruch, sagte Forner, solle
auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes. "Unser Ziel ist es, die
Landschaft so zu schützen, wie sie ist."
Welterbe Oderbruch - das wäre nicht nur eine Aufwertung von Letschin, der
heimlichen Hauptstadt des ansonsten gottverlassenen Landstrichs zwischen
Küstrin und Bad Freienwalde. Mit den Schlössern und Gärten in Berlin und
Brandenburg, der Museumsinsel und den Siedlungen der Moderne wäre der Osten
Brandenburgs auch in guter Welterbegesellschaft.
Vor allem aber wäre der Welterbetitel eine Verneigung vor der Leistung
Friedrichs, der ab 1747 die berüchtigte Sumpflandschaft trocken legen ließ.
Dabei wurde der Lauf der Oder zwischen Güstebiese und Hohensaaten um 20
Kilometer verkürzt, Gräben und Drainagen wurden angelegt, Deiche gebaut. Am
1. Juli 1753 war das gewaltige Werk vollbracht.
Doch das war nur der erste Schritt. Nach der Trockenlegung folgte die
Kolonisierung. Auf die gewonnene Provinz mit ihrer Fläche von 130.000
Morgen wurden 1.300 Kolonistenfamilien "angesetzt", wie es Theodor Fontane
nannte. Sie waren von Friedrich aus aller Herren Länder an die Oder geholt
worden, also kamen Pfälzer, Schwaben, Polen, Franken, Westfalen,
Vogtländer, Mecklenburger, Österreicher und Böhmen in die neuen
Kolonistendörfer. Die neuen Bewohner des Oderbruchs mussten ihr Kommen
nicht bereuen, wie Fontane wusste: "Man streute aus und war der Ernte
gewiss. Es wuchs ihnen zu. Alles wurde reich über Nacht." Nun will man in
Letschin die Saat von damals noch einmal ernten.
Nicht nur die Bewohner des Oderbruchs wurden vom Vorstoß aus Letschin
überrascht, sondern auch Jürgen Peters. Gleichwohl kann der Professor für
Landschaftsplanung und Regionalentwicklung an der Hochschule für
nachhaltige Entwicklung in Eberswalde der Idee einen gewissen Reiz nicht
absprechen. "Die Potenziale sind vorhanden", sagt Peters und verweist auf
das einzigartige Gewässersystem und die Siedlungsstruktur mit ihren
Loose-Gehöften, wie sie nur im Oderbruch vorhanden seien. Dennoch warnt
Peters vor allzu großen Erwartungen. "Das Verfahren ist sehr kompliziert
und langwierig", gibt er zu bedenken. "Vor einem Antrag müssen zwei
unabhängige Gutachten die Potenziale bewerten, erst dann kann das Land
Brandenburg den Vorschlag einreichen."
Die Freunde Friedrichs in Letschin müssen also einen langen Atem haben. Und
nicht immer endet eine Bewerbung tatsächlich auf der begehrten Liste. Die
Bewerbung für die Altstadt von Heidelberg etwa gammelt schon seit 1999 im
Welterbebüro in Paris. Darüber hinaus ist Deutschland mit 33
Welterbestätten im internationalen Vergleich deutlich überrepräsentiert.
Und dann sind da noch die Motive. Was steckt überhaupt hinter dem
überraschenden Vorschlag aus Letschin? Soll mit dem Welterbetitel
tatsächlich die Kulturlandschaft geschützt werden? Oder gilt der Schutz den
Landwirten, die sich lautstark darüber beklagen, dass die
Entwässerungsgräben vom zuständigen Gewässer- und Deichverband Oderbruch
jahrelang nicht entkrautet wurden? Mehr Geld für ein Welterbe könnte auch
eine Vorsorge gegen weitere Binnenhochwasser sein. Die Initiative "Wir im
Oderbruch" sagt dazu nicht allzu viel. Sie sind halt etwas schweigsam im
Oderbruch.
Manchmal allerdings emanzipiert sich eine Idee auch von dem, der sie
einbringt. Vor allem dann, wenn man, wie es Jürgen Peters von der HNE
Eberswalde fordert, die polnische Seite mit ins Boot holt. Nicht nur das
Oderbruch ließ Friedrich im 18. Jahrhundert trocken legen, sondern auch die
Niederungslandschaften der Warthe. Auch am größten Zufluss der Oder hat
Preußens König aus einer Sumpfregion Land für Kolonisten geschaffen - das
ist die Parallele. Der Unterschied: Das Warthebruch ist, anders als das
Oderbruch, ein unvollendetes Werk geblieben. Weil bei der Trockenlegung
nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) nicht mehr genug Geld in der
Staatskasse war, wurde nur der östliche Teil melioriert. Der westliche Teil
vom heutigen Slonsk bis Kostrzyn blieb dagegen eine natürliche
Auenlandschaft, die jedes Jahr im Frühling vom Hochwasser überflutet wird.
Für die in Graz lehrende Bauhistorikerin Simone Hain ist das Warthebruch
deshalb auch eine Zäsur in der Verwaltungsgeschichte Preußens - und der
Beginn des neuen Bauens. David Gilly, der spätere preußische Baumeister,
hat in seiner Zeit als Wasserbauingenieur an der Warthe die klamme
Kassenlage genutzt, um fortan schnörkellos und funktional zu bauen - der
Beginn der preußischen Klassik.
Auch Kulturlandschaften wie das Warthebruch, das wäre die Botschaft einer
deutsch-polnischen Doppelbewerbung, sind nicht statisch, sondern Produkte
ihrer Zeit. Das Gleiche gilt für das Oderbruch, dessen Entwässerungssystem
zu DDR-Zeiten ausgebaut wurde, um den "Berliner Gemüsegarten" noch
leistungsfähiger zu machen - auch wenn man bald vom "Luxusgemüsegarten"
sprach. Kosten- und Nutzenrechnungen sind aus der Kulturlandschaft
Oderbruch also nicht wegzudenken. Eine bloße Konservierung des Bestehenden,
wie es der Verein "Wir im Oderbruch" will, wird auch mit Welterbestatus
nicht zu machen sein.
Eine spannende Diskussion um die Zukunft dagegen schon, glaubt Kenneth
Anders. Schon vor Jahren hat der Landschaftsplaner mit dem Denklabor
"Oderbruchpavillon" vier Szenarien für das Oderbruch entwickelt - und stieß
auf heftigen Widerstand. Eine der möglichen Zukünfte sahen Anders und sein
Mitstreiter Lars Fischer nämlich in einer Renaturierung der
Kulturlandschaft. Seitdem geht im Oderbruch die Angst um - und die Sorge,
die unterlassene Instandhaltung der Gräben sei ein erster Schritt zur
Aufgabe des Oderbruchs.
Nun haben Anders und Fischer gemeinsam mit der HNE Eberswalde eine
Sommerschule zur Zukunft des Oderbruchs ins Leben gerufen. Das wichtigste
Ergebnis für Anders: "Das Oderbruch ist nicht, wie es viele Bewohner
behaupten, eine Schicksalsgemeinschaft." Vielmehr gebe es Dörfer, die ein
höheres Hochwasserrisiko haben, und solche mit einem niedrigeren. "Schon
deshalb müssen wir das Oderbruch differenziert behandeln." So solle etwa
auf gefährdeten Bruchlagen von Ackerwirtschaft auf Grünlandbewirtschaftung
umgestellt werden.
In Potsdam, bei den Landespolitikern, kommen nachdenkliche Töne wie diese
freilich nicht an. Bei einer Sitzung des Brandenburger Landtags anlässlich
des andauernden Binnenhochwassers waren sich fast alle Parteien einig: Ein
differenzierter Umbau der Kulturlandschaft, wie ihn nicht nur der
Oderbruchpavillon, sondern auch die Hochschule in Eberswalde und die
Brandenburger Grünen fordern, kommt für Rot-Rot nicht in Frage. Vielmehr
stellte Ministerpräsident Matthias Platzeck mehr Geld sowie die Einsetzung
eines Oderbruchbeauftragten in Aussicht.
Auch deshalb hofft Kenneth Anders nun auf die Hilfe aus Letschin. "Mit
einem Antrag, das Oderbruch und das Warthebruch unter den Schutz der Unesco
zu stellen, wird auch die Diskussion um die Zukunft dieser
Kulturlandschaften Fahrt aufnehmen", hofft er.
3 Feb 2011
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Windräder
## ARTIKEL ZUM THEMA
Windräder versus Unesco-Welterbe: CDU-Mann ist Grünen zu grün
Ein Dorfbürgermeister in Rheinland-Pfalz zieht gegen die rot-grüne
Landesregierung vor Gericht. Die verbietet ihm den Bau von drei Windrädern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.