# taz.de -- Der Film "Human Terrain" über US-Militärs: Wo Killer lernen | |
> Der Film "Human Terrain" dokumentiert jüngste Versuche des US-Militärs, | |
> sich von Sozialwissenschaftlern beraten zu lassen - und ist ganz sicher | |
> kein Werbefilm für den Krieg. | |
Bild: Wie funktioniert es, Marines kulturell zu sensibilisieren? Humain Terrain… | |
Was verändert sich, wenn Sozialwissenschaftler die Armee bei der | |
Kriegsführung beraten? Die Armee, der Krieg, die Sozialwissenschaftler? Und | |
wenn Anthropologen sich darauf einlassen, Armeen bei der Besetzung fremder | |
Länder zu beraten - was genau tun sie dann eigentlich? Wie funktioniert es, | |
Marines kulturell zu sensibilisieren? | |
Der Dokumentarfilm "Human Terrain", von den Filmemachern David und Michael | |
Udris und dem Professor für Internationale Politik, James Der Derian, | |
stellt diese Fragen - und er verweigert sich einfachen Antworten. Im Jahr | |
2005 begann die US-Armee im Rahmen der aufkommenden | |
Aufstandsbekämpfungsstrategien (Counterinsurgency) Anthropologen | |
anzuwerben; das löste eine Debatte innerhalb der wissenschaftlichen | |
Community aus. | |
Steht ein solches Engagement mit dem Militär nicht im direkten Widerspruch | |
zur Unabhängigkeit und Distanz des Wissenschaftlers? Andererseits: Wenn die | |
Kenntnisse, die Anthropologen über fremde Kulturen beizutragen haben, dazu | |
führen können, dass Kriege weniger blutig geführt werden, ist es dann nicht | |
ihre Pflicht, daran mitzuwirken? | |
Der Film zeigt Ergebnisse dieses Engagements. In langen Sequenzen sehen wir | |
US-Soldaten in speziellen Trainingszentren in den USA, wo ganze irakische | |
Dörfer nachgebaut wurden. Irakischstämmige Zivilisten werden als | |
Rollenspieler eingesetzt, sie sollen den Soldaten im Training vermitteln, | |
wie sie vorzugehen haben - bei der Suche nach Aufständischen, bei | |
Kampfeinsätzen in städtischer Umgebung, mittendrin in einer | |
Zivilbevölkerung, von der sie nicht wissen, ob sie ihnen freundlich oder | |
feindlich gesinnt ist. Sie sollen lernen, die Iraker als Menschen zu | |
begreifen und zu respektieren - aber in einer Tonaufnahme aus dem Off | |
äußern sich die Marines abfällig über die Gagen der irakischen Statisten. | |
Bing West, hohe Figur im Verteidigungsministerium unter Reagan, sagt: "Kann | |
man Marines und Fallschirmjäger, von denen jeder weiß, dass sie harte Kerle | |
sind, zu Diplomaten machen? Nein. Sie sind vor allem Killer. Wenn man sagt, | |
ein Marine ist einer, der mit einem Gewehr umgeht - was tut man mit einem | |
Gewehr? Man erschießt jemanden." | |
Der Film folgt der Geschichte eines der ersten Anthropologen, die sich auf | |
die Zusammenarbeit mit dem Militär eingelassen haben. Michael Bahtia ging | |
2007 nach Afghanistan, nachdem er zuvor an Der Derians Institut geforscht | |
hatte. Er wollte seine Ideen und Kenntnisse in die Praxis umsetzen, doch | |
auch er zweifelte an seiner Entscheidung, die ihn gleichermaßen zum | |
Fremdkörper in der Armee und in der wissenschaftlichen Community machte. | |
Die nämlich hatte sich klar gegen ein solches Engagement gestellt. | |
Im November 2007 veröffentlichte die Amerikanische | |
Anthropologie-Gesellschaft eine Erklärung, in der sie das Human Terrain | |
System als "eine problematische Anwendung anthropologischer Expertise vor | |
allem aus ethischen Gründen" ablehnte. Oder, wie es die Anthropologin | |
Catherin Lutz im Film sagt: "Da ist diese verführerische Idee, dass wir in | |
der Lage wären, in einer Krisensituation zu helfen. Aber ich denke, wir | |
müssen einen Schritt zurückgehen und uns fragen: Helfen wobei? Wem? Um was | |
zu tun? Was sind denn die Ziele von Krieg und Besatzung? Will die | |
anthropologische Community denn dabei helfen?" | |
Als Michael Bahtia im Mai 2008 mit einem Militärkonvoi in Afghanistan auf | |
eine Bombe fuhr, war er der erste Sozialwissenschaftler, der im Einsatz | |
getötet wurde. Die Dreharbeiten hatten zu diesem Zeitpunkt längst begonnen, | |
der Tod ihres Freundes und Kollegen Bahtia veränderte den Zugang der | |
Filmemacher und den Film. Die Zerrissenheit Bahtias wurde die zentrale | |
Achse des Films, Interviews mit seiner Familie kamen hinzu. Sinnsuche. | |
"Human Terrain" ist ein Porträt geworden, nicht nur von Michael Bahtia, | |
sondern auch von einer US-Armee, die trotz ihrer militärischen Übermacht | |
völlig verunsichert ist, wie diese noch immer neuen Kriege zu führen sind. | |
Es ist ganz sicher kein Werbefilm für den Krieg - wie die meisten | |
Intellektuellen auch in den USA lehnte etwa Der Derian, der in Deutschland | |
an Diskussionen über den Film teilnimmt, den Irakkrieg von Beginn an ab - | |
aber wir sehen doch mehr nachdenkliche und um neue Antworten bemühte | |
Soldaten und Offiziere, als man gemeinhin glaubt. | |
## "Human Terrain", Dienstag 8.2. 19 Uhr, im Berliner Kino Babylon (Mitte), | |
Diskussion u. a. mit Der Derian. Am 7. März, 19.30 Uhr im taz-Café in | |
Berlin, ebenfalls mit Diskussion | |
8 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
Bernd Pickert | |
## TAGS | |
USA | |
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