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# taz.de -- Reform der Pflegeversicherung: Still, kostendämpfend, weiblich
> Von 4 Millionen Pflegebedürftigen, die zu Hause versorgt werden, erhalten
> nur 1,5 Millionen Geld aus der Pflegeversicherung. Der Sozialverband VdK
> will das ändern.
Bild: 70 Prozent der Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen, sind weib…
BERLIN taz | Wenn Hartwig Schwer Hunger hat, ist er angewiesen auf seine
Frau, er selbst kann keinen Löffel mehr zum Mund führen. Wenn er zur
Toilette muss, dann auch mit Hilfe seiner Frau, er selbst kann nicht mehr
laufen. Und wenn er sich unterhalten möchte, dann braucht er dazu auch
seine Frau, er selbst kann zwar noch reden, aber: "Wer besucht uns denn
noch, wir haben doch für niemanden mehr Zeit."
Maria Schwer, seine Frau, schilderte am Mittwoch bei einer Pflege-Tagung
des Sozialverbands VdK in Berlin ihren Alltag, den sie seit Jahren erträgt
- und mit ihr deutschlandweit vier Millionen weitere pflegende Angehörige.
Schwers Mann ist aufgrund einer Nervenkrankheit rund um die Uhr
pflegebedürftig, die vier Kinder und die beiden Hunde sind zunehmend
aggressiv, weil sie ständig zu kurz kommen.
Und Frau Schwer selbst: ist Köchin, Putzfrau, Erzieherin, Pflegerin,
nebenbei noch berufstätig, bei reduzierter Stundenzahl, "was mein Risiko
der Altersarmut steigert", aber wie sonst soll es gehen? Von dem Geld aus
der Pflegeversicherung können die Schwers nicht leben: Es sind 400 Euro im
Monat.
"Still, kostendämpfend und weiblich", nannte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher
dieses System der häuslichen Pflege und warnte vor seinem Ende, sollte die
Rolle der pflegenden Angehörigen - 70 Prozent von ihnen sind Frauen - nicht
spürbar finanziell, gesellschaftlich und politisch aufgewertet werden.
Von 4 Millionen Pflegebedürftigen, die zu Hause versorgt würden, erhielten
nur 1,5 Millionen Geld aus der Pflegeversicherung. Und das, obwohl der
Staat mit den pflegenden Angehörigen ein Millionengeschäft mache: Würde die
Versorgung ausschließlich von Profis übernommen, dann kämen "Lohnkosten von
mindestens 75 Milliarden Euro jährlich für 3,2 Millionen
Vollzeitarbeitsplätze zusammen", sagte Mascher.
Als Konsequenz fordert der VdK eine bessere Vereinbarkeit von Pflege- und
Erwerbstätigkeit. "Pflege sollte uns mindestens so viel wert sein wie
Kindererziehung", sagte Mascher. Verbessert werden müssten die
Rentenanwartschaften für Angehörige, die für die Pflege zeitweise aus dem
Beruf aussteigen. Nötig seien eine "Lohnersatzleistung" ähnlich dem
Elterngeld sowie anerkannte Rentenzeiten wie bei den
Kindererziehungszeiten. Pflegende bräuchten ein "Rückkehrrecht" auf ihre
Vollzeitstellen sowie Förderung beim beruflichen Wiedereinstieg.
Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) reagierte prompt. Obwohl er "nicht
alles versprechen" könne, werde er "die verbesserte Anerkennung der
Pflegeleistungen auf die Rentenleistungen mit der Arbeitsministerin
diskutieren", sagte Rösler in seiner Rede vor dem VdK.
Den Angehörigen sagte er "Unterstützung bei der zeitlichen, körperlichen,
seelischen und finanziellen Belastung" zu. "Ambulant vor stationär", so
Rösler, bleibe das Ziel seiner Pflegepolitik. Die Statistik widerspricht
ihm: Seit 2001 ist die Zahl der Pflegeheimbewohner um 18 Prozent gestiegen.
Die Quote der daheim Versorgten dagegen sinkt stetig.
Auf die Frage, ob sie einmal überlegt habe, mit Rücksicht auf sich selbst
ihren Mann in einem Heim pflegen zu lassen, sagte Maria Schwer am Mittwoch
nur: "Ich liebe meinen Mann."
9 Feb 2011
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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