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# taz.de -- Armut in Kairo: Im Land der Müllsammler
> Im Kairoer Viertel Ezbet al-Nakhl müssen zahlreiche Familien vom Müll der
> Anderen leben. Die meisten sind Kopten. Nonnen kümmern sich um die armen
> Familien.
Bild: Der verwertbare Müll wird in diesem Kairoer Armenviertel auf der Straße…
KAIRO taz | Heute gibt es in Ägypten keine Schweine mehr", sagt Dr. Adel.
"Das Problem ist gelöst." Das Thema sei tabu. Dr. Adel leitet die Klinik
des Salam-Zentrums im Viertel Ezbet al-Nakhl im Nordosten Kairos. Er ist
ein kleiner, untersetzter Mann von 62 Jahren, der mehr als die Hälfte
seines Lebens unter den Ärmsten der Armen in der nordafrikanischen
Megametropole verbracht hat.
Als koptischer Christ und Arzt hat er sich eine Lebensphilosophie zu eigen
gemacht, die Pragmatismus und energisches Zupacken miteinander verbindet.
Das hat ihn zu einer Vater- und Führungsfigur im Salam-Zentrum gemacht, das
sich ganz besonders um die Müllsammler und ihre Familien kümmert.
Von den 600.000 Einwohnern des Viertels Ezbet al-Nakhl sind knapp 8.000
Müllsammler. Die meisten von ihnen sind Kopten. So nahm denn über Jahre
niemand Anstoß daran, dass diese Müllsammler auch Schweine hielten, die den
organischen Abfall, der tagtäglich eingesammelt wurde, schlicht auffraßen.
Das änderte sich schlagartig mit dem Auftreten der Schweinegrippe. Auf dem
Höhepunkt der Hysterie vor einem Dreivierteljahr ordnete die Regierung in
Kairo an, dass zum Schutz der Bevölkerung vor einer Epidemie alle Schweine
im Lande gekeult werden müssten.
Dass die Schweine mit dieser Krankheit kaum mehr zu tun hatten, als dass
sie ihr den Namen liehen, störte die Regierung dabei wenig.
Schweinebesitzer, die der Tötung nicht zustimmten, erhielten keinerlei
Entschädigung.
Und wer sich schließlich ins Unvermeidliche fügte, musste sich auch noch
mit weniger als einem Drittel des Kaufpreises zufriedengeben.
In Ägypten hatte sich damit das Problem Schweinegrippe über Nacht erledigt.
Im Rest der Welt dauerte es bekanntlich ein paar Wochen länger.
In den dutzenden eingezäunten Müllsortierstellen, die sich mitten in Ezbet
al-Nakhl befinden, eingerahmt von sechs- bis zehnstöckigen Wohnhäusern,
sind die Pferche, die früher den Schweinen ein Zuhause boten, verwaist.
Nur in zweien dieser Pferche suchen jetzt ein paar Ziegen und Schafe nach
verwertbarem Abfall. Doch Schafe und Ziegen fressen nicht dasselbe wie
Schweine. Der organische Müll bleibt deshalb lange in den Straßen liegen
und verrottet, bestialisch stinkend, in der Sonne.
Noch immer meiden die Müllsammler organischen Abfall wie Gemüse, Obst oder
Essensreste. Als "freie Unternehmer" wären sie nach ägyptischem Recht
gezwungen, für den Abtransport nicht verwertbaren Mülls zu sorgen.
Den Transport des Restmülls zu einer entsprechenden Müllhalde können sie
sich aber schlicht nicht leisten. Etwa 80 Prozent des Mülls, den sie
einsammeln, bringen sie zur Wiederverwertung in den Wirtschaftskreislauf.
Das macht ihren kargen Lohn aus.
Für das Müllsammeln selbst, das die Stadtverwaltung gegen eine Gebühr
jeweils für bestimmte Straßenzüge genehmigt, erhalten sie keinen Piaster.
In das Salam-Zentrum in Ezbet al-Nakhl gelangt man durch eine Gasse, die
gerade mal breit genug für ein Auto ist. Das Hoftor wird von einem Wärter
geöffnet und gleich nach dem Einfahren wieder verschlossen.
Vom weitläufigen Innenhof, der mit Bäumen bepflanzt ist und um den herum
sich mehrere Gärten gruppieren, blickt man auf vierstöckige Gebäude, in
denen sich die sozialen Einrichtungen befinden, die das Zentrum für die
Familien und für die Kinder der Müllsammler bereithält.
Das erste Gebäude, auf das man vom Hof aus trifft, beherbergt den
Kindergarten. In drei verschiedenen Zimmern sind jeweils etwa 20 Kinder
untergebracht.
Je nach Altersstufe spielen sie im Raum unter Anleitung einer
Kindergärtnerin oder sitzen wie in einer Vorschule an Tischen und folgen
den Anweisungen der weiblichen Aufsichtsperson. Im hintersten Raum befindet
sich die Kinderkrippe mit etwa sechs Betten, in denen die ganz Kleinen
schlafen oder große Augen machen, als eine ihnen völlig unbekannte Person
ins Zimmer lugt.
Kinder im Alter von einem Monat bis zu sechs Jahren finden Aufnahme in
diesem Kindergarten. Im kleinen Hinterhof des Kindergartens stehen mehrere
Spielgeräte wie Rutschen, Schaukeln und Karussells unberührt in der prallen
Sonne.
Die gegenüber liegende Wand ist mit diversen kindlichen Motiven geschmückt.
Ein Teddy malt einen Ball an, der von einem Seehund mit Mütze auf der
Schnauze balanciert wird, ein jüngerer Seehund in Blau jongliert mit zwei
Bällen, und eine Gitarre, eine Trompete und eine Trommel zieren die linke
Wandseite.
Ganz stolz ist Ordensschwester Miriam, die Oberin des Salam-Zentrums, auf
die Betreuung geistig und körperlich behinderter Kinder, die im Haus gleich
neben dem Kindergarten ihren Platz gefunden haben.
Mit einem Eimer am Arm steht ein etwa Zwölfjähriger vor diversen
Gegenständen. Er soll auswählen, welche davon in den Eimer gehören könnten.
Für jedes Kind steht jeweils ein Betreuer oder eine Betreuerin zur
Verfügung.
"Montessori" ist hier kein Fremdwort, sondern eine angewandte Methode, die
den Kindern Gefühl und Verständnis für die Dinge in dieser Welt vermitteln
soll. In ihren eigenen Familien wäre eine solch intensive Betreuung
unvorstellbar.
Seit 1976 hat der Konvent der Töchter der Heiligen Maria diese Einrichtung
nach und nach auf- und ausgebaut. Sie steht nicht nur koptischen Christen
offen, sondern Angehörigen aller Religionen und Ethnien, wie Schwester
Miriam betont.
Die Initiative ging von einer pensionierten französischen Ordensschwester
namens Emmanuelle aus, die hier in Kairo eine neue Lebensaufgabe fand.
Heute leben 19 Schwestern in dem Konvent. Nachwuchssorgen wie in Europa
kennt man hier in Ägypten nicht.
Am Anfang der Arbeit stand die medizinische Versorgung der Müllsammler und
ihrer Familien im Zentrum. Doch bald fragten die Einwohner des Viertels
nach einer Schule für ihre Kinder, wie Schwester Miriam zu berichten weiß.
In der Mahaba-Schule, die sich heute direkt neben den Müllsortierplätzen in
Ezbet al-Nakhl befindet, lernen derzeit knapp 3.000 Kinder.
"Ignoranz, Armut und Krankheit, das sind die drei übelsten Geißeln in
diesem Viertel", sagt Schwester Miriam. So sei es erst einmal darum
gegangen, für die Frauen im Viertel Personalausweise zu beantragen, damit
sie wenigstens die spärlichen Einrichtungen des ägyptischen Sozialstaats in
Anspruch nehmen können.
Auch habe man den Familien beibringen müssen, dass Kinder eine
Geburtsurkunde brauchen, damit sie zum Arzt oder zur Schule gehen können.
In einem riesigen Raum in der ersten Etage eines anderen Gebäudes des
Salam-Zentrums haben sich rund 40 Frauen versammelt. Hier ist
Frontalunterricht angesagt.
Die Lehrerin schreit in den Raum, hin und wieder melden sich einzelne
Frauen zu Wort. Heute steht auf dem Programm: "Wie löse ich ein Problem?"
Geduld müsse man den Frauen nahebringen, sagte eine Übersetzerin. Sie
sollten nicht gleich ausrasten, wenn etwas schiefläuft.
Die Programme für Frauen umfassen auch eine Beratung über zivile und
soziale Rechte, für die ein Rechtsanwalt ins Zentrum kommt. Andere Kurse
beziehen sich auf Gesundheit, Alphabetisierung und Erziehung. Zudem gibt es
Nähkurse, in denen Tücher und Schals hergestellt und dann zum Verkauf
angeboten werden.
Zu Ehren der ausländischen Gäste wird heute sogar feierlich ein
Friseurdiplom überreicht. Sechs Wochen lang haben die jungen Frauen je drei
Stunden am Tag unter fachlicher Anleitung gelernt, wie man Haare schneidet,
manikürt, pedikürt und dezent schminkt. Das Ergebnis kann sich sehen
lassen.
Die meisten der Absolventinnen mit Diplom arbeiten dann in der
Nachbarschaft. Ähnliche Abschlüsse gibt es für Alterspflegerinnen, die
alleinstehende ältere Menschen begleiten, für sie einkaufen oder einen Teil
der Hausarbeit übernehmen.
"Der Effekt der Globalisierung hat auch vor den arabischen Familien nicht
haltgemacht", sagt Schwester Oberin Miriam. Immer mehr ältere Menschen
würden alleingelassen und nicht mehr wie früher in den arabischen
Großfamilien von den Kindern betreut und versorgt. Auch deshalb habe man
längst eine Art Altersheim in der Nähe der Müllsortierungsstellen
aufgebaut.
Morgens von 7 bis 9.30 Uhr gibt es in den Klassen im Salam-Zentrum einen
Zusatzunterricht durch examinierte Lehrkräfte. Dafür müssen die Eltern etwa
zwei Euro im Monat bezahlen. Musik und Tanz und ein Computerkurs fehlen im
Zentrum natürlich auch nicht.
Getragen wird das Projekt vor allem durch Spenden aus aller Welt.
"Bildung", sagt Dr. Adel, "ist das Schlüsselwort für die Zukunft der Kinder
der Müllsammler."
Anm.: Diese Reise wurde von [1][Biblische Reisen Stuttgart] finanziert.
10 Feb 2011
## LINKS
[1] http://www.biblische-reisen.de/
## AUTOREN
Georg Baltissen
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