# taz.de -- Berliner Araber über Ägypten: Revolution im Hähnchen-Grill | |
> In vielen arabischen Ländern wird derzeit protestiert. Was denken Araber | |
> in Deutschland eigentlich darüber? Ein Stimmungsbild aus Berlins „City | |
> Chicken“. | |
Bild: Am Samstag feierten Ägypter in Berlin-Neukölln | |
Wenn du mit Arabern reden willst, hatte der Kollege gesagt, dann geh ins | |
„City Chicken“. Also los, auf nach Arab Town. Mal hören, was die Leute da | |
so reden. Die Bilder von Männern auf Kamelen im Kopf und die von den | |
standhaften, feiernden, fegenden Ägyptern. Das schale Gefühl im Bauch, die | |
letzten Jahre verpennt zu haben. Warum zum Teufel hatte niemand auf Ägypten | |
geschaut? Die Sonnenallee in Berlin-Neukölln runter, vorbei an arabischen | |
Backwaren, arabischen Schneidern, arabischen Internetläden. | |
Das City Chicken ist eine heiße Hölle. In fünf mannshohen Brätern drehen | |
sich je 28 Hähnchen, die Luft ist drückend, stickig, fettig. Man wird schon | |
satt, wenn man nur die Luft einatmet. Fliesenboden, Neonlicht, gemütlich | |
wird es durch die Leute, die immer mehr werden, bis sich die Schlange durch | |
den ganzen Laden schlängelt und manche eine gute Viertelstunde warten | |
müssen, bis sie ihr Huhn bestellen können. An den Fenstern kleben gelbe und | |
rote Schilder, „City Chicken“ steht da, und darunter etwas in arabischer | |
Schrift. „Farnsh al-Madina“, sagt einer, „Hühnchen aus der Stadt“. Im | |
Kühlschrank stehen arabische Pepsi, arabische Limo, Hummus, Ayran, | |
Gewürzgurken. | |
Fünf Stufen weiter oben, im hinteren Teil des Ladens, sitzen zwei Männer. | |
„Seid ihr Araber?“ – „Nö, Türken. Fragen Sie doch die dahinten, die s… | |
Araber.“ | |
Am Ende des Raumes hat es sich eine Großfamilie gemütlich gemacht, ein | |
Mann, drei Frauen, ziemlich viele Kinder. „Setzen Sie sich doch dazu“, sagt | |
der Vater, breite Schultern, Lederjacke, ein freundlicher Teddyglatzkopf um | |
die vierzig „Wir sind Libanesen. Klar, wir können gern sprechen.“ Die | |
Frauen sind skeptisch. „Suchen Sie sich doch andere Araber“, sagt eine. Sie | |
kämen gerade von einem Kurztrip nach London und würden gern in Ruhe essen. | |
„Jetzt lass sie doch“, sagt der Mann. Ein Mädchen mischt sich ein, um die | |
zwölf Jahre alt. „Wir haben eine tolle Religion“, sagt sie. „Aha“, sage | |
ich. Die älteste der Frauen sagt: „Nein, wirklich, das stört jetzt.“ Der | |
Mann gibt auf. | |
Am anderen Ende des Raumes sitzt ein Mann mit Schiebermütze und feinem | |
Schal. Ein Palästinenser aus dem Libanon, 40 Jahre alt, schult gerade zum | |
Mechatroniker um. „Große Freude, dass das ägyptische Volk so lange | |
durchgehalten hat, bis der Pharao gestürzt war“, sagt er. Er findet die | |
friedliche Beharrlichkeit der Leute bemerkenswert, „trotz der vom Regime | |
bezahlten Randale“. Und die fegenden Ägypter, was für ein Symbol! „Das | |
zeigt doch, dass Ordnung und Sauberkeit nicht nur deutsche Tugenden sind, | |
sondern Tugenden eines freiheitsliebenden Volkes.“ Arabische Männer, die | |
fegen. Wow! Fegt er auch zu Hause? „Klar!,Eine Ziege hält ihren Platz auch | |
sauber', hat meine Oma immer gesagt.“ | |
Am wahrscheinlich besten Platz im City Chicken, direkt neben der Tür, | |
sitzen drei junge Männer. Die Chance auf einen Hauch Luft ist hier ganz | |
ordentlich. Die Männer sind nicht sicher, ob sie über die arabische | |
Revolution sprechen wollen. Sie hätten einiges zu erzählen, aber die | |
Sprache, das sei ein Problem. „Meine Eltern haben mir empfohlen, in | |
Deutschland nicht über Politik zu reden“, sagt einer. „Das macht nur | |
Ärger.“ Aber dann wollen sie doch reden. | |
Sie kommen aus dem Jemen. Jemen, oha. Al-Qaida, Taliban, Paketbomben. Sie | |
rücken ihre Chicken-Teller beiseite, schieben sie wieder zurück, bieten | |
Hähnchen, Pommes, pinkfarbenen Weißkohlsalat an. Einer von ihnen ist | |
Ghamdab Al-Ansi. Schwarze Locken, das Bärtchen über dem Mund ist noch kein | |
Bart, die Narben auf seinen Wangen erzählen von der Pubertät. Er ist 21 | |
Jahre alt, seit einem Jahr in Deutschland. 700 Euro im Monat zahlt ihm die | |
jemenitische Regierung, damit er hier studieren kann. Nun lebt er im | |
Wohnheim in Greifswald und bereitet sich im Studienkolleg auf das Studium | |
vor, Humanmedizin. Ein besonnener Kerl, sucht nach den richtigen Worten in | |
der Sprache, die noch nicht seine ist. Gerade hat er Ferien, er ist nur | |
kurz in Berlin, einen Freund besuchen. | |
In den letzten Wochen hatte Al-Ansi täglich al-Daschasira geschaut. Er | |
hofft, dass es nach der ägyptischen auch eine jemenitische Revolution geben | |
wird. Die anderen sind nicht sicher. „Ich weiß nicht, ob das so gut ist, | |
wegen der Stabilität des Landes“, sagt sein Freund. Al-Ansi erzählt, dass | |
Jemen erst seit 1990 wiedervereinigt sei. „Wie Deutschland“, sagt er. Davor | |
war das Land in Nord- und Südjemen geteilt. Wenn es zur Revolution käme, | |
könnte sich das Land wieder teilen. „Davor haben die Leute Angst.“ | |
Wie geht es ihm damit, dass der Blick des Westens auf die arabische Welt | |
seit dem 11. September so offensichtlich von Angst und Hass geprägt war? | |
„Schade, dass es so ist“ sagt Al-Ansi. Er glaube nicht daran, dass die | |
Menschen hier wirklich so denken. „Es liegt an den Medien“, sagt er, „im | |
Fernsehen sind sie immer gegen die Araber, gegen den Islam.“ | |
Er redet von den Terrorpaketen, die aus Jemen kamen. Darüber habe er viel | |
geredet, auch mit Deutschen. „Ich habe mich für meine Landsleute geschämt.�… | |
Die Eltern in Jemen hätten ihm dann erzählt, dass die Pakete wohl aus | |
Griechenland kamen. „Aber für die deutschen Medien“, sagt er, „ist es | |
natürlich besser, wenn die Pakete aus dem Jemen kommen.“ | |
Ist es nicht eigenartig, dass der Westen jahrzehntelang Autokraten wie | |
Mubarak und Ben-Ali unterstützt hat und das hierzulande niemanden aufgeregt | |
hat? „Tja“, sagt Al-Asni, „vielleicht weil in Europa so ein Luxus herrsch… | |
Sie interessieren sich nicht für Politik.“ | |
Am Nachbartisch sitzt ein junger Mann. Sein Name soll nicht in der Zeitung | |
stehen, fotografiert werden will er auch nicht. Aber er will reden. Er ist | |
24 Jahre alt, kommt aus dem Libanon. Seit fünf Jahren ist er in | |
Deutschland, studiert Medizin. „Es ist doch eigenartig,“ sagt er, „der | |
Westen will unbedingt, dass Afghanistan und Irak und Syrien Demokratien | |
werden, mit freien Wahlen, so wie hier in Deutschland. Und in Ägypten und | |
Tunesien unterstützen sie Tyrannen wie Ben-Ali und Mubarak.“ Aber ist es | |
nicht komisch, dass sich in Deutschland niemand dafür interessiert hat? | |
Dass Westerwelle vor noch nicht mal einem Jahr noch lobende Worte für | |
Mubarak gefunden hatte, ihn als einen „Mann von großer Weisheit, der die | |
Zukunft fest im Blick hat“, bezeichnet hatte? Der Mann nickt. „In den | |
arabischen Ländern wissen alle, wie dieses System funktioniert“, sagt er. | |
„Jeder dort weiß es, seit Jahren, Jahrzehnten.“ | |
Einen Tisch weiter sitzen die Tunesier Belgacem Shabani und Khaled Ben | |
Ammar*. Ben Ammar ist 32 Jahre alt, lebt seit drei Jahren in Deutschland, | |
studiert Technische Informatik an der Beuth Hochschule in Berlin. Sein | |
Gesicht ist rund, er trägt ein helles Oberhemd, Lederjacke. | |
Die tunesische Revolution kam für ihn überraschend. Freut es ihn, dass sich | |
der Westen auf einmal mit den Arabern solidarisiert? Ben Ammar wird wütend. | |
„Es geht um die Ehre“, ruft er, „wir wollen einfach normal leben! Die | |
klauen das Geld nur, die Mächtigen. Alles, was der Westen geschickt hat. | |
Dann lieber gar kein Geld!“ Aber hey, da kann doch ein bisschen Solidarität | |
nicht schaden. „Es bringt nichts!“ ruft er. „Wir wollen keine Hilfe aus | |
Deutschland!“ Aber es geht doch jetzt nicht um Geld, es geht um Gedanken! | |
Ben Ammar will nichts davon wissen. „Wir können unser Problem selber | |
lösen!“ | |
Hat sich der Blick auf die arabische Welt gerade verändert? Er versteht die | |
Frage nicht. Nun ja, 11. September, Angst, Feindbild Islam. „Was hat das | |
mit uns zu tun?“, fragt er. „Wer hat denn vor Tunesiern Angst? Die | |
Deutschen fahren doch alle in den Urlaub hin.“ Stimmt auch wieder. Kann die | |
Demokratie in Tunesien funktionieren? „Hoffen wir es“, sagt er. | |
## Muslim ja, beten nicht so | |
Sein Freund Belgacem Shabani hört geduldig zu. Er ist 31 Jahre alt, vor | |
fünf Jahren kam er nach Deutschland. „Träume erfüllen“, sagt Shabani. �… | |
dachte, in Deutschland liegt das Geld auf der Straße, ich fülle mein | |
Säckchen und kehre als reicher Mann zurück. Warum sollte ich mich in | |
Tunesien ausnutzen lassen?“ | |
Hat sich der Blick auf die arabische Welt verändert? „Ich verstehe nie, | |
wenn die Leute denken, wir laufen alle verschleiert rum“, sagt er, „die | |
Tunesier trinken wahrscheinlich mehr als die Deutschen.“ Ist er Muslim? | |
„Ja“, sagt er, „ich bin Muslim – und ich mache, was ich möchte.“ Bet… | |
„Nee, beten nicht so.“ Fegen? „Muss ja.“ | |
„Ich mag Deutschland“, sagt Shabani. „Bin froh, dass ich aus Tunesien raus | |
bin. Hier kann ich sagen, was ich möchte, ohne gleich im Knast zu landen.“ | |
Kann Demokratie funktionieren in Tunesien? Er glaubt es nicht. „Das System | |
ist wie ein Baum. Du schlägst die Äste ab, den Stamm, aber solange die | |
Wurzeln tief in der Erde drin sind, wird der Baum überleben. Die werden nie | |
was Gutes schaffen.“ Jetzt, wo es gerade spannend wird, Shabani in Fahrt | |
kommt, zieht Ben Ammar ihn hoch, sie müssen gehen, sind noch verabredet. | |
„Die Politik ist schmutzig,“ sagt Ben Ammar zum Abschied. „Da braucht man | |
gar nicht drüber reden.“ | |
Vor der Tür des City Chicken steht der libanesische Teddyvater, raucht. | |
„Haben Sie gesehen, ja?“, sagt er. „Die arabischen Frauen haben viel | |
Macht.“ Wir stehen ein bisschen und rauchen. Verändert sich der Blick auf | |
die arabische Welt gerade? „Jaja, doch, doch“, sagt er, und schnippt die | |
Asche zwischen die Tonkugeln im Blumenkasten. „Kommen Sie doch mal in den | |
arabischen Verein im Wedding, da bin ich jeden Abend.“ Die Tür hinter ihm | |
öffnet sich, fettige Luft strömt auf die Sonnenallee. Sein Sohn zieht ihn | |
an der Lederjacke ins City Chicken zurück. „Es gibt viel zu reden“, sagt | |
er. Stimmt. | |
* Name von der Redaktion geändert | |
15 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Jana Petersen | |
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