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# taz.de -- Heinz Strunk über die Wahl in Hamburg: "Witze über Ostdeutsche ma…
> Am Sonntag wird in Hamburg ein neuer Bürgermeister gewählt. Heinz Strunk
> erklärt, warum es nur einen geben kann - und zwar ihn selbst.
Bild: Heinz Strunk sieht besser aus als Christoph Ahlhaus, Olaf Scholz und Anja…
taz: Herr Strunk, Sie kandidieren als Spitzenkandidat der "Partei" für das
Amt des Ersten Bürgermeisters in Hamburg. Machen Sie das für Ihre
persönliche Karriere?
Heinz Strunk: Ich kann in aller Bescheidenheit behaupten, dass ich das
uneigennützig mache. Es geht nicht darum, dadurch meine Popularität zu
mehren. Ich solidarisiere mich mit Martin Sonneborn, und der Titanic bin
ich seit 30 Jahren verbunden, sie ist für mich eine humoristische
Gegenbewegung gegen den ganzen Schrott. Die diesjährige Kandidatur wollte
ich zuerst gar nicht, weil mir das zu klamaukig erschien und ich nicht den
Eindruck eines "Hansdampfs in allen Gassen" hinterlassen wollte. Aber ich
habe im Rahmen der Solidaritätsgala gegen die Hamburger Kulturpolitik
meinen Beitrag leisten können. Das waren zwei Fliegen mit einer Klappe, und
es hat Spaß gebracht, die Rede für die Partei zu schreiben.
Was wollten Sie mit dieser Rede transportieren?
Sie sollte sich in der Tonalität an Politikerreden orientieren, inhaltlich
ging es ausschließlich darum, so viel wie möglich gute Gags unterzubringen,
wie auf den Haarschnitt von Anja Hajduk eingehen oder Ahlhaus zu
bezichtigen, er habe sein Vermögen mit Kettenbriefen gemacht, und Scholz
Lieblingshobby sei es, Sitzungen zu schwänzen.
Hat sich die Politik in Deutschland so verändert, dass die Menschen die
Politiker ohnehin nicht mehr ernst nehmen können? Wäre es vor 30 Jahren
möglich gewesen, mit einer satirischen Partei in der Öffentlichkeit
aufzutreten?
Vielleicht hat man solchen Figuren wie Willy Brandt damals noch
Gestaltungswillen zugetraut. Das ist bei einer entkernten Figur wie
Westerwelle unmöglich. Der ist eine Karikatur seiner selbst, nur leider
nicht lustig. Man traut ihm wegen seiner Kaltherzigkeit und seinem
offensichtlichem Funktionärskarrierestreben nicht zu, dass er ideelle Ziele
verfolgt. Der ist ein Typ Berufspolitiker, wie er heute dominiert. Deswegen
glaube ich auch, dass viele Menschen Politik gar nicht mehr ernst nehmen.
Verstärkt wird, dass Politik unter dem Globalisierungsdruck auch keine
gestalterischen Freiräume mehr hat und letztlich wirtschaftlichen
Sachzwängen gehorcht.
Man hat das Gefühl, die Welt wird von den großen Konzernen regiert. Und man
weiß vom unglaublichen Wachstum in China und von einer gefährdeten
Vormachtstellung der Vereinigten Staaten mit unabsehbaren Folgen. Ich
beschäftige mich damit viel zu wenig, als dass ich da kluge, substanzielle
Beiträge liefern könnte. Ich bin ja kein Politiker. Bevor ich hier mit
komischen Stammtischparolen beginne, schweige ich lieber still.
Ich muss Sie daran erinnern: Am Sonntag heißt es "Strunk for
Bürgermeister". Gibt es Ziele der Partei, die Sie ernsthaft befürworten,
wie etwa die Mauer zwischen Ost und West wieder aufzubauen?
Das ist in der Formulierung als Gag zu verstehen, aber ich finde schon,
dass es da gewisse Wahrheiten gibt. Ich verstehe wirklich nicht den Sinn
und Zweck eines Solidaritätspakts. Man fragt sich, wo das Geld so
versickert - abgesehen davon, dass sich irrsinnig viele Leute die Taschen
damit vollstopfen, sich persönlich bereichern. Irgendwelche ostdeutschen
Kleinstädte werden gepimpt bis zum Gehtnichtmehr, und wenn man mal im
Ruhrpott durch Gelsenkirchen fährt, sieht man, wie das verfällt, und in
Ostdeutschland gehen die Milliarden rein - das klingt jetzt auch etwas
stammtischmäßig.
Außerdem habe ich tatsächlich Vorurteile: Die östliche Population besticht
durch eine wahnsinnige Humorlosigkeit und durch ein extremes Fehlen an
Charme und Eleganz. Deswegen findet dieses Ossi-Bashing, was von der Partei
betrieben wird, bei mir fruchtbaren Boden. Es macht Spaß, Witze über
Ostdeutsche zu machen.
Wollen Sie mit Ihrem Humor die Gesellschaft kritisieren? Was bezwecken Sie
als Buchautor?
Ich verstehe meine Bücher nur bedingt als Gesellschaftskritik.
"Fleckenteufel" ist zum Beispiel eine schöne Geschichte, die ich selbst
erlebt habe und nach Charlotte Roches "Feuchtgebiete" dachte, es sei eine
gute Gelegenheit, diesen Teil meiner Biografie literarisch zu verwerten.
Ich habe thematisiert, dass die Diakone in den drei Gemeinden in Hamburg
durch die Bank hinter den kleinen Mädchen her waren. Sie haben ihren Schmu
gepredigt und waren ganz harte Bumsböcke. Dass die Verklemmtheit, dass es
noch ein Zölibat gibt, solche Sauereien begünstigt, liegt doch auf der
Hand. Da muss nicht Heinz Strunk kommen. Wenn wir schon dabei sind: Ich bin
mittlerweile ein schwerer Gegner der Religionen. Nach der ersten Million
Tote im Namen einer Religion sollte die bescheidene Frage gestattet sein,
ob die Menschheit nicht besser dran wäre ohne Religion.
Ging es bei "Fleisch ist mein Gemüse" auch um die Aufarbeitung Ihres Lebens
oder um eine Kritik am deutschen Kleinbürgertum, wie viele der
bildungsbürgerlichen Leser annehmen?
Ich habe für mich diesem trostlosen Abschnitt meines Lebens mit der
Tanzmusik im Nachhinein Sinn einhauchen können. Gelegentlich wird mir
vorgeworfen, ich sei in meiner Darstellung von Menschen bösartig oder
zynisch und würde nur über Monstrositäten und Deformationen berichten, aber
ich finde mich allenfalls genau, in dem, was ich beobachte. Ich würde mich
zwar nicht als Menschenfreund bezeichnen, weil ich viele Menschen widerlich
finde, aber ich bin kein erklärter Menschenhasser. Aber Bildungsbürgertum -
das klingt zu sehr nach FAZ, so konservativ.
Ich kann nur sehen, welches Publikum zu meinen Liveauftritten kommt: Das
ist jung, urban, wirkt akademisch vorgebildet, relativ stylish. Was ich
erstaunlich finde, ist, dass ich im grundsoliden deutschen Feuilleton so
gut wegkomme. An Heinz Strunk trennt sich die Spreu vom Weizen. Je dümmer
die Leute sind, desto weniger schnallen die, worum es geht. Das
Westfälische Volksblatt schreibt über mein neues Buch: "Wer Niveau oder gar
Tiefgang erwartet, wird bitter enttäuscht" - da frage ich mich, ob die noch
richtig ticken.
Sie schreiben in "Heinz Strunk in Afrika": Alle Deutschen sind im Kern
Blockwarte, Privatsheriffs, Schnüffler, Denunzianten. Schneiden Sie sich
nicht ins eigene Fleisch? Sie sind Deutscher.
Ich nehme mich nicht davon aus. Aber weil ich über eine ziemlich gesunde
Selbstdistanz verfüge, ertappe ich mich auch bei all diesen vermeintlich
deutschen Eigenschaften. Ich mache mittlerweile einen Gag draus, wenn Leute
nachts ohne Licht auf der falschen Seite Fahrrad fahren, schreie ich denen
hinterher: "Kein Licht, falsche Richtung" - aus Bock und um dieses
Blockwartding ad absurdum zu führen. Man sagt ja auch, die Deutschen seien
die Weltmeister der Melancholie - da zähle ich mich gerne dazu. Aber ein
Nationalbewusstsein ist bei mir null Komma minus vorhanden. Die letzte
Bastion des Patriotismus, sich für die Fußballmannschaft zu interessieren,
auch das: null.
Wie weit die Deutschen seit Hitler das Recht auf fröhlichen Nationalismus
verwirkt haben, sei mal dahingestellt. Andere Völker haben auch schlimme
Verbrechen begangen, das deutsche ist das perfekt monströseste von allen,
aber das sind halt die Deutschen. Stolz auf den Umstand, dass ich zufällig
in Deutschland geboren bin und nicht im Sudan oder so, bin ich nicht. Ich
gehe am liebsten und am härtesten mit Deutschen ins Gericht, weil ich das
auch am besten kann.
Sie schreiben auch, der Westen werde nicht durch Krieg und Verelendung,
sondern am seelischen Unglück zugrunde gehen.
Die Titelgeschichte im Spiegel ist Burn-out, eines der vielfältigen
Symptome des Unglücks, wie auch das Ausbreiten von Allergien. Es gibt
dieses Ranking, wo gefragt wird, wo die Leute am glücklichsten sind.
Bangladesch ist häufig auf Platz eins. Ich begreife das als
Schicksalsgerechtigkeit. Die Leute hier leben im Überfluss, können sich
alles kaufen, sind aber unglücklich, die Leute, die wenig haben, sind
glücklich. In Mombasa träumen alle davon, hierherzukommen - nicht wissend,
was sie hier erwartet und dass sie wahrscheinlich innerhalb von zwei Jahren
ihre gesamte Fröhlichkeit verlieren und hier saturiert und reich leben,
aber mit einem hohen Preis. Das ist so die globale, ausgleichende
Gerechtigkeit.
Hier sind sie mit ihrem Reichtum wenigstens mit Depressionen gestraft.
Wobei ich mich auf ganz dünnem Eis bewege, physisches Leid mit psychischem
zu vergleichen. Aber ich habe anhand meiner Mutter gesehen, die über
zwanzig, dreißig Jahre schwerste Depressionen hatte: mehr Leid geht nicht.
Wenn ich die Wahl hätte, würde ich jedes körperliche Gebrechen vorziehen,
selbst Hunger.
Eine letzte Frage zum Sonntag: Würden Sie sich selber wählen?
Eher nicht. Für mich ist keine Partei wählbar. Das letzte Mal bin ich zur
Wahl gegangen, als es darum ging, den dicken, ollen Kohl aus dem Amt zu
bugsieren.
16 Feb 2011
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Heinz Strunk
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