# taz.de -- Erfolgsprämien für Pharmafirmen: Medizin auch für die Ärmsten | |
> Mit einem Prämiensystem möchte Thomas Pogge die medizinische Versorgung | |
> in armen Ländern verbessern: Geld gibt es nur, wenn die Medikamente auch | |
> tatsächlich helfen. | |
Bild: Erdbebenopfer auf Haiti warten in einer langen Schlange auf medizinische … | |
BERLIN taz | Millionen Menschen in Entwicklungsländern am Fortschritt der | |
Pharmaindustrie teilhaben lassen - das ist das Ziel eines Projekts des | |
Philosophieprofessors [1][Thomas Pogge] aus Yale. Was zuerst wie die | |
romantische Idee eines Universitätstheoretikers klingt, hat bei näherer | |
Betrachtung durchaus Potenzial. Mit einer marktwirtschaftlichen Logik will | |
der Deutschamerikaner das Problem angehen, dass jährlich laut | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO) 18 Millionen Menschen in | |
Entwicklungsländern an behandelbaren Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria | |
oder Aids sterben. | |
Von den 1.400 zwischen 1975 und 1999 neu angemeldeten Medikamenten waren | |
nach Angaben der WHO weniger als ein Prozent für diese vernachlässigten | |
Tropenkrankheiten entwickelt worden. | |
Diesem Ungleichgewicht will Pogge mit einem Fonds begegnen, der durch ein | |
Prämiensystem die Entwicklung von Medikamenten für vernachlässigte | |
Krankheiten anregen soll. Die Höhe der Bezahlung soll dabei davon abhängen, | |
wie stark das Medikament dazu beiträgt, die "globale Krankheitslast" zu | |
verringern: Je mehr Menschen von einem neuen Wirkstoff profitieren, desto | |
lukrativer wird er. | |
Um Erfahrungen über die genaue Funktionsweise des Fonds in der Praxis zu | |
sammeln, wird Ende dieses Jahres ein Pilotprojekt starten. Dort soll | |
zunächst erprobt werden, wie gut sich die Wirkung eines Medikaments in | |
einer begrenzten Region messen lässt; Südafrika, Guyana oder Guatemala sind | |
dafür im Gespräch. Pogge und sein Team setzen ihre Hoffnungen für diesen | |
Testlauf auf ein antibiotisches Tuberkulosepräparat mit Namen TMC-207, das | |
kurz vor der Marktreife steht. | |
Die im Rahmen des Versuchs potenziell auszuschüttenden Prämien für die | |
Urheberfirma könnten über den Global Fund, der unter anderem auf die | |
Bekämpfung von Tuberkulose spezialisiert ist, oder über die Gates | |
Foundation bezogen werden. | |
## Globale Kosten: 6 Milliarden Dollar jährlich | |
Das Projekt trägt den Namen "[2][Health Impact Fund]" und würde das | |
bisherige Patentsystem erweitern: Wenn ein Konzern ein Präparat entwickelt, | |
soll er in Zukunft die freie Wahl haben, es entweder konventionell | |
patentieren zu lassen - die Forschungskosten also durch die Verkaufspreise | |
zu finanzieren - oder es beim Health Impact Fund zu registrieren. Das | |
Medikament würde bei der neuen Variante weltweit produziert und genutzt | |
werden können, auch von Generikaherstellern, die es billig kopieren. Bisher | |
ist genau das verboten. | |
Über eine Zeitspanne von zehn Jahren wird dann der Effekt des Wirkstoffs | |
gemessen und die Urheberfirma erhält jährlich eine Prämie aus den | |
finanziellen Mitteln des Fonds, die dem Anteil ihres entwickelten | |
Medikaments an den Gesundheitsauswirkungen aller dort gemeldeten | |
Medikamente entspricht. | |
"Die Einführung des Systems auf globaler Ebene würde zunächst 6 Milliarden | |
Dollar pro Jahr kosten", so Pogge. Diese große Summe ist notwendig, da | |
schon die Entwicklung eines neuen Medikaments laut wissenschaftlichen | |
Studien im Durchschnitt 800 Millionen Dollar kostet. | |
6 Milliarden erscheinen zwar zunächst wie eine gigantische Summe, aber auch | |
das Budget des Notprogramms des Präsidenten der USA für die Aidsbekämpfung | |
(Pepfar) beträgt nach offiziellen Angaben des Weißen Hauses in diesem Jahr | |
7 Milliarden Dollar. | |
"Wenn die Länder, auf die ein Drittel der globalen Wirtschaft entfällt - | |
zum Beispiel einige EU-Staaten oder die USA - 0,03 Prozent ihres | |
Bruttoninlandprodukts beisteuern würden, wäre der Betrag bereits erreicht", | |
sagt Pogge. Es ist ein nicht unerreichbarer Betrag, zumal auch die | |
Industrienationen von preiswerteren Medikamenten sowie medizinischer | |
Forschung, die darauf abzielt, Leiden zu verringern, anstatt Profit zu | |
maximieren, profitieren würden. | |
## SPD setzt sich für Projekt ein | |
Für die Auszahlung der Prämien muss klar gezeigt werden, wie viel ein | |
Medikament dazu beigetragen hat, die globale Krankheitsbelastung zu | |
verringern. Hierzu soll an einen weit verbreiteten Maßstab angeknüpft | |
werden: die sogenannten qualitätskorrigierten Lebensjahre (QALYs, | |
quality-adjusted life years). | |
Wenn zum Beispiel in einer stark von Tuberkulose betroffenen Region 50 | |
Prozent der Bevölkerung aufgrund der Krankheit nicht älter als 30 Jahre | |
wird und der TMC-207-Wirkstoff die Zahl auf 20 Prozent reduziert, so lässt | |
sich ein Wert durchschnittlich "geretteter Lebensjahre" finden. | |
Pogge fasst die Methode zusammen: "Ermöglicht ein Medikament einem | |
Patienten zwei zusätzliche gesunde Lebensjahre, die er ohne den Wirkstoff | |
nicht gehabt hätte, so werden ihm zwei QALYs zugeschrieben". | |
Die politischen Entwicklungen bezüglich des Fonds sind in verschiedenen | |
Staaten sehr vielversprechend. In Deutschland setzt sich die SPD für das | |
Projekt ein: In einem Antrag fordert sie auf Initiative von Karin Roth, | |
Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Bundestag, | |
eine Unterstützung des Projekts. | |
Pogge und sein Team stehen auch in regem Austausch mit Ministerien und | |
Initiativen in Norwegen, Spanien, Kanada und den Niederlanden. Im Februar | |
dieses Jahres sprach sich außerdem die internationale Organisation für | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) offiziell für den | |
Health Impact Fund aus. | |
Und auch in den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Erde, Indien und | |
China, fällt die Idee auf fruchtbaren Boden. Dort untersuchen zwei | |
Thinktanks die praktischen Vorteile des Fonds für die beiden Länder. Der | |
Abschlussbericht der bilateralen Kooperation wird in den nächsten Wochen | |
den jeweiligen Regierungen vorgelegt und von diesen diskutiert. Vor allem | |
in China stehen die Zeichen für einen Wandel gut: Die Regierung hat in | |
ihrem aktuellen und nächsten Fünfjahresplan der Reform des | |
Gesundheitssystems hohe Priorität eingeräumt. | |
"Im rasant wachsenden Bereich der Mitte kann sich die Mehrheit der | |
Bevölkerung selbst preiswerte Medikamente nicht leisten. China könnte hier | |
enorm profitieren", so Miltos Ladikas, Koordinator der internationalen | |
Projektzusammenarbeit für den Health Impact Fund. | |
## Konzerne sollen Monopolrechte abgeben | |
Im Rahmen des Projekts würden die bisher vernachlässigten Tropenkrankheiten | |
für die Pharmakonzerne zu einer ernstzunehmenden Profitquelle. An dieser | |
geplanten engen Kooperation mit der Privatwirtschaft entzündet sich aber | |
auch Kritik. "Ärzte ohne Grenzen befürwortet die Ausschreibung von | |
Forschungsprämien, wie sie von Pogge vorgeschlagen wird. Wir fordern aber | |
im Gegenzug für die ausgezahlten Prämien einen Verzicht der Konzerne auf | |
ihre Patentrechte", sagt Oliver Moldenhauer von [3][Ärzte ohne Grenzen.] | |
Laut Pogge sollen die Konzerne ihre Monopolrechte auf den Verkauf der neuen | |
Wirkstoffe abgeben, das Patent auf die Substanz an sich aber behalten | |
dürfen. Moldenhauer kritisiert, dass so NGOs und konkurrierende Unternehmen | |
nicht an der Weiterentwicklung und Optimierung der Medikamente arbeiten | |
könnten. | |
Pogge ist dieser Aspekt bewusst, ein Verzicht der Firmen auf ihre | |
Patentrechte würde die Verhandlungen aber erheblich erschweren: "Derartige | |
Vorhaben können natürlich immer noch etwas optimaler gestaltet werden. Das | |
Problem ist aber, dass wir etwas durchsetzen müssen. Und in dieser Hinsicht | |
sind die Pharmafirmen politisch eindeutig am längeren Hebel." | |
Einem 2010 veröffentlichten Forschungsbericht der EU-Kommission zufolge | |
werden derzeit im Gesundheitsbereich nur 10 Prozent des Gesamtbudgets für | |
Krankheiten verwendet, die 90 Prozent der Menschen betreffen. Der Health | |
Impact Fund könnte entscheidend dazu beitragen, dass sich dies ändert und | |
die pharmazeutische Forschung anfängt, sich auf das Wesentliche zu | |
konzentrieren. | |
25 Feb 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://pantheon.yale.edu/~tp4/index.html | |
[2] http://www.healthimpactfund.org | |
[3] http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/ | |
## AUTOREN | |
Elias Schneider | |
## TAGS | |
Aids | |
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