# taz.de -- Eishockeyteam warb für "Grünes Buch": Gaddafis deutscher Club | |
> Der Eishockeyclub ECD Iserlohn machte in den 1980ern Werbung für Gaddafis | |
> "Grünes Buch". Manche klagen noch heute über die "Doppelmoral" in Sachen | |
> Libyen. | |
Bild: 1988: Wüstensohn Gaddafi (l.) trifft den ECD-Vereinsboss und Baulöwen W… | |
ISERLOHN/HEMER taz | Mitte der achtziger Jahre ist die alte Bundesrepublik | |
im Eishockeyfieber. Die Jagd auf den Puck ist nach Fußball der beliebteste | |
Mannschaftssport. Tausende stürmen zu Bundesliga-Spielen in die Eishallen - | |
auch in der sauerländischen Provinz Iserlohn-Seilersee. Dort spielt der | |
Bundesligist ECD Iserlohn, doch der steht einmal mehr vor der Pleite. Das | |
Finanzamt fordert die Zahlung von 5,8 Millionen Mark alter Steuerschulden. | |
Für die Saison 1986/87 gibt es weitere Forderungen. | |
Schon im März 1986 hatten deshalb Steuerfahnder die Geschäftsräume des ECD, | |
aber auch die Wohnungen der in der ganzen Welt zusammengekauften | |
Eishockey-Cracks durchsucht. Danny Gare, Profi der National Hockey League | |
(NHL) Nordamerikas und ECD-Neuzugang, verschwand danach sofort wieder in | |
die Heimat. Der tschechische Ausnahmespieler Jaroslav Pouzar, Weltmeister | |
von 1976, fuhr seine Siebensachen aus Angst vor Pfändung über eine Woche | |
mit dem Auto durch die Gegend. | |
Entsprechend schlecht ist die Stimmung, als sich im Oktober 1987 einige | |
Herren aus Vereinsführung und Lokalpolitik treffen, um über die Rettung des | |
ECD zu beraten. Unter ihnen sind nicht nur der Vereinsvorsitzende Heinz | |
Weifenbach und der Anwalt Ingo Graumann, der dem ECD immer wieder als | |
Vorstand und Pressesprecher diente. Mit am Tisch sitzt auch Hans Meyer, bis | |
vor kurzem CDU-Bürgermeister des nicht einmal 40.000 Einwohner zählenden | |
Iserlohner Nachbarstädtchens Hemer. | |
In dessen Vorort Deilinghofen war der Club 1959 gegründet worden, woran das | |
"D" im Vereinsnamen ECD Iserlohn erinnert. Doch in der Herrenrunde macht | |
sich schnell Hoffnungslosigkeit breit. Schließlich zahlt der rustikale | |
Vereinsboss Weifenbach seine Top-Spieler längst nur noch sporadisch - mit | |
Barem aus der Jackentasche. "Geld bekam, wer am lautesten schrie", erinnert | |
sich einer, der damals dabei war. | |
Außerdem bürgt der gelernte Maurermeister Weifenbach persönlich für fast 4 | |
Millionen Mark Schulden der Vereinssenioren - sein Geld hatte der | |
Bauunternehmer im Boom der Sechziger und Siebziger gemacht. Danach rühmt | |
sich der Schnauzbartträger, Deilinghofen werde vor Ort nur noch | |
"Weifenhofen" genannt, weil seine Firma das halbe Dorf hochgezogen habe. | |
Jetzt aber ist auch Weifenbach am Ende. "Wir saßen herum und kamen nur zu | |
einem Ergebnis", so Anwalt Graumann: "Wir brauchen einen von außen, der | |
Kohle hat." Darüber sollten doch alle noch mal nachdenken, beschloss die | |
Runde und vertagte sich. Und tatsächlich, erzählt Graumann heute, habe | |
"schon nach drei, vier Stunden" das Telefon geklingelt. In der Leitung war | |
Meyer: "Ich hab einen", habe der Christdemokrat gesagt - "Gaddafi! Denn | |
kenn ich!" | |
Woher der ehemalige CDU-Bürgermeister von Hemer im Sauerland den libyschen | |
Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi kannte, will heute niemand mehr genau | |
wissen. "Das waren eben Meyers persönliche gute Kontakte", sagt Graumann. | |
"Das war ein Mensch, der unheimlich offen war, der auf jeden zuging, der | |
mit jedem ins Gespräch kam." Der 1914 geborene Meyer habe "internationale | |
Kontakte" gehabt, bestätigt auch Michael Topp, Sportreporter des Iserlohner | |
Kreisanzeigers (IKZ). Topp begleitet den Club, der unter dem Namen Iserlohn | |
Roosters aktuell auf Platz 12 der Bundesligatabelle steht, seit mehr als | |
einem Vierteljahrhundert. | |
Meyer schert sich offenbar wenig um politisch-ideologische Feindbilder. | |
Denn gerade Gaddafi galt 1987 längst als Drahtzieher des Bombenanschlags | |
auf die Berliner Diskothek "La Belle", bei dem ein Jahr zuvor zwei | |
US-Soldaten starben und mehr als 250 Menschen schwer verletzt wurden. | |
US-Präsident Ronald Reagan ließ darauf Libyens Hauptstadt Tripolis | |
bombardieren. | |
Der hemdsärmlige CDU-Mann Meyer aber soll auch im damaligen "Ostblock", in | |
der Sowjetunion, in Ungarn, in Jugoslawien, aber auch in China, | |
Saudi-Arabien und der Türkei millionenschwere Aufträge für Geschäftspartner | |
im Sauerland akquiriert haben. "Diese Gespräche bildeten einen wichtigen | |
Motor für unsere Wirtschaft", lobte einer seiner Nachfolger als | |
Bürgermeister noch mehr als zehn Jahre später. | |
Und die Kontakte des Christdemokraten ziehen auch fürs Eishockey. | |
"Weifenbach und Meyer sind nach Libyen geflogen und haben da ordentlich | |
gefeiert", sagt der Iserlohner ECD-Rekordtorschütze Jörg Schauhoff. "Die | |
hatten ordentlich Alkohol dabei - obwohl da unten angeblich nichts | |
getrunken wird." Wie Staatsgäste seien die beiden Provinzgrößen in Libyen | |
behandelt worden, habe Weifenbach später erzählt: "Für die Autokolonne | |
wurden alle Straßen freigemacht, die hatten Vorfahrt", sagt Schauhoff, der | |
heute als Immobilienmakler arbeitet. | |
Das Ergebnis des gefühlten Staatsbesuchs ist ein spektakulärer Deal: Für | |
zunächst 1,5 Millionen Mark soll der ECD Iserlohn Werbung für Gaddafis | |
"Grünes Buch" machen. Die Schrift ist eine krude Zusammenfassung seines | |
Gedankenguts, die in einer "Dritten Universaltheorie" als Alternative zu | |
Kommunismus und Kapitalismus gipfelt - der Despot zitierte gerade vor | |
wenigen Tagen in einer TV-Ansprache wieder daraus. | |
Zur Vertragsunterzeichnung fliegt der Provinzklub Dutzende Journalisten | |
nach Libyen. "Wir haben zwei Chartermaschinen vollgepackt", erzählt | |
Exvereinssprecher Graumann. "Kalten Hammel" habe Gaddafi im Wüstenzelt | |
servieren lassen, notiert der Spiegel. Am 4. Dezember 1986 läuft der ECD | |
gegen den SB Rosenheim zum ersten und einzigen Mal mit Werbung für Gaddafis | |
"Grünes Buch" auf. Die Partie wird prompt zum Skandal. "Gaddafi kauft | |
deutschen Eishockey-Club", titelt der Kölner Express. Das "Heute-Journal" | |
des ZDF schaltet live in das Spiel, die New York Times und zwei | |
US-Fernsehteams berichten. | |
Zwar beteuerte Vereinsboss Weifenbach, er sehe "die ganze Sache | |
unpolitisch" und Gaddafi sei "ein Schriftsteller", notiert ECD-Chronist | |
Topp. In den Reihen der Bonner Bundesregierung dagegen herrscht Wut und | |
Entsetzen. Der für den Sport zuständigen CSU-Bundesinnenminister Friedrich | |
Zimmermann schäumt: "Was zunächst wie ein Faschingsscherz aussah, ist eine | |
eklatante Verletzung der politischen Neutralität des Sports." Und | |
Eishockey-Bundestrainer Xaver Unsinn warnt, "der Sport" dürfe "kriminelle | |
Elemente und den Terrorismus" nicht unterstützen. | |
Entsprechend wenig kooperativ geben sich die Steuerfahnder. "Die Libyer | |
haben überwiesen", beteuert ECD-Vorstand Graumann. "Ich bin dann mit einem | |
Koffer voll Geld zu den Beamten der Oberfinanzdirektion Münster gefahren." | |
Die aber hätten sich nur "ganz kurz" beraten. Dann war klar: Die | |
Steuerfahnder machen keinen Deal mit Gaddafis Millionen: "Die wollten unser | |
Geld gar nicht", sagt Graumann heute - und klingt immer noch enttäuscht. | |
Denn nur wenige Tage später fliegt der ECD Iserlohn aus der Bundesliga, am | |
11. Dezember verkündet Insolvenzverwalter Winfried Andres die | |
Zahlungsunfähigkeit. Und Weifenbach aber blamiert die Bundesregierung noch | |
einmal: Der Baulöwe kommt mit der Deutschen Postreklame, einer Tochter des | |
damaligen Staatsbetriebs Bundespost, ins Geschäft. 5.000 Postautos fahren | |
danach mit Werbung für einen "Neuen Verlag - für ein besseres Leben" herum. | |
Dessen einziges Produkt ist ausgerechnet - Gaddafis "Grünes Buch". Für die | |
ECD-Fans ist Heinz Weifenbach spätestens jetzt Kult: "'Heinz aufs Eis' hieß | |
es bei Heimspielen, 'Heinz aufs Gleis' bei Auswärts-Bahnfahrten", erzählt | |
IKZ-Reporter Topp. Die Justiz aber habe "Weifenbach danach richtig in den | |
Arsch getreten", klagt Anwalt Graumann: Der Exvereinschef wandert wegen | |
Steuerhinterziehung für 27 Monate ins Gefängnis. | |
Natürlich sei Gaddafi "ein Verbrecher", natürlich stehe in seinem Buch "nur | |
Schwachsinn", sagt Graumann heute - dennoch sei es ein Zeichen von | |
"Doppelmoral", dass mit Libyen jederzeit Geschäfte gemacht wurden, dass | |
libysches Öl jederzeit auch nach Deutschland geliefert, dass Gaddafi nach | |
Aussöhnung mit den USA wieder hofiert wurde. | |
Dem "Eishockey-Verrückten" Weifenbach, der heute als Demenzkranker ein | |
Pflegefall ist, sei es "immer nur um den ECD" gegangen. Mit der "Welle der | |
Wut", die auf Weifenbach und Meyer nach dem verunglückten Deal niederging, | |
habe niemand gerechnet - wie der Exvereinsboss wurde auch der 2007 | |
verstorbene Meyer nach dem Skandal von vielen gemieden: Der Exbürgermeister | |
trat während eines laufenden Parteiausschlussverfahrens aus der CDU aus. | |
"Wir waren", sagt Graumann, "einfach viel zu naiv." | |
28 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vancouver Canucks im NHL-Halbfinale: Die Narren sind los | |
Die Vancouver Canucks wollen ihren ersten NHL-Titel holen. Ihr bester | |
Spieler Kesler sagte bei Olympia 2010, dass er die Fans der kanadischen | |
Mannschaft hasst. | |
Eishockey-Bundestrainer Uwe Krupp: Kein Everybody's Darling | |
Bei der Eishockey-WM will das deutsche Team die Zwischenrunde erreichen. | |
Für Trainer Uwe Krupp ist es das letzte Turnier. Er geht zu den Kölner | |
Haien. | |
Bürgerkrieg in Libyen: Gaddafi schießt, Diplomaten betroffen | |
Mit der Luftwaffe hat Gaddafi Aufständische im Osten angegriffen. 100.000 | |
Menschen sind auf der Flucht, nach Deutschland dürfen sie nicht kommen, | |
sagt Außenminister Westerwelle. | |
Volkskomitees in der libyschen Stadt Tobruk: Es gibt kein Zurück mehr | |
Sie verteilen Lebensmittel, bewachen Ölanlagen, schützen Schulen, | |
organisieren den Alltag: Libyens neue Volkskomitees. Zu Besuch in der | |
befreiten Stadt Tobruk. | |
Kommentar Sanktionen Libyen: Menschen erster und zweiter Klasse | |
Der UN-Sicherheitsrat hat zu spät und nur halbherzig gehandelt. Die | |
mutmaßlichen Verbrechen in Libyen und die Gefahr ihrer Fortsetzung | |
erfordern jetzt ein Eingreifen. | |
"Zenga Zenga Song": Gaddafi-Clip wird Youtube-Hit | |
Wie lange sich Gaddafi in Libyen an der Macht halten kann, ist ungewiss. | |
Auf Youtube jedenfalls ist ihm Ruhm sicher: dank des "Zenga-Zenga-Songs" | |
eines israelischen Musikers. | |
Aufstand in Libyen: Gaddafi entgleitet die Macht | |
Gaddafi-Gegner kommen Tripolis und damit dem libyschen Regime immer näher. | |
Die drittgrößte Stadt Misurata haben sie bereits unter Kontrolle. In | |
Bengasi sitzt nun eine Übergangsregierung. |