# taz.de -- Flüchtlingsaktivisten auf Malta: Die Verräter von Valletta | |
> Je mehr in Nordafrika passiert, desto mehr fürchtet sich Malta, das | |
> kleine EU-Land im Mittelmeer: vor Asylsuchenden, die per Boot kommen. | |
Bild: Flüchtlinge vor Malta: Für viele war die Festung im Mittelmeer die letz… | |
VALLETTA taz | Auf Malta muss man sich nicht verabreden. Wenn etwas los | |
ist, ein Punkkonzert oder eine Vernissage, dann werden die anderen alle da | |
sein, das weiß Andre Callus. Eine SMS zu schreiben wäre Geldverschwendung. | |
Wie heute, an einem Montag in der Hauptstadt Valletta. In einem Haus in der | |
Altstadt sammelt sich im Laufe des Abends die kleine alternative Clique der | |
Insel. Menschen aus Malta, Italien, Spanien, Polen, dem Sudan und Somalia. | |
Es gibt gelben Reis, Weißwein und Selbstgedrehte. Vom Fenster aus schaut | |
man auf die alte Festungsanlage der Stadt. Dahinter ist das Meer. | |
Valletta ist eine der bestgesicherten Städte der Welt, im Zweiten Weltkrieg | |
gelang es italienischen und deutschen Truppen nicht, die Insel einzunehmen. | |
Die Menschen, die sich an diesem Abend in dem Wohnzimmer an die | |
Sandsteinwände lehnen, versuchen gegen das Gefühl zu arbeiten, man müsse | |
diese Bastion immer weiter verteidigen. Man dürfe auch jetzt, im 21. | |
Jahrhundert, auf keinen Fall jemanden hineinlassen. | |
Seit die Revolutionen in den nordafrikanischen Staaten begannen und | |
spätestens seit vor drei Wochen 5.000 Menschen aus Tunesien über das | |
Mittelmeer auf der Insel Lampedusa ankamen, befürchten maltesische | |
Politiker und Medien, dass auch an ihren Küsten bald wieder Boote landen | |
könnten. | |
Etwa 14.000 Asylsuchende, vor allem aus Afrika südlich der Sahara, kamen | |
seit 2002 nach Malta, eine Insel von der Fläche Münchens mit etwa 400.000 | |
Einwohnern. | |
Praktisch keiner der Flüchtlinge wollte bewusst hier landen, die meisten | |
gerieten auf dem Weg nach Italien in maltesischen Gewässern in Seenot. | |
Viele versuchten, das Land wieder zu verlassen. Etwa viertausend Migranten | |
aus Subsahara-Afrika leben Schätzungen zufolge noch auf Malta. | |
In den vergangenen zwei Jahren kamen fast keine Boote mehr, nicht zuletzt, | |
weil Europa mit Libyen zusammenarbeitete, wo Asylsuchende eingesperrt oder | |
ohne Asylverfahren zurückgeschickt wurden. Die Beziehungen zwischen Libyen | |
und Malta sind eng. | |
Manche Menschen auf der Insel sagen, Andre Callus sei die Person, die sich | |
von allen am besten mit Migration auf Malta auskenne. Er hat als Teenager | |
begonnen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, arbeitete in einer linken | |
Organisation, gründete eine Gruppe namens Migrants Solidarity Movement. | |
Er hat mit Menschen aus dem Sudan zusammengewohnt, er schreibt an seiner | |
Masterarbeit über Zentren für Asylsuchende in Malta. In einem so kleinen | |
Land ist es leichter, der Beste in etwas zu sein. Sichtbar zu werden. Ein | |
Vorteil. | |
Andre Callus sieht es eher als Nachteil. Einmal hat er versucht, mit einer | |
Freundin in Malta per Anhalter zu fahren. Niemand hielt. Manche | |
verlangsamten kurz und beschleunigten dann wieder. Am Ende stoppte doch | |
jemand. Der Fahrer sagte: "Ich nehme euch mit, weil euch beide hier | |
garantiert sonst niemand mitnehmen wird." | |
Andre Callus hat Dreadlocks, als einer von vielleicht drei Menschen in | |
seinem Land. Man kennt ihn. Mit Solidaritätsaktionen für Migranten war er | |
im Fernsehen, in der Zeitung. Manche kommentieren auf Facebook, er sei ein | |
Held. Andere schreiben Hass-E-Mails. Callus, 24 Jahre alt, weiß nicht, ob | |
ihn nach seinem Abschluss noch ein Arbeitgeber in Malta anstellen wird. | |
In einem Land, in dem laut Umfragen Einwanderung als Hauptproblem angesehen | |
wird und die Arbeiterpartei den Nationalisten laschen Umgang vorwirft, wenn | |
Asylsuchende nach der Ankunft bis zu 18 Monate interniert werden, gelten | |
Andre Callus und seine Freunde vielen als Verräter. Dabei fühlen sie sich | |
genau richtig im kulturellen Schmelztiegel. | |
Aus der Zeit, in der Malta zu England gehörte, blieben Wahlsystem, | |
Schuluniformen, Tee mit Milch. Die Küche ist italienisch beeinflusst, die | |
Sprache gehört zur arabischen Familie. Römer, Normannen, Araber lebten auf | |
der Insel. Eine multikulturelle Tradition. Aber nur wenige interpretieren | |
die Geschichte so. "Man bekommt hier leicht ein Gefühl von Isolation, wenn | |
man immer dieselben Gesichter trifft", sagt Callus. | |
Manchmal aber gibt es doch Überraschungen, wie ganz am Anfang, als | |
Migranten ihn fanden, bevor er zu ihnen kam. Er war damals, 18 Jahre alt, | |
im Fernsehen zu sehen, wie er wütend kommentierte, dass Protest in einem | |
Internierungszentrum mit Gewalt beendet wurde. | |
Anschließend wurde er von Leuten aus Somalia angesprochen, die den Auftritt | |
gesehen hatten und sich bedankten. Von da an besuchte er sie. "Vielleicht | |
war es die falsche Reihenfolge", sagt er heute. Erst über die Menschen und | |
dann mit ihnen zu reden. | |
Andre Callus hat nicht viele Freunde. Aber dafür ist deren Einsatz | |
hundertprozentig. Sie geben umsonst Englischkurse, schauen sich eine | |
Dokumentation über Migration in Malta an, bereiten eine Kampagne gegen | |
Rassismus vor. | |
Trotzdem hat sich Callus vor Kurzem mal wieder gewünscht, in einem größeren | |
Land zu leben. Seine Beziehung war in die Brüche gegangen, die neue | |
Freundin gehörte auch zur Aktivistenclique. Es wurde kompliziert. "Aber | |
auch das hat einen Vorteil: Man muss sich hier aussöhnen", sagt er. Weil | |
man sich immer wiedersehen wird, um gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen. | |
5 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Luise Strothmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Waffenexporte nach Libyen: Wie Deutschland Gaddafi unterstützt | |
Die Bundesrepublik hat Libyen seit 2004 ganz legal aufgerüstet - unter | |
anderem mit Hubschraubern und Störsendern. Das Regime setzt diese nun gegen | |
die Opposition ein. | |
Kommentar Intervention in Libyen: Die Freiheit der anderen | |
Völkerrechtlich ist eine Militärintervention in Libyen unzulässig. Aber | |
denkbar wäre, die Revolutionsregierung eines libyschen Teilstaats | |
anzuerkennen und mit Waffen zu beliefern. | |
Intervention in Libyen: Die Welt macht sich bereit | |
Spezialkräfte gegen C-Waffen, Luftbrücke für Flüchtlinge in Tunesien, | |
Marines auf Kreta: wie die Welt sich gegen Gaddafi in Stellung bringt. | |
Debatte Flüchtlingspolitik Europa: Lehren aus Lampedusa | |
Flüchtlinge haben das Recht auf ein ordentliches Asylverfahren. Europa | |
sollte ihnen aber auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. |