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# taz.de -- Die WAZ-Kinder von Wikileaks: Die Hälfte ist Spam
> Seit Dezember betreibt auch die WAZ-Mediengruppe ein Enthüllungsportal.
> Der verantwortliche Redakteur zieht eine positive Bilanz - obwohl viel
> Müll ankommt.
Bild: Im Rechercheblog listet das Team Geschichten auf, die durch Hinweise oder…
BERLIN taz | Nicht nur die US-Regierung hat Geheimnisse - auch im
Ruhrgebiet wird gekungelt - und geleakt: Die WAZ-Mediengruppe hat dem
Rechercheteam von [1][derwesten.de] ein WikiLeaks-ähnliches Upload-Tool
spendiert und hofft auf brisante Dokumente aus Ministerien und Vorständen.
WikiLeaks scheint von der Masse der US-Depeschen, den politischen Folgen
ihrer Veröffentlichung und ihren internen Streitigkeiten überfordert: Seit
einem halben Jahr ist der Upload schon gesperrt.
Davon können neue Enthüllungsprojekte, aber auch das WAZ-Rechercheteam und
andere investigative Journalisten profitieren. Seit Dezember 2010 können
Informanten Dateien und Dokumente auf der WAZ-Seite anonym hochladen. Die
Idee dazu hatte der Journalist und Blogger David Schraven, der im Mai die
Welt und das Blog "Ruhrbarone.de" verließ, um das Recherche-Ressort der WAZ
zu leiten: "WikiLeaks ist doch nichts anderes als ein anonymer
Briefkasten", dachte er sich und warb bei seinen neuen Chefs für das
Projekt.
Für einen besseren "Briefkasten" war das Projekt aber ganz schön teuer:
Rund 10.000 Euro ließ der Verlag allein für die Entwicklung und die
Betriebskosten im ersten Jahr springen! Trotzdem glaubt Schraven, dass bald
jede Redaktion so ein Tool anbieten wird. Wie bei WikiLeaks, werden die
Daten, die ein Informant der Redaktion über das neue Upload-Tool zuspielt,
per SSL-gesichert und mit der GnuPG-Technik verschlüsselt übertragen. Sie
können also weder bei der Eingabe noch unterwegs ausgelesen werden.
Zunächst kündigten Tester vom Technikmagazin ZDnet Zweifel an der
Sicherheit des Systems an, die Tester hatten aber nicht das eigentliche
Tool geprüft, sondern die unverschlüsselte E-Mail-Adresse des
Rechercheteams. Wenn Daten über das Tool übertragen wurden, weiß, wie
Schraven versichert, auch die Redaktion nicht mehr, wer die Dateien
geschickt hat. Dieser technische Deckmantel motiviert: Im
[2][Rechercheblog] listet das Team Geschichten auf, die durch Hinweise oder
anonyme Upoads zustande gekommen sind.
Ein Informant spielte ihnen Unterlagen aus dem Vorstand des
Energieversorgers Steag zu, der von den Stadtwerken übernommen werden
sollte. Die Papiere, die normalerweise nach der Sitzung des Vorstands
wieder eingesammelt werden, zeigten, dass der Plan der Stadtwerke viel
gefährlicher für die Kassen der Kommunen sein würde, als bisher bekannt. Im
Falle einer aktuellen Recherche über Vorgänge im Bistum Limburg, versucht
Schraven für weitere Recherchen über das Blog Kontakt zu Informanten
aufzubauen.
## Schraven hebt persönlich ab
Anders als in diesem Fall, wollen die Informanten, so Schraven,
normalerweise von sich aus in Kontakt mit der Redaktion bleiben. Sie rufen
nach dem Upload anonym an, oder geben im Dokument eine
Pseudonym-Email-Adresse an. Diese Informationen hätte man der Redaktion
auch per Post ohne Absender, von einem öffentlichen Telefon aus oder auch
persönlich übermitteln können. Die anonyme Mailbox ist deshalb nur ein
zusätzlicher Weg mit den Reportern in Kontakt zu treten.
Wenn man die Nummer des Rechercheteams wählt, hebt David Schraven
persönlich ab. Seiner Meinung nach müssen Rechercheure direkt erreichbar
sein - ohne Warteschleife und Umweg über die Zentrale. Sie müssen
vertraulich mit den Informanten umgehen und dann brauchen sie noch ein
Medium, das öffentlich stark wahrgenommen wird. "Dann flappt das, dann
kommen die Informationen", sagt Schraven. Anonyme, direkte Durchwahlen und
E-Mail-Adressen im Internet ziehen natürlich auch
Verschwöhrungstheoretiker, Paranoide und Manipulatoren mit ihren
unbrauchbaren Informationen an. "Da kommt natürlich auch richtiger
Bullshit", sagt Schraven, 50 Prozent der Eingänge seien Spam.
Aber der andere Teil kann der Ausgang einer neuen Recherche sein. Bis zur
Verifizierung der Dokumente funktioniert die Datenklappe der WAZ genauso
wie WikiLeaks, aber dann trennen sich die Wege: Während WikiLeaks die
geleakten Dokumente im Original auf der Website veröffentlicht, nutzen
Schraven und seine vier Kollegen diese nur als Quelle - "Denn ein Leak ist
noch lange keine Geschichte."
Um ihre Informanten und auch die nächst höhere Ebene, also die Informanten
der Informanten zu schützen, veröffentlichen die waz-Rechercheure und
andere Investigativ-Reporter die Dokumente erst nach genauer Prüfung.
Besonders in Ländern wie Afghanistan findet Schraven die radikale
Veröffentlichungs-Strategie von Wikileaks gefährlich. Denn dort könne er
sich vorstellen, dass alle Inhaber eines Dokuments gefoltert würden, um
herauszufinden, wer es herausgegeben hat.
In Deutschland droht zwar keine Folter, aber in vielen Fällen Jobverlust.
Schraven spricht zum Beispiel von internen Papieren, die für jeden
Mitarbeiter individuell verändert werden, um im Zweifesfall herauszufinden,
wer seine Version der Presse zugespielt hat. Wie die WAZ, plant auch die
New York Times ein eigenes Whistleblower-Portal. In der sonntaz erscheinen
seit September 2010 regelmäßig Geschichten, auf die Leser der taz per Mail
an [email protected], teilweise auch mit geheimen Dokumenten, hingewiesen
haben. Ansonsten gibt es aber diverse Portale, die wie WikiLeaks kein
Muttermedium haben.
Das prominenteste Projekt ist die OpenLeaks, die von Daniel Domscheit-Berg
und anderen ehemaligen WikiLeaks-Mitarbeitern gegründet wurde. OpenLeaks
wird seine Informationen mit akkreditierten Mitgliedern, teilweise Medien,
teilweise NGOs und anderen gesellschaftlichen Gruppen teilen. Während
OpenLeaks wie WikiLeaks international antritt, wurden im letzten Jahr vor
allem Plattformen mit regionalem Fokus gestartet. Brussels Leaks wird
angeblich von unabhängigen Brüsselern aus der Kommunikations- und
Medienbranche betrieben. Sie treten nicht namentlich auf und wollen von
Fall zu Fall entscheiden, wem sie die eingereichten Informationen zur
Veröffentlichung oder Verwendung weitergeben.
## Leaks in Russland
David Schraven glaubt nicht, dass eine Plattform "ohne ein Gesicht und ohne
Massenmedium" funktionieren kann, aber in Ländern mit eingeschränkter
Meinungs- und Pressefreiheit wie Indonesien ([3][indoleaks.org]), ist es
gefährlich, "Gesicht" einer Enthüllungsplattform zu sein.
In Russland gibt es verschiedene inzwischen verschiedene Leak-Portale:
[4][RuLeaks.net] veröffentlichte anfangs nur Wikileaks-Material mit
Russlandbezug. Inzwischen gibt es aber auch "eigene" Leaks: So
veröffentlichten die unbekannten Macher der Seite Fotos eines Protzbunkers
bei Sotchi, der anderen Quellen zufolge für Premier Wladimir Putin mit
dubiosen Spendengeldern gebaut werden soll ([5][taz berichtete am
15.2.2011]).
Der russische Journalist und Blogger Alexei Navalny nimmt das Risiko auf
sich und bekennt sich zu [6][rospil.info], ebenso der regierungsnahe Sergey
Gorshkov der auf [7][Compromat.ru] positive Leaks sammelt und sein Gegner
Vladimir Pribylovsky mit [8][anticompromat.ru]. Die Plattform für den
Balkan (BalkanLeaks.org) wird von Bulgaren im Pariser Exil betrieben.
Wie relevant die neuen Plattformen sind, hängt vor allem davon ab, ob sie
glaubwürdige Informanten oder Verschwörungstheoretiker anziehen. Schraven
ist jedenfalls zuversichtlich, dass ihm bald jemand geheime Dokumente zum
Love-Parade-Unglück vom letzten Jahr zuspielt.
7 Mar 2011
## LINKS
[1] http://derwesten.de/
[2] http://www.derwesten.de/blogs/rechercheblog/
[3] http://indoleaks.org/
[4] http://ruleaks.net/
[5] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/ein-heim-fuer-putin/
[6] http://rospil.info/
[7] http://www.compromat.ru/
[8] http://anticompromat.ru/
## AUTOREN
Thomas Strothjohann
## TAGS
WAZ
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