# taz.de -- Islam-Tagung der Akademie Tutzing: Wieder Ärger um Sarrazin | |
> Die evangelische Akademie Tutzing lädt zu einer Islam-Tagung Thilo | |
> Sarrazin ein. Grüne und Wissenschaftler finden das skandalös. Die Linke | |
> kritisiert staatliche Zuschüsse. | |
Bild: Seine Thesen und seine Auftritte sind weiter stark umstritten: Thilo Sarr… | |
Es klingt, als hätten sie den Ärger schon gerochen. "Ob das ein Beitrag zum | |
Verständnis und zum toleranten und fruchtbaren Miteinander werden kann?", | |
fragen die Organisatoren der Tagung "Der Islam gehört zu Deutschland - | |
schafft sich Deutschland dadurch ab?" in ihrer Einladung. Mitte März will | |
der politische Club der evangelischen Akadamie Tutzing diese Frage im | |
Tutzinger Schloss, idyllisch gelegen am Ufer des Starnberger Sees, in Ruhe | |
und Abgeschiedenheit erörtern. | |
Da dazu allerdings auch der umstrittene Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin | |
eingeladen wurde, sieht sich die ehrwürdige Akademie nun heftiger Kritik | |
ausgesetzt. In einem offenen Brief beklagen die Grünen-Bundeschefin Claudia | |
Roth und der bayerische Landesvorsitzende der Grünen, Dieter Janacek, | |
Sarrazin leiste "keinen seriösen Beitrag zur Meinungsbildung" und vertrete | |
Positionen, "die man durchaus als rassistisch bezeichnen" könne. Die | |
Einladung trage dazu bei, "einen Demagogen mit Hilfe und auf Kosten des | |
guten Rufs der Akademie salonfähig zu machen" und stehe nicht zuletzt im | |
Gegensatz zum Akademiemotto "Protestantisch denken - ein Bekenntnis zu | |
Toleranz und Weltoffenheit". | |
Auch in der Wissenschaft regt sich Widerstand. Mindestens fünf Referenten | |
der Veranstaltung "Frau Macht Konkurrenz", die eine Woche vor der | |
Islam-Tagung in Tutzing stattfindet, haben ihre Teilnahme wegen der | |
Sarrazin-Einladung abgesagt. Die Münchner Soziologin Paula-Irene Villa, | |
Mitorganisatorin des Seminars, schreibt in einem Brief an Akademiedirektor | |
Friedemann Greiner: "Es wäre mir unerträglich, dabei mit zu tun, dass | |
rassistische, also menschenfeindliche und dezidiert anti-aufklärerische | |
Stimmen weitere Aufmerksamkeit erlangen." Es sei "schockierend und bar | |
jeder politischen Urteilsfähigkeit, dem Rassisten und gewissenlosen | |
Populisten Dr. Thilo Sarrazin ein Podium zu geben". | |
In Tutzing hingegen verstehen sie die Welt nicht mehr. "Bei dieser | |
Veranstaltung wird mit Muslimen und nicht über sie geredet", sagt der | |
Leiter des politischen Clubs und ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel | |
(SPD). Er habe immer gedacht, die Grünen seien "Leute, die offen | |
diskutieren wollen". Es mache "überhaupt keinen Sinn, Sarrazin | |
totzuschweigen und zu sagen: Mit dem reden wir nicht", so Eichel. Ihm sei | |
zudem mit dem Schriftsteller Johano Strasser ein "Ko-Referent" zur Seite | |
gestellt. | |
Für Sarrazins Einbindung in ein pluralistisches Meinungsbild sollen neben | |
Strasser unter anderem der türkischstämmige Tourismusmanager Vural Öger, | |
der Penzberger Imam Benjamin Idriz und der als liberal geltende, ehemalige | |
nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) sorgen. | |
Geladen ist aber zum Beispiel auch der islamkritische Publizist Henryk M. | |
Broder. In der taz durften Sarrazin und Broder schon einmal zu Wort kommen | |
- [1][zu einem Gespräch in der Deutschland-taz von Anfang Dezember]. | |
Dass Sarrazin nur einer unter mehreren Rednern ist, entschärft für | |
Paula-Irene Villa das Problem nicht. Es habe sich gezeigt, schreibt die | |
Soziologin, "dass sich seine Thesen eben nicht von selbst entlarven und | |
dass eine Diskussion mit ihm nur einen Effekt hat: Rassistische und | |
menschenverachtende, zudem pseudo-wissenschaftliche Gedanken werden | |
hoffähig gemacht". Sarrazin sei "nicht interessiert an einer | |
faktenorientierten oder sachlichen Diskussion", so Villa. Der Grüne Dieter | |
Janacek kritisiert zudem die Zusammenstellung der Referenten als | |
unausgewogen. "Da wird nicht so diskutiert, dass etwas Vernünftiges | |
herauskommt", sagt Janacek. | |
Hans Eichel ficht diese Kritik nicht an. Die Protestnoten aus der | |
Wissenschaft seien "nicht mal eine Handvoll". Demgegenüber stünden aber | |
über 500 Anmeldungen für die Tagung. | |
Wegen des Sarrazin-Auftritts gerät zudem eine zweite Institution unter | |
Beschuss - die Bundeszentrale für politische Bildung, die die Tagung | |
bezuschusst. Nach den Richtlinien des Bundesinnenministeriums sei die | |
Veranstaltung förderungswürdig, heißt es aus der Bundeszentrale, denn die | |
"Kontroversität der Veranstaltung" sei durch die eingeladenen Referenten | |
sichergestellt. Für das Programm sei dann ausschließlich der Träger | |
verantwortlich. | |
Darüber regt sich nun die Linken-Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke auf, | |
die selbst im Kuratorium der Bundeszentrale sitzt. Gohlke fordert: "Die | |
Bundeszentrale für politische Bildung ist dafür da, Demokratie und Toleranz | |
zu fördern, nicht um kulturrassistische Stereotypen zu bedienen." | |
7 Mar 2011 | |
## LINKS | |
[1] /1/debatte/kommentar/artikel/1/es-war-ein-langer-und-lauter-furz/ | |
## AUTOREN | |
Niklas Wirminghaus | |
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