# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Thilo Sarrazin tut mir leid | |
> In einer britischen Radiosendung der BBC habe ich mit Deutschlands | |
> bekanntestem Autor gesprochen. Es war traurig. | |
Thilo Sarrazin und ich haben unsere Beziehungskrise überwunden. Noch vor | |
kurzem sah ich in ihm nur einen bösen Ex-Bankier mit Hang zu hetzerischen | |
Weltuntergangsthesen, den ich unter keinen Umständen namentlich in dieser | |
Kolumne erwähnen wollte. Einen so gruseligen Zahlenverdrehenden - hätte ich | |
keinen Verstand, würde ich, Kopftuchmädchen, mich vor mir selbst fürchten. | |
Jetzt aber hat sich mein Blick geklärt: Sarrazin tut mir leid. Er ist ein | |
trauriger Mann. | |
Vor einigen Tagen hatte ich - endlich! - das Vergnügen, mit ihm | |
höchstpersönlich zu diskutieren. Allergrößtes Vergnügen! Vor allem deshalb, | |
weil es sich um eine britische Radiosendung der BBC handelte, in der er | |
seine Thesen vorstellen und gegen die Einwände von AnruferInnen verteidigen | |
sollte. | |
Das hatte den Vorteil, dass Antworten radiogemäß möglichst kurz gehalten | |
werden mussten - kurze Antworten sind absolute Sarrazin-Killer -, und noch | |
dazu auf Englisch - wo sich doch in Fremdsprachen verquere Thesen nur | |
schlecht schick verbrämen lassen. | |
Ich saß als Gast der Sendung in einem Hamburger Radiostudio und erwartete | |
unser Aufeinandertreffen. Als es dann so weit war, erzählte ich ihm, dass | |
ich in Deutschland studiert habe, die Sprache gut spreche, mich hier | |
engagiere und fragte, was er noch von mir erwarte. Er antwortete: "I want | |
yu tu intekräyt." Ich lachte, das war einfach zu lustig. Der große Experte | |
weiß nichts Besseres, als mir solch eine Banalität hinzuwerfen wie einen | |
alten Knochen? | |
Die nächsten zehn Minuten sprach ich so viel, dass ich wahrscheinlich mehr | |
Redezeit hatte als Sarrazin im Rest der einstündigen Sendung. Als ich ihn | |
nach der vergifteten Atmosphäre in Deutschland fragte, für die er | |
mitverantwortlich ist, zitierte er eine mysteriöse türkische Frau: | |
"Orientalen nutzen Emotionen, um Mitleid zu erregen." Aha, das würden | |
Ur-Deutsche natürlich nie machen. | |
Das war nun auch dem Moderator zu rassistisch. So drängte er Sarrazin, | |
Stellung zu diesem Zitat zu beziehen. Konnte er nicht. Er konnte auch weder | |
etwas zu der Diskriminierung von Muslimen in diesem Land etwas sagen (wer | |
das Kopftuch trägt, sei selbst für blöde Anmache verantwortlich) noch dazu, | |
wie er Menschen integrieren will, die er genetisch minderwertig schimpft | |
(er nenne nur Zahlen und Fakten). | |
Toll, da hatte ich ihn tatsächlich an die Wand geredet. Welch Genugtuung | |
hätte das sein können! Doch ich empfand nur Mitleid. Wie traurig muss ein | |
Mensch sein, der in Vielfalt kein Potenzial erkennt, nicht ihre Schönheit | |
sieht. Ein Mensch, der jene respektlos vom Kopf stößt, die sein Land mit | |
aufgebaut haben, und das im Gespräch nicht einmal begründen kann. Und | |
langweilig muss es auch sein, wenn alles Andere und Neue per se verdächtig | |
ist. | |
Selbst der Mann, der mir vor einigen Wochen eine Morddrohung schickte, hat | |
sich in einer Mail entschuldigt: "Ich respektiere nicht unbedingt Ihre | |
politische Überzeugung, aber ich respektiere Sie voll und ganz als Mensch", | |
schrieb er. Das muss man mal können, Herr Sarrazin. Menschen respektieren. | |
2 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Kübra Gümüsay | |
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