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# taz.de -- KOLUMNE DAS TUCH: Salz im Kaffee
> Es gibt Heiratstraditionen, die sind für den Mann sehr bitter. Und alles
> nur, weil vor über 40 Jahren ein junger Mann am Bosporus sehr nervös war.
> Eine Kolumne für Verliebte.
Es war ein sonniger Tag in Istanbul. Eine junge Frau saß allein in einem
Café und blickte auf den Bosporus. Ein schöner Anblick. Das fand auch der
junge Mann, der sie beobachtete. Er wollte sie ansprechen. Als er sich
zögernd zu ihr setzte, schreckte sie hoch.
"Warte!", bat er. "Trink doch bitte einen Kaffee mit mir." Er lächelte sie
an. Aufmunternd. Und bestellte Kaffee. Sie schaute zurück. Misstrauisch.
Und setzte sich.
Der Kaffee wurde serviert. Der junge Mann war ganz aufgeregt. Sein Herz
pochte immer schneller. Ganz benommen und zitternd vor Aufregung nahm er
sich den Salzstreuer und füllte seine Tasse mit Salz. Irritiert runzelte
die junge Frau die Stirn. "Einen interessanten Geschmack hast du", bemerkte
sie. Verdammt. Salz im Kaffee. Er schämte sich. Wie konnte ihm das
passieren?
"Ich bin am Meer aufgewachsen", erklärte er in Not. "Ich liebe den salzigen
Geschmack des Meeres. Er erinnert mich an die Menschen, die ich liebe."
Vierzig Jahre später war der junge Mann inzwischen ein alter, kranker Mann.
Seine Frau, die junge Frau von damals aus dem Istanbuler Café, kümmerte
sich um ihn und pflegte ihn liebevoll. Wie jeden Morgen brachte sie ihm
auch heute einen Kaffee ans Bett. Schön salzig, genau so, wie er es mochte.
Er wusste, er würde nicht mehr lange weilen auf dieser Welt. "Verzeih mir,
mein Schatz", sagte der alte Mann und gestand: "Ich mag keinen salzigen
Kaffee." So erzählte er seiner Frau von damals. Davon, wie er sich schämte
und deshalb diese kleine Notlüge erfand. Vierzig Jahre hatte sie ihm
deshalb salzigen Kaffee gekocht. Vierzig Jahre hatte er ihn geduldig und
still ausgetrunken. "Allein aus Liebe zu dir", sagte er. Und trank seinen
letzten salzigen Kaffee aus.
Oh. Wer verliebt ist, findet diese Liebesgeschichte romantisch und toll.
Alle anderen werden bei diesem Kitsch wild den Kopf schütteln. Diese
Geschichte ist eine der vielen Legenden, die sich um den salzigen Kaffee
der türkischen Mädchen ranken. Wenn ein Mann bei einer türkischen Familie
um die Hand ihrer Tochter anhält, muss er nämlich mit salzigem Kaffee
rechnen.
Gefällt der Junge dem Mädchen, schüttet es dem zukünftigen Bräutigam
kräftig Salz in den reich geschäumten Kaffee und serviert ihn anschließend
dem aufgeregt im Wohnzimmer sitzenden Jungen. Er muss dann – als Zeichen
der Zuneigung – den Kaffee austrinken. Ohne auch nur ein bisschen das
Gesicht zu verziehen. Alle anderen Beteiligten schielen grinsend zum
Bräutigam hin und genießen ihren süßen Kaffee.
Vor einigen Wochen habe auch ich einem jungen Mann Salz in den Kaffee
gestreut. Ein Teelöffel, um genau zu sein. Er hat den Kaffee schön
umgerührt, mutig ausgetrunken und dabei keine Miene verzogen. Ich bin
beeindruckt. Diese Woche gebe ich dem besagten jungen Mann mein Jawort. Und
bei meiner nächsten Kolumne habe ich deshalb einen anderen Nachnamen.
Bis dahin genieße ich den Brautschutz und werde ganz ungeniert kitschige
Liebesgeschichten lesen. 2011 fängt gut an.
5 Jan 2011
## AUTOREN
Kübra Yücel
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