# taz.de -- Verzicht nach Karneval: Das große Facebook-Fasten | |
> Mit dem Aschermittwoch beginnt die christliche Fastenzeit. Auch auf | |
> soziale Medien wie Facebook wird immer öfter verzichtet. Das kann | |
> glücklich machen. | |
Bild: Studentin Julia Brinker will während der Fastenzeit bis Ostern auf Faceb… | |
Darf ich oder darf ich nicht? Will ich oder will ich nicht? Verzichte ich | |
freiwillig oder aus Zwang? Die Frage nach dem freien Willen wird von | |
Philosophen, Neurowissenschaftlern und Psycholgen immer wieder neu | |
gestellt. "Ich war ein freier Mensch, bis der Kellner mir die Dessertkarte | |
überreichte", schrieb der US-Wissenschaftsautor Dennis Overbye 2007 in der | |
New York Times. Er hatte sich vorgenommen, zu fasten. Der Gesundheit | |
zuliebe wollte er nichts Süßes essen. Im Angesicht des schokoladigen | |
Nachtischs ergriff ihn aber plötzlich das unangenehme Gefühl des | |
Verzichten-Müssens. | |
Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der DAK hat nun aber ergeben, dass | |
immer mehr Deutsche verzichten wollen – nicht nur während der heute | |
beginnenden Fastenzeit. Demnach halten 60 Prozent die Enthaltsamkeit von | |
bestimmten Genussmitteln und Konsumgütern generell für sinnvoll. Elf | |
Prozent mehr als im Vorjahr. DAK-Sprecher Rüdiger Scharf sieht einen Trend: | |
"Viele stellen sich die Frage, ob beispielsweise das Feierabendbier schon | |
alltäglich ist – oder ob es auch anders geht. Verzicht ist dann auch eine | |
Selbsterfahrung." | |
## Der Trend geht zur Entschleunigung | |
78 Prozent würden am ehesten auf Alkohol, beinahe Zweidrittel auf | |
Süßigkeiten und 53 Prozent auf Rauchen verzichten. Fast jeder Zweite kann | |
sich vorstellen, zeitweise kein Fleisch zu essen, ergab die vom | |
Marktforschungsinstitut Forsa durchgeführte Umfrage. Im Vergleich zum | |
Vorjahr gestiegen ist auch die Bereitschaft, auf multimediale Unterhaltung | |
zu verzichten. 42 Prozent wollen nicht fernsehen, eine Computer- und | |
Internetabstinenz kann sich immerhin fast jeder Dritte vorstellen – fünf | |
Prozent mehr als im Vorjahr. | |
"Die ständige Verfügbarkeit über E-Mails und Smartphones erzeugt Stress", | |
sagt Scharf. "Auch soziale Netzwerke können stressen. Nach dem Motto: 'Ich | |
muss nochmal schnell schauen, was bei meinen Facebook-Freunden passiert'. | |
Das erzeugt einen gewissen Druck, ständig verfügbar zu sein." Ende des | |
vergangenen Jahres hatte die DAK bereits eine Umfrage zum Thema "Wünsche | |
für das neue Jahr" gemacht: "Weniger Stress wurde am häufigsten genannt", | |
sagt Scharf - und sieht auch einen Trend zur Entschleunigung. | |
Für gläubige Christen ist die 40-tägige Fastenzeit die Vorbereitung auf | |
Ostern, das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Als das Leben von modernen | |
Medien noch nicht beeinflusst war, wurde vorwiegend auf Wein und Fleisch | |
verzichtet und nur am Abend eine Mahlzeit zu sich genommen. Heute versucht | |
die Kirche auch der Jugend die alte Weisheit, dass Fasten die Seele reinige | |
und frei mache, näher zu bringen - und geht ins Soziale Netz. Die | |
bundesweite Fastenaktion der evangelischen Kirche "Sieben Wochen ohne" ist | |
mit einer eigenen Facebook-Seite vertreten und hat mittlerweile über 1.000 | |
Fans. | |
## | |
Mit gut 150 Mitgliedern ist die größte der zahlreichen | |
Facebook-Fasten-Gruppen, die das Soziale Netzwerk in der Fastenzeit ruhen | |
lassen wollen, merklich kleiner. "Lasst uns in der Zeit auf Facebook | |
verzichten und uns wieder den wichtigen Dingen im Leben widmen!", lautet | |
der Titel. Der Größenunterschied zwischen den Online- und Offline-Fastern | |
liegt in der Natur der Sache. Denn wer die Facebook-Nutzung reduzieren | |
will, muss ehrlicherweise auch auf die Mitgliedschaft in einer | |
Facebook-Fasten-Gruppe verzichten. | |
"Medienfasten ist eine glänzende Idee, um gegen Reizüberflutung und | |
chronischen Stress anzugehen", findet Eva Lischka, Vorsitzende der | |
Ärztegesellschaft für Heilfasten und Ernährung. "Das muss nicht gleich 40 | |
Tage gehen, da reicht auch mal eine Woche. Wichtig ist, dass das | |
Verzichten-Können ins Bewusstsein rückt." | |
Egal ob auf Fleisch oder Süßes, Alkohol oder Tabak, Computer oder Internet. | |
Angst vor Entzugserscheinungen muss niemand haben: "Der Körper und der | |
Stoffwechsel stellt sich sehr schnell auf die neuen Lebensgewohnheiten | |
ein", sagt Lischka. Stattdessen könne durch gezieltes Fasten und | |
medizinisches Heilfasten sogar der Glückshormonhaushalt positiv beeinflusst | |
werden. "Untersuchungen im Kernspintomographen zeigen, dass - ähnlich wie | |
beim Meditieren - das linke Stirnhirn aktiviert wird. Und das ist für | |
unsere positiven Emotionen zuständig", erklärt Lischka. | |
Schon in der Bergpredigt heißt es: „Wenn ihr fastet, macht kein finsteres | |
Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit | |
die Leute merken, dass sie fasten.“ Spätestens, wenn die Zeit des Verzichts | |
vorbei ist, kehrt das Lächeln ohnehin wieder zurück. Vielleicht aber auch | |
schon früher – wenn der Verzicht denn wirklich gewollt ist. | |
9 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Aichner | |
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