# taz.de -- Proteste nach Atom-Katastrophe: Japan-GAU bewegt Berlin | |
> Nach dem Atomdesaster formiert sich in Berlin eine neue | |
> Anti-AKW-Bewegung. Tausende demonstrieren in Berlin, zum Protest vor dem | |
> Kanzleramt kommt reichlich Polit-Prominenz. | |
Sie stehen vor dem Kanzleramt, vielen treibt die Wut die Tränen in den | |
Augen. Einige Grablichter und weiße Nelken liegen vor dem Zaun am Sitz der | |
Bundeskanzlerin. "Merkel hat nicht Angst vor Strahlen, Merkel hat nur Angst | |
vor Wahlen", steht auf einem Plakat. Auf den Schultern einer jungen Mutter | |
sitzt ein Kind und sagt: "Mama, ich will auch eine Fahne haben." | |
Rund 2.000 Menschen haben am frühen Montagabend ihren Protest gegen die | |
Energiepolitik der Bundesregierung vor das Kanzleramt getragen. Hier, wo | |
Angela Merkel für den heutigen Dienstag die Landesminister zum | |
Atomkrisengipfel zusammengerufen hat, ist jetzt die Opposition versammelt. | |
Alle sind sie da: SPD-Chef Sigmar Gabriel, Berlins Regierender | |
Bürgermeister Klaus Wowereit, die Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast, | |
Linke-Chefin Gesine Lötzsch, DGB-Chef Michael Sommer. Die Stimmung ist | |
bedrückend, die Menschen sind empört, immer wieder werden die Reden der | |
Parteiprominenz von lautstarken Rufen unterbrochen: "Abschalten, | |
Abschalten!" Die Botschaft dieses Protests ist eindeutig: Während die | |
Agenturen melden, dass Neckarwestheim abgeschaltet wird, fordern | |
Atomkraftgegner und Opposition die sofortige Abschaltung der acht ältesten | |
Atomkraftwerke. | |
Zeitgleich fanden im [1][gesamten Bundesgebiet Aktionen und Mahnwachen] | |
statt. Die atomkritische Initiative "ausgestrahlt" hatte im Internet alle | |
Orte mit einem Fähnchen markiert, an denen Protestaktionen geplant waren. | |
Die deutsche Landkarte war gespickt mit Fahnen. In Brandenburg mit dabei | |
waren Orte wie Zossen, Neuruppin, Cottbus, Beeskow, Zehdenick, Potsdam, | |
Beelitz, Bad Belzig, Königs Wusterhausen. Auch ein [2][Brief an die | |
Bundeskanzlerin] -"AKWs abschalten - und zwar jetzt" - kann man über die | |
Webseite abrufen. Über 77.000 Menschen hatten am Montagnachmittag bereits | |
unterschrieben. | |
Schon am Mittag hatten rund 200 SchülerInnen der Friedensburg-Oberschule | |
vor dem Kanzleramt protestiert. Unterstützt von einem Physiklehrer hatte | |
der 16-jährige Schulsprecher Julian Siebdraht zu der Aktion mobilisiert. | |
"Tschernobyl hat jeder von uns im Unterricht durchgenommen. Wir sind die | |
Generation, die alles abbekommt. Die Politiker sind schon über 50. Die | |
betrifft das nicht mehr", sagte eine Schülerin. Auch einen Brief an die | |
Bundeskanzlerin haben die SchülerInnen geschrieben. Tenor: "Wir haben | |
Angst!" | |
Am Alex versammelten sich am Abend rund 70 Protestler aus dem | |
Montagsdemo-Spektrum. Unter Trillerpfeifengetöse forderte ein Redner | |
"Widerstand gegen die menschenverachtende Atompolitik". | |
Auch unter türkeistämmigen BerlinerInnen ist die Atomkatastrophe ein Thema. | |
Turgut Altug, Leiter des Deutsch-Türkischen Umweltzentrums in Kreuzberg, | |
sagte, die Leute seien verärgert, dass die Regierenden bislang so getan | |
hätten, "als habe das mit Deutschland nichts zu tun". Auch werde über die | |
Türkei geredet, wo neue Atomkraftwerke in Erdbebengebieten geplant seien. | |
"Selbstverständlich" beteilige er sich an den Protesten. | |
Und die gehen weiter: Für den heutigen Dienstag ist um 9:30 Uhr wieder eine | |
Aktion vor dem Bundeskanzleramt geplant. Zu dieser Zeit hat die | |
Bundeskanzlerin die Ministerpräsidenten zu einem Krisentreffen einbestellt. | |
"Wir wollen die Proteste stückchenweise steigern", kündigt Uwe Hiksch von | |
den Naturfreunden an. Am 26. März werde es bundesweit diverse | |
Großdemonstrationen geben, die zentrale Veranstaltung werde in Berlin | |
stattfinden. | |
Angesichts der Anti-Atom-Stimmung spricht sich auch die Berliner CDU | |
inzwischen für eine schnelle Überprüfung der Sicherheitsstandards in den | |
deutschen AKWs aus. CDU-Landeschef Frank Henkel sagte: "Wenn es | |
Sicherheitslücken gibt, dann muss sofort gehandelt werden." Für die CDU sei | |
die Atomkraft immer eine Brückenenergie gewesen, "und diese Brücke ist nach | |
der bisherigen Entwicklung in einem Hochtechnologieland wie Japan instabil | |
geworden". | |
Einige Berliner Apotheken verzeichnen inzwischen eine erhöhte Nachfrage | |
nach hochdosierten Jodpräparaten. Viele Kunden wollten die Jodtabletten | |
aber nicht selbst nehmen, sondern zu Freunden nach Japan schicken, sagte | |
eine Apothekerin in Prenzlauer Berg. Die Bundesvereinigung Deutscher | |
Apothekerverbände rät indes von einer Einnahme von Jodtabletten ab. "Das | |
nutzt nur etwas, wenn es eine radioaktive Wolke direkt über Deutschland | |
geben sollte." | |
Mitarbeit: awi, ko, sk, sta | |
14 Mar 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ausgestrahlt.de/mitmachen/fukushima.html#c6950 | |
[2] http://www.campact.de/atom2/sn11/signer | |
## AUTOREN | |
M. Kaul | |
P. Plarre | |
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Schwerpunkt Atomkraft | |
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