# taz.de -- Szenarien für das Akw Fukushima: Wenn der Reaktorkern schmilzt | |
> Der Reaktor 2 vom Akw Fukushima I war zwischenzeitlich ohne Kühlwasser. | |
> So heizte sich auch der Katastrophenreaktor von Harrisburg auf. Was im | |
> schlimmsten Fall passiert. | |
Bild: Zum Glück nicht explodiert: Das Foto zeigt den kontaminierten Reaktorrau… | |
BERLIN taz | Nicht komplett, aber zu einem großen Teil freigelegte | |
Brennstäbe wie im Reaktorblock 2 vom Akw Fukushima I gab es schon einmal in | |
der Geschichte der kommerziellen Atomkraft: beim Reaktor Three Miles Island | |
2, gelegen in Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania. Damals, im März | |
1979, gab es eine Kette von technischen Defekten, mangelhafter Ausstattung | |
und Bedienungsfehlern. | |
Im Reaktorkern sank daraufhin der Wasserpegel, die Brennstäbe lagen frei. | |
Nach zwei bis drei Stunden waren die Brennelemente so heiß, dass sie zu | |
schmelzen anfingen. Schließlich floss etwa ein Drittel des radioaktiven | |
Materials, zu einem Klumpen geschmolzen, zum Boden des Druckbehälters aus | |
Stahl und liegt dort bis heute. | |
Was passiert, wenn das tonnenschwere Material im Reaktorkern von Fukushima | |
Daiichi 2 mit einer Temperatur von 2.000 Grad oder darüber unten auf den | |
Boden des Stahldruckbehälters trifft, kann noch niemand sagen. | |
Die vier Meter hohen Brennstäbe im Block 2 sind aus einer Legierung des | |
Metalls Zirkonium gefertigt. Zirkonium rostet sehr langsam und fängt auch | |
weniger Neutronen weg als viele andere Materialien. Diese Neutronen werden | |
im Normalbetrieb für die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion, also zur | |
Spaltung der Uran- oder Plutonioumkerne in ihrem Inneren gebraucht. | |
In den Zirkoniumröhren befindet sich das zu Tabletten gepresste Uranoxid. | |
Zirkonium schmilzt bei etwa 1.900 Grad. Ein Reaktorkern ohne Kühlung wird | |
ständig heißer, deshalb folgt irgendwann die Schmelze. | |
Die Reaktordruckbehälter bestehen aus zehn bis zwanzig Zentimeter starkem | |
Edelstahl. Sie haben je nach Reaktortyp einen Innendurchmesser von fünf bis | |
zehn Metern und üblicherweise eine Höhe von zwölf bis zwanzig Metern - bei | |
Siedewasserreaktoren liegt sie eher an der oberen Grenze. Die Druckbehälter | |
werden dann noch von einem Stahlbeton-Containment ummantelt. | |
Ungekühlt würde der Stahlbehälter schmelzen. Dann würde die lavaartige | |
Zirkonium-Uran-Masse nach unten herauslaufen und sich eventuell auch durch | |
den Stahlbetonmantel fressen. | |
Dies versuchen die japanischen Techniker zu verhindern, indem sie das | |
gesamte Reaktorcontainment mit Wasser fluten. Sie hoffen, so von außen so | |
viel kühlen zu können, dass der Kernbrennstoff nicht von innen | |
durchschmilzt. | |
Wenn der Kernbrennstoff einmal das Innere des Reaktors verlassen hat, | |
betreten alle Neuland, dann gibt es nur noch theoretische Überlegungen: Der | |
Brennstoff könnte sich in die Erde fressen, er könnte auf dem Reaktorboden | |
auseinanderlaufen. Alles Spekulationen, es gibt keinen Präzedenzfall. | |
Absolut tödliche Strahlung würde sich breitmachen. Denn in den | |
Brennelementen sind außer dem relativ gering strahlenden Uran seine bei der | |
Stromgewinnung entstandenen hochradioaktiven Spaltprodukte. Sie strahlen je | |
nach Isotop tage-, monate- und jahrelang. | |
Die Menge an strahlendem Material in dem 760-Megawatt-Reaktor ist enorm. | |
Anders als bei der Katastrophe von Tschernobyl ist ja nicht der größte Teil | |
in die Atmosphäre entschwunden. Alles liegt noch vollständig im | |
Reaktordruckbehälter bei Fukushima. | |
Wenn es aus der nur leicht befestigten Reaktorhalle nach außen dringt, wird | |
die Umgebung verseucht. Mit Jod, das die Schilddrüsen aufnehmen, mit | |
radioaktivem Cäsium, das der Körper überall einbaut, weil es chemisch wie | |
Natrium ist. | |
In Harrisburg blieben diese strahlenden Isotope in der geschmolzenen und | |
nach Tagen wieder erstarrten Masse gefangen. Die wenige hundert Kilometer | |
entfernten 35 Millionen Tokioter können nur hoffen, dass dies in Fukushima | |
ähnlich gelingt. | |
15 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Metzger | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wie die Strahlen auf die Gesundheit wirken: Das bisschen Cäsium | |
400 Millisievert pro Stunde wurden am Dienstag beim AKW Fukushima I | |
gemessen. Das ist so viel, wie man in Deutschland im ganzen Leben aufnehmen | |
darf. | |
Deutsches Atomgesetz und Grundrechte: Restrisiko neu bestimmen | |
Das Atomgesetz verlangt Vorsorge gegen alle Risiken, die nicht praktisch | |
ausgeschlossen sind. Nach dem Unfall in Japan sind auch die Maßstäbe in | |
Deutschland zu überprüfen. | |
AKW-Betreiber auf Super-GAU eingestellt: "Das ist nur noch Sterbehilfe" | |
Die Fukushima-Betreiber gingen offenbar von Anfang an davon aus, dass die | |
Brennstäbe im Reaktor durchschmelzen könnten. Darauf deutet die Art ihrer | |
Rettungsversuche hin. |