# taz.de -- Alltag in Tokio: "Einkaufen lenkt mich ab" | |
> Stromausfälle, Hamsterkäufe und die Ungewissheit, was in Fukushima | |
> passiert - aber die Menschen bleiben gelassen. Ein Deutscher aus dem | |
> Großraum Tokio berichtet. | |
Bild: Hamster-Käufe in Tokio: Einige Supermärkte sind geschlossen, in anderen… | |
Ich mache mir Sorgen, bin übermüdet und mein Magen reagiert nervös. | |
Abgesehen davon geht es mir gut. Gestern war ich lange wach, habe | |
Nachrichten gesehen und gelesen, Facebook und Twitter gecheckt und viel mit | |
Freunden und der Familie in Deutschland gesprochen, um sie zu beruhigen. | |
Heute haben wir bis ein Uhr geschlafen und dann gemütlich gefrühstückt. | |
Meine Frau Mai muss nicht zur Arbeit. Sie hatte schon vor Beginn der | |
Katastrophe ein paar Tage Urlaub genommen und ist deshalb hier bei mir. | |
Sollten die Züge fahren und es keine Stromausfälle mehr geben, wird sie in | |
ein paar Tagen wieder ganz normal zur Arbeit gehen. So machen das die | |
meisten Leute. Nach Süden geflohen sind die wenigsten. Natürlich habe ich | |
schon darüber nachgedacht, nach Hause zu fliegen. Aber meine Frau sorgt | |
sich um ihre Familie und ihre Stelle. Also bleiben wir hier. | |
Nach dem Frühstück war ich kurz draußen, um etwas für das Mittagessen | |
einzukaufen. Einige Supermärkte sind geschlossen, in anderen sind die | |
Regale ziemlich leer. Besonders Wasser, Brot, Reis, Instantnudeln, | |
Batterien und Kerzen sind fast überall ausverkauft. Daran kann man | |
erkennen, dass die Menschen Angst haben, auch wenn sie es nicht zeigen. Am | |
Nachmittag will ich es nochmal versuchen, auch wenn ich vielleicht gar | |
nichts bekomme. Aber einzukaufen lenkt mich ab. | |
Dazu kommen die Stromausfälle. Als ich gestern einkaufen wollte, haben mich | |
die Verkäuferinnen nicht in den Laden gelassen, weil die Kassen nicht mehr | |
funktionierten. In einem 24-Stunden-Shop hatte ich Glück und habe noch ein | |
paar Flaschen Soda-Wasser bekommen. Das bleibt oft übrig, weil viele | |
Japaner kein Wasser mit Kohlensäure mögen. | |
Mit haltbaren Lebensmitteln sind wir ganz gut versorgt. Auch Vitamin- und | |
Mineraliendrinks habe ich vor ein paar Tagen gekauft. Wenn wir sparsam | |
sind, kommen wir damit für zwei Wochen aus. Gerade backen wir Brot mit | |
einer Instantbackmischung, die mir meine Mutter aus Deutschland geschickt | |
hatte. | |
Innerlich bin ich ein wenig in Panik. Man weiß ja nicht so genau, was im | |
Norden passiert. In den Nachrichten heißt es, dass in unserer Gegend keine | |
Gefahr besteht. Wir sind rund 200 Kilometer von Fukushima entfernt. Die | |
Menschen fürchten sich eher vor weiteren Nachbeben, die die Stärke fünf | |
oder mehr erreichen. Kleinere Nachbeben gibt es die ganze Zeit. Allerdings | |
kann es auch sein, dass ich mir das Beben langsam schon einbilde. | |
Heute Morgen, als wir schliefen, gab es das letzte Beben der Stärke drei. | |
Da bin ich aufgesprungen, und habe nachgesehen, ob das Gas abgestellt ist. | |
Eine Tasche mit den nötigsten Dingen haben wir neben der Eingangstür | |
stehen, damit wir im Notfall sofort in die nahegelegene Grundschule | |
flüchten können. Die ist stabiler gebaut, als unser Haus. | |
Mai ist gelassener als ich. Sie sagt, es nütze nichts, in Panik zu geraten. | |
Sie ist mit Erdbeben aufgewachsen. Hier werden die Kinder schon im | |
Kindergarten auf Erdbeben vorbereitet. Drei Mal im Jahr gibt es | |
Erbebenübungen. Dann stoppen die Lehrer die Zeit, wie lange die Kinder | |
brauchen, um sich geordnet aufzustellen und ruhig das Klassenzimmer zu | |
verlassen. Mai sagt, sogar die Sitzkissen in der Schule seien | |
zusammengefaltete Rettungskapuzen, die man sich im Notfall auf den Kopf | |
setzen könne. | |
Meine Frau sagt auch, Ruhe zu bewahren, gehöre zur japanischen Mentalität. | |
Hier ist es üblich, sich darum zu bemühen, dass alle gut miteinander | |
auskommen. | |
Von den Medien fühle ich mich relativ gut informiert, doch zur Ergänzung | |
hole ich mir Informationen aus dem Internet. Es wird ständig darüber | |
berichtet, wie die Rettungsaktionen verlaufen und wie sich die Menschen | |
nahe der Evakuierungszone um das Atomkraftwerk verhalten sollen, um sich zu | |
schützen. Ich glaube aber auch, dass ein paar Informationen zurückgehalten | |
werden, um die Menschen nicht zu beunruhigen. Die Nachrichten und Meldungen | |
aus Deutschland und den anderen Teilen der Welt erscheinen mir im Gegensatz | |
dazu ein wenig übertrieben. | |
Auf den Titelseiten der japanischen Zeitungen wird in erster Linie von | |
Rettungsaktionen aus den Tsunami-Gebieten berichtet. Gestern wurde zum | |
Beispiel eine alte Frau nach drei Tagen geborgen. Auch über die | |
Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage Japans wird spekuliert. Im | |
Norden, in der Gegend um Fukoshima, wird viel Reis angebaut. Wenn dort | |
alles verseucht ist, dann könnten die Grundnahrungsmittel knapp werden. | |
Die Notwendigkeit von Atomenergie stellen die meisten Japaner nicht in | |
Frage. Meine Frau sagt, sie mache sich mehr Sorgen, dass Japan ohne Strom | |
dastehen könnte. | |
16 Mar 2011 | |
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