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# taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Proteste gegen die Schere im Kopf
> Türkische investigative Journalisten bleiben wegen Putschvorwürfen in
> Haft, mit Freilassung ist nicht zu rechnen. Bis heute wissen sie nicht,
> was ihnen vorgeworfen wird.
Bild: Anhaltende Proteste für die Pressefreiheit: Zwei der angesehensten inves…
ISTANBURL taz | Zum dritten Mal in Folge haben am Wochenende tausende
Journalisten gegen die Verhaftung von insgesamt 68 Kollegen und die
zunehmende Repression gegen ganze Medienhäuser protestiert. Ein Bündnis für
Pressefreiheit, in dem sich etliche Organisationen zusammengeschlossen
haben, organisiert die Demonstrationen.
Ercan Ipekci, einer seiner Sprecher, sagte am Sonntag bei der Kundgebung in
Ankara: "Wir demonstrieren nicht nur für die Freilassung unserer
verhafteten Kollegen, sondern auch, weil wir fürchten, dass die Medien die
Bevölkerung nicht mehr ihrem Auftrag gemäß unterrichten können."
Unmittelbarer Anlass für die andauernden Proteste sind die Verhaftungen von
zwei der angesehensten investigativen Journalisten des Landes, Ahmed Sik
und Nedim Sener. Wegen des Vorwurfes, in Putschvorbereitungen gegen die
Regierung verwickelt zu sein, wurden beide vor drei Wochen festgenommen und
in den Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses im Istanbuler Vorort Silifri
gebracht.
Dort werden mittlerweile rund 300 Leute festhalten, denen als Putschisten
der Prozess gemacht werden soll. Allen wird vorgeworfen, Mitglieder des
Geheimbundes Ergenekon zu sein, einem Zusammenschluss von Militärs und
Geheimdienstlern, aber auch Geschäftsleuten, Professoren und Journalisten,
die angeblich durch Terrorakte einen Militärputsch provozieren wollten.
Auch viele Regierungskritiker haben diesen Prozess lange unterstützt, weil
unzweifelhaft jahrzehntelang Militärs, Geheimdienstler und Bürokraten als
sogenannter "tiefer Staat" hinter den Kulissen die Fäden gezogen und dabei
auch Mord und Totschlag nicht gescheut haben. Doch der Prozess gegen
Ergenekon gerät zunehmend in Misskredit, weil der Vorwurf, die Putschisten
zu unterstützen, auf immer mehr politisch missliebige Personen ausgedehnt
wird. "Wenn Ahmet und Nedim wegen Ergenekon verhaftet werden, kann es bald
jeden treffen", ist auf der Demo von vielen zu hören.
## Mangelde Pressefreiheit
"Die Pressefreiheit wird völlig zerstört, wenn Journalisten aufgrund ihrer
Arbeit vorgeworfen wird, Unterstützer einer Terrororganisation zu sein",
sagte Ercan Ipekci bei der Kundgebung. Diese Kritik wird von Regierungschef
Erdogan scharf zurückgewiesen. Die 68 inhaftierten Journalisten seien
mehrheitlich überhaupt keine Journalisten, sondern Propagandisten von
Terrororganisationen, behauptet er.
So ließ Erdogan jegliche diplomatische Zurückhaltung fahren, als das
Europäische Parlament in einem kürzlich veröffentlichten Bericht ebenfalls
mangelnde Pressefreiheit in der Türkei beklagte. Der Bericht sei
unausgewogen und von uninformierten, verwirrten Leuten verfasst worden,
behauptete er.
Mit einer baldigen Freilassung von Ahmet Sik und Nedim Sener ist angesichts
dieser Reaktionen kaum zu rechnen. Bis heute wissen beide nicht, was genau
ihnen eigentlich vorgeworfen wird. Das sei geheim, sagt der für den
Ergenekon-Prozess ernannte Sonderstaatsanwalt. Etliche Inhaftierte sitzen
nun schon seit mehr als vier Jahren in Untersuchungshaft, gegen die ersten
Angeklagten wurde bereits an 170 Tagen verhandelt, ohne dass das Gericht zu
einem Urteil gekommen ist.
Stattdessen werden Kritiker der Regierungspartei AKP mit Ermittlungen zu
Ergenekon eingeschüchtert, in den regierungskritischen Medien greift längst
die Schere im Kopf. Freunde der Verhafteten hoffen auf internationale
Unterstützung. Nur Druck von außen wird die beiden wieder aus dem Gefängnis
holen können, sagt ein Kollege, der namentlich nicht zitiert werden will.
21 Mar 2011
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
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