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# taz.de -- Film-Experiment "Unter dir die Stadt": Steigerungsformen der Macht
> Ein Film wie ein Experiment, ohne vorgeschaltete Moral: "Unter dir die
> Stadt" von Christoph Hochhäusler seziert ein System: die Bankenwelt und
> ihre Männer.
Bild: Fassadenglas ist undurchlässiger für Blicke von außen, je transparente…
In den Chefetagen der Bankwelt von Frankfurt spielt "Unter dir die Stadt".
Es ist aber kein Finanzkrisen-, sondern ein Finanzsphärenfilm. Man sieht
Männer an Tischen, die über Firmenschicksale bestimmen. Man sieht ihre
Frauen als Schmuckstück auf Vernissagen und Partys, zuständig für die
Begleitmusik. Diese Ordnung stellen Ulrich Peltzer (Drehbuch) und Christoph
Hochhäusler (Regie, Drehbuch) in knapp umrissenen Szenen vor.
Das Glas der Hochhausfassaden ist dabei umso undurchlässiger für die Blicke
von außen, je transparenter es scheint. Sichtbarkeit ist hier eine
Darstellungsform, die verbirgt, dass es um nichts so sehr wie das Verbergen
geht: das Verbergen nicht zuletzt der Triebkräfte, die hinter dem
überkontrollierten Auftreten an spiegelnden Tischen lauern. Die Herren der
Welt, die hier tagen, verbergen diese nicht zuletzt vor sich selbst.
"Unter dir die Stadt" begibt sich in diese Sphäre in aufklärerischer
Absicht. Ein heikles Geschäft, denn mit Moralisieren oder simplen
Oppositionen und psychologischen Erklärungen ist Einsicht schwerlich
erreichbar. Was es vielmehr braucht und was der Film bietet, ist eine
Versuchsanordnung mit klinisch interessiertem Blick aufs System, auf
Machenschaften und Gebaren, auf die Gesten der Sprache, das Spiel und die
Regung der Mienen, die Bewegung von Körpern in Räumen.
Damit das Experiment Ergebnisse bringt, bedarf es erzählerischer Verfahren.
Deshalb führt "Unter dir die Stadt" Störungen ein ins Milieu, versetzt
gezielte Schocks und beobachtet, wie die Figuren sich auf die Zugabe dieser
Reagenzien verhalten.
Roland Cordes ist der Banker des Jahres, ein Mann, der auf dem Höhepunkt
seiner Karriere angelangt ist. Dem Triumph zum Trotz fehlt ihm jede
Lässigkeit. Etwas echsenhaft Kaltes, wie lidlos Blickendes, metallisch
Brutales gibt ihm Robert Hunger-Bühler, der vor zehn Jahren Peter Steins
Mephistopheles war. In den Gängen eines Museums erst, dann beim Fototermin
in der "Skyline"-Etage begegnet er Svenja Steve, der Ehefrau eines soeben
nach Frankfurt gezogenen mittelwichtigen Mitarbeiters seiner Bank.
Nicolette Krebitz spielt sie als Frau, die gerne möglichst viel in der
Hinterhand hält. Sie trinken einen Kaffee und gehen darauf gemeinsam auf
ein Hotelzimmer. Nicht weil da plötzlich Leidenschaft wäre - nicht bei ihm,
nicht bei ihr. Versuchsweise tun beide entschlossen und machen die Moves
einer Affäre, als folgten sie einem Skript.
## Spielernaturen unter sich
Nahe läge die Versuchung, die ganz auf den Anschein des Rationalen geeichte
Finanzsphärenatmosphäre durch eine Amour fou aufzusprengen. In diese Falle
geht der Film nicht. Die Gesetzmäßigkeiten der in den Banktürmen
etablierten Welt gelten noch da, wo man Leidenschaft spielt. Berechnet
bleibt alles, nur gehen die Rechnungen irgendwann nicht mehr auf.
Wie einst König David den Mann seiner Geliebten Bathseba schickt Cordes den
Ehemann Svenjas kaltblütig an eine gefährliche Front: Der vorige
Statthalter der Bank wurde in Indonesien ermordet. Svenja weiß davon nicht
oder will es lange nicht wissen. In dieser Differenz liegt vielleicht das
zentrale Thema des Films: Wissen ist Macht; die Lüge und das Verschweigen
aber sind Steigerungsformen der Macht.
Banker sind in diesem Film Spieler, die nicht nur die Finanzwelt, sondern
ihr und anderer Menschen Leben als manipulierbar begreifen. "Unter dir die
Stadt" stellt sich seinen Helden Roland Cordes als einen Süchtigen vor,
der, weil er alles erreicht hat, immer höher dosierte Schocks sucht.
Regelmäßig lässt er sich vom Chauffeur in eine Tiefgarage im Bankenviertel
fahren und beobachtet als ungerührter Voyeur, wie ein Junkie sich einen
Schuss setzt.
Er erfindet sich auch vor Svenjas Augen in allen Einzelheiten eine falsche
Biografie, als wolle er sehen, wie weit er mit der Lüge kommt. Svenja
selbst verfährt beim Bewerbungsgespräch nicht viel anders: Hier finden sich
zwei Spielernaturen und probieren aneinander ihre Trug- und Täuschungs- und
Verführungskünste aus.
## Pathos der Form
"Unter dir die Stadt" seziert kühl seine Figuren, denen sich allzu nahe zu
fühlen er einem verwehrt. Der Film zielt auf einen abstrakteren als den
handelsüblichen Empathie-Realismus. Buch und Regie begreifen ihre Figuren
nicht naiv als aus dem Leben dahergelaufene und rund und erklärlich zu
machende Menschen. Bis ins Schmerzliche künstlich werden die Charaktere,
wird in erratischen Zügen die Dunkelheit ihres Beweggrunds nur Zug um Zug
für Momente erhellt. In ähnlicher Weise entstellen Peltzer und Hochhäusler
die Herrschaftssprache der Banker bei allen bewussten Anleihen an die
denglische Wirklichkeit durch Verknappung zur Kenntlichkeit.
Dabei ist der Film keineswegs ohne Leidenschaft. Sein Pathos aber liegt in
der Form. Scharf reiben sich die einzelnen Szenen aneinander, kühn arbeitet
der Schnitt gegen das komfortable Sicheinrichten im Moment. Als Fremdkörper
irritieren blutige Fotos, außerdem zusätzlich vom Magnum-Fotografen Georghi
Pinkassov aufgenommenes Bildmaterial, die Erzähltextur. Aus den vielen
Close-ups aufs irritierende Detail ergibt sich aber kein geschlossenes
Bild. Es entsteht ein sehr eigener Rhythmus, in vieler Hinsicht ist "Unter
dir die Stadt" ein musikalischer Film.
Nicht zuletzt darin, wie er Benedikt Schiefers großartige Musik gegen die
Glättung der schroffen Bildflächen arbeiten lässt. So kommt das schwer
einzuordnende Ende zwar erzählerisch, nicht aber aus der Logik der Form
heraus überraschend. "Unter dir die Stadt" ist, was es im deutschen Kino
sehr selten gibt: ein durch Anstrengung der Form konsequent offener Text.
30 Mar 2011
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Spielfilm
Deutscher Film
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