# taz.de -- Flüchtlingsdrama in Italien: Lampedusa vertreibt Tunesier | |
> Eine erste Fähre mit rund 1.500 Personen an Bord verlässt die Insel. Ziel | |
> ist der Ort Manduria in Apulien. Dort machen Bürgerwehren bereits Jagd | |
> auf Migranten. | |
Bild: Tunesische Flüchtlinge warten auf Lampedusa auf ihren Weitertransport. | |
ROM taz | Am Donnerstag begann der Abtransport der tunesischen | |
Bootsflüchtlinge aus Lampedusa, den Italiens Regierungschef Silvio | |
Berlusconi bei einem Besuch auf der Insel am Mittwoch angekündigt hatte. Um | |
sechs Uhr morgens stach die erste Fähre mit 1.500 Personen an Bord in See. | |
Ziel war der Hafen von Tarent, von dem aus die Flüchtlinge in ein Zeltlager | |
im apulischen Manduria gebracht werden sollen. | |
Ebendies hatte Berlusconi bei seinem grotesken Auftritt auf Lampedusa | |
versprochen. Er werde umgehend "die Insel befreien"; ein Schiff der Marine, | |
dazu fünf große Fähren sollen dafür sorgen, dass "in 48, höchstens 60 | |
Stunden" die mehr als 6.000 Tunesier von Lampedusa weggeschafft seien. | |
Schon bevor Berlusconi vor hunderten Inselbewohnern das Wort ergriff, | |
hatten seine recht militanten Anhänger den Protestierern in der Menge | |
sämtliche Plakate entrissen, die die bisherige Untätigkeit der Regierung | |
aufs Korn nahmen. Unter heftigem Applaus lieferte Berlusconi eine Show, in | |
der es von Versprechen für die Insel wimmelte. Für den Friedensnobelpreis | |
werde er Lampedusa vorschlagen und die tunesischen Fischkutter aufkaufen | |
(damit von dort aus niemand mehr die Reise antritt). | |
Zugleich versprach der Regierungschef der Insel ein Spielcasino, einen | |
Golfplatz, Werbesendungen bei seinen privaten TV-Sendern und den Programmen | |
der staatlichen RAI, dazu die Schaffung einer Freihandelszone sowie | |
niedrigere Steuern auf das Benzin der Fischerboote. | |
## Mühelos über den Maschendrahtzaun | |
Aktuell aber steht Italiens Regierung vor der praktischen Bewältigung des | |
Flüchtlingszustroms von bisher gut 20.000 Menschen seit Anfang Januar. In | |
Apulien, auf Sizilien, in Kalabrien und der Toskana sind mehrere Standorte | |
ausgewählt worden, zu denen jetzt die Lampedusa-Flüchtlinge gebracht | |
werden. Allein in Manduria sollen 2.800 Menschen unterkommen. Dies zog | |
jedoch Proteste vor Ort nach sich und den Rücktritt des in Apulien | |
gewählten Innenstaatssekretärs Alfredo Mantovano. | |
Italiens Medien liefern derweil Bilder aus Manduria, die zeigen, dass das | |
Lager für die nach italienischer Rechtslage illegal Eingereisten - kaum | |
einer der Tunesier stellte einen Asylantrag - leicht zu verlassen sind. Die | |
jungen Männer klettern mühelos über den nicht einmal zwei Meter hohen | |
Maschendrahtzaun und steuern dann den nächsten Bahnhof an. Zwar haben sich | |
in Manduria Bürgerwehren gebildet, die auf Streife gehen und immer mal | |
wieder Migranten zum Lager zurückbringen. Viele der Entflohenen aber machen | |
sich auf nach Ventimiglia an der französischen Grenze. | |
Frankreich wiederum tut alles, um die Einreise der Tunesier zu verhindern. | |
Mittlerweile halten sich deshalb hunderte Tunesier in Ventimiglia auf. | |
Italien hofft derweil, Tunesien wieder für eine Kooperation bei der | |
Abschottung Europas zu gewinnen. In der Tat kamen seit Montag keine Schiffe | |
aus Tunesien mehr auf Lampedusa an. Demgegenüber ist Rom bisher nicht mit | |
dem Anliegen weitergekommen, in großem Stil Bootsflüchtlinge nach Tunesien | |
zurückzuschaffen. | |
31 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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zwangsweise zurück zu schaffen. |