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# taz.de -- Botanischer Garten erforscht Kompost: Urwaldwissen in Dahlem
> Der Botanische Garten wusste nicht, wohin mit seinen Abfällen.
> Gleichzeitig musste immer wieder Komposterde gekauft werden. Beide
> Probleme zusammengedacht ergaben eine nachhaltige und kostengünstige
> Lösung.
Bild: Aus vieren mach eins: Kokosnussschalen, Gehölzschnitt, Biokohle und Stam…
Nadine König sollte eigentlich am Computer sitzen und Statistiken
aufstellen. Als Biologin und gelernte Gärtnerin erfasst sie systematisch
die Massen an Pflanzabfällen im Botanischen Garten. Berechnet Mengen in
Kubikmetern. Und die Kosten, die bisher für die Entsorgung anfallen - in
Euro. Es dürften tausende sein. Doch in letzter Zeit kommt sie manchmal
einfach nicht zu ihrer Arbeit. Wie neulich, als plötzlich ein älteres
Ehepaar aus Zehlendorf in ihrem Büro stand. Sie hätten von Terra Preta
gehört und wollten es gern für ihren Garten bei König bestellen. "Aber wir
sind doch erst ganz am Anfang", seufzt sie dann.
Seit Beginn des Jahres läuft das Projekt Terra Boga - eine Wortschöpfung
aus dem portugiesischen Terra Preta, also Schwarzerde, und Botanischer
Garten. Wissenschaftler der Freien Universität (FU) Berlin wollen dabei im
Botanischen Garten wertvolle Schwarzerde mit hohem Anteil an stabilem
Dauerhumus aus den anfallenden organischen Abfällen gewinnen.
Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt, finanziert aus dem
Umweltentwicklungsprogramm mit Geldern des Landes und der EU. Im Frühling
starten die Forscher die ersten Versuche, um Pflanzensubstrate mit der
Terra Preta Technologie herzustellen und auf ihren Nährstoffgehalt zu
testen. Bis Schwarzerde entsteht, wird es allerdings noch einige Monate
dauern - mindestens.
Der Bedarf an dem Endprodukt ist groß. Es gab bereits Anfragen von der
Domäne Dahlem, dem Umweltamt Zehlendorf, dem Gartenbauamt sowie vielen
privaten Gärtnern. Sie alle wollen Terra Boga am liebsten jetzt schon
zwischen den Fingern rieseln lassen, im Frühjahr auf die eigene Erde
streuen - und auf grüne Wunder warten. Man sehe an dem großen Interesse das
Potenzial ihres Projekts auf Praktikerebene, sagt König. Auch für Urban
Gardening wie etwa in den Kreuzberger Prinzessinnengärten. "Es gibt soviel
Potenzial, um die CO2-Bilanz der Stadt zu verbessern", schwärmt die
zierliche Frau.
Potenzial ist so ein Wort, das an diesem Frühlingstag im Botanischen Garten
immer wieder fällt. Man könnte auch Hype um die Terra Preta sagen. Dabei
unterscheidet sie sich von herkömmlicher Komposterde eigentlich nur
dadurch, dass Pflanzenreste zusammen mit Fäkalien und sogenannter Biochar -
Biokohle - verrotten. Die indigene Bevölkerung im Amazonasgebiet Brasiliens
wusste schon vor 2.000 Jahren, wie man aus den Abfällen des Lebens wieder
nährstoffreiche Erde gewinnt. Nun, im Zuge des Klimawandels, und mit dem
Wissen um die Schäden konventioneller Landwirtschaft, soll auch in unseren
Breiten das Urwaldwissen wieder aufleben - um Böden ohne Chemie zu
verbessern und wieder in geschlossenen Kreisläufen zu wirtschaften.
Zwei Männer karren unweit von Königs Büro in ihren Schubkarren geharktes
Laub auf einen riesigen Berg. Er erinnert eher an eine Halde in einem
Braunkohle-Abbaugebiet als an das, was des Gärtners Glück sein soll: ein
Komposthaufen. Unmengen an Erde, dazwischen vertrocknete Pflanzenstengel,
Blüten, Wurzeln, Geäst. Bis zu Tausend Kubikmeter davon fallen jährlich an.
Nebenan zeigt sich, was aus so einem Schüttgut einmal werden kann:
gräuliche Erde, gerade gut genug, um anspruchslose Wiesen zu düngen.
"Verkaufen können wir das nicht", sagt König und deutet auf den fertigen
Kompost, "das will niemand haben, da sind zu viele Unkrautsamen drin."
Hinter der Halde lagert das eigentlich wertvolle Gut für den Boden des
Botanischen Gartens: dunkle Komposterde - von externen Firmen angeliefert.
Die Erdhaufen sind denn auch das Problem des Botanischen Gartens. "Unser
herkömmliches Kompostverfahren funktioniert nicht mehr", sagt Albert-Dieter
Stevens, einer der Direktoren der Institution. Die Pflanzenreste seien von
zu unterschiedlicher Art und in zu großen Mengen vorhanden, um sie
wirtschaftlich mit der jetzigen Kompostierung sinnvoll in einen
Stoffkreislauf zu bringen: Äste von sehr alten Bäumen, Palmenwedel,
Kakteen, riesige Mengen an Wiesenschnitt. Wohin damit?
"Viele Abfälle müssen wir entsorgen lassen. Im Gegenzug kaufen wir für
mehrere tausend Euro im Jahr Tonnen an Bodenverbesserungsmaterialien hinzu,
darunter auch teuren und wenig umweltfreundlichen Torf." So kam die Idee,
sich Experimente mit einer neuen Technologie fördern zu lassen, genau
richtig.
Stevens hatte Terra Preta in Brasilien selbst kennengelernt. Mehrere Jahre
arbeitete er im Amazonas-Gebiet als wissenschaftlicher Leiter eines
Entwicklungsprojekts, um mit den dort ansässigen Bauern die Bodensubstanz
für ihre Landwirtschaft zu verbessern.
Bald soll es auch im Botanischen Garten einen Kreislauf nach dem Terra
Preta-Vorbild geben. König und ihre Garten-Kollegen haben bereits
Grasschnitt mit zerschredderten Ästen gemischt und lagern es in einem
ehemaligen Gewächshaus in großen weißen Plastesäcken - als erstes Futter
für die Versuchsanlage, die derzeit in Betrieb geht.
Die Zeichen der neuen Zeit aber sind graue Kisten. In einem Kellerraum auf
dem Wirtschaftshof des Gartens sind Plastikbehälter in quadratischen
Schrankfächern angeordnet, wie in einer Umkleidekabine für Abfälle. "Die
Behälter befüllen wir mit verschiedenen Materialien und führen über ein
Rohrsystem warme Luft hinzu", erklärt Alfons Krieger. Er ist
Landwirtschaftsberater und Mitarbeiter bei dem Projektpartner Palaterra
GmbH. Bei einer Temperatur von 70 Grad sollen die Pflanzenreste zusammen
mit Kohleanteilen verrotten und hygienisiert werden.
Die nötige Biokohle bezieht der Garten von Palaterra, sie steht in Säcken
neben der Versuchsanlage. Mehrere Testreihen werde man brauchen, sagt
Krieger, die Zusammensetzung der Materialien solle differieren. Im jeweils
untersten Kompartiment der Versuchsanlage gibt es nach fünf Wochen
hoffentlich das Ergebnis: wohlriechende Erde aus dem Botanischen Garten.
Vor ein paar Jahren habe er selbst in seinem Garten angefangen, mit Terra
Preta zu experimentieren, erzählt Krieger. Seitdem habe sich der sandige
Boden enorm verbessert. Krieger berichtet von einst mickrigen, nun
mächtigen Kohlköpfen, die die Beete seines Biolandhofes bevölkern. Gerade
auf den nährstoffarmen Böden in Brandenburg sei die Technologie sinnvoll
und schneller Erfolg garantiert. Ein anderes Projekt der Geowissenschaftler
der FU will deshalb auch verseuchte ehemalige Militärflächen in Brandenburg
durch Humusaufbau à la brasileña wieder fruchtbar machen.
Der Botanische Garten selbst hat genug weitere Baustellen: die
Toilettenanlagen sind völlig veraltet und verbrauchen zu viel Wasser.
Jährlich fallen 1,8 Tonnen Fäkalien auf dem Gelände an und werden einfach
weggespült. Wie einst auf dem Lande sollen sie deshalb künftig in den
Stoffkreislauf als Kohlenstofflieferant mitaufgenommen werden. Und an der
Technik, die Biokohle selbst herzustellen, muss auch noch gefeilt werden.
"Wir werden wieder zu Köhler und Bauer", sagt Gartendirektor Stevens mit
einem gewissem Ernst. So könnte es auch sein, dass eines Tages auf den
Wiesen der Anlage im Spätsommer riesige Ballen Gras trocknen und lagern -
wie früher auf jedem Feld. Denn Grasschnitt zum Beispiel ist nicht das
ganze Jahr über in großen Mengen vorhanden, man bräuchte es aber für den
Kompost.
"Das größte Problem wird sein", resümiert Stevens, "die Terra
Preta-Technologie in unseren betrieblichen Ablauf zu integrieren."
Deutschlands größten Botanischen Garten mit 40 Hektar Fläche auf neue
Kompostierung umzustellen und das effizient zu organisieren bedeutet einen
enorm hohen technischen und finanziellen Aufwand. Und: "So ein Garten ist
ein sehr komplexer Organismus", sagt der Botaniker. 22.000 Arten, das seien
22.000 Individuen. Auf ihre Bedürfnisse müssten die gewonnenen Substrate
jeweils angepasst werden.
Für wirkliche Rezepte, wie sich Terra Preta auf die lokalen Bedingungen
anwenden lässt, ist es noch zu früh. Aber am Ende des Projekts wollen die
Wissenschaftler ein Manual herausgeben, das die Umsetzung der Technologie
beschreibt - als Gebrauchsanleitung für Gärtner. Sie werden es ihnen aus
den Händen reißen.
Eine Gebrauchsanweisung
Den Direktor allerdings treibt noch etwas ganz Anderes um: "Es ist es eine
Verpflichtung für uns als öffentliche Einrichtung, das, was wir erforschen,
auch zurückzugeben", sagt der einstige Entwicklungshelfer Stevens. Sie
hätten die Technologie von der indigenen Bevölkerung in Brasilien
übernommen, nun werde man das eigene Wissen beim Aufbau eines Botanischen
Gartens in Äthiopien weitertragen. Auch das ist der Anfang eines sich
schließenden Kreislaufs.
1 Apr 2011
## AUTOREN
Grit Weirauch
## TAGS
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Arbeitskampf
Kolumne Wirtschaftsweisen
Verdi
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