# taz.de -- RWE hat Klage eingereicht: Ein Kampf um Biblis | |
> RWE reicht Klage gegen die Stilllegung der Altmeiler Biblis A und B ein. | |
> Vattenfall und Eon hingegen wollen nicht gegen das Moratorium vorgehen, | |
> EnBW hält sich bedeckt. | |
Bild: Die Betreiber des Akw Biblis wollen partout nicht abschalten. Kein Wunder… | |
FRANKFURT/MAIN taz | Die RWE Power AG hat am Freitag beim zuständigen | |
Verwaltungsgerichtshof in Kassel Klage gegen die Anordnung der hessischen | |
Atomaufsichtsbehörde vom 18. März zur einstweiligen Einstellung des | |
Betriebes des AKW Biblis eingereicht. | |
Der Essener Atomkonzern, der die Reaktorblöcke A und B in Biblis betreibt, | |
meint nämlich, dass "keine rechtlichen Voraussetzungen" für die zunächst | |
auf drei Monate befristete Stilllegung der beiden Atommeiler vorliegen | |
würden. Wie das Unternehmen am Vormittag in seiner Erklärung weiter | |
mitteilte, könne die Bundesregierung die Abschaltung der beiden Altmeiler | |
im Hessischen Ried nicht mit einer Berufung auf Paragraf 19 des | |
Atomgesetzes begründen, in dem es lediglich um die Ergreifung von | |
Schutzmaßnahmen bei einer akuten Gefahrenlage gehe. Tatsächlich würden | |
jedoch beide Reaktorblöcke "die geltenden Sicherheitsanforderungen | |
erfüllen". Für eine Betriebseinstellung fehle daher die "rechtliche | |
Maßgabe". | |
Auch die meisten Verfassungsrechtler sind der Ansicht, dass die Mitte März | |
per Moratorium erfolgte befristete Stilllegung von acht Atomkraftwerken - | |
darunter dreien, die zu diesem Zeitpunkt nicht in Betrieb waren - rechtlich | |
nicht zulässig war. Paragraf 19 Absatz 3 Atomgesetz sei eine Vorschrift zur | |
Abwehr konkreter Gefahrensituationen, die in Deutschland aktuell aber nicht | |
zu konstatieren seien, sagt beispielsweise der Karlsruher | |
Verfassungsrechtler Christian Kirchberg. | |
## Moratorium "verfassungsrechtlich bedenklich" | |
Auch dass mit einem solchen Moratorium ein geltendes Gesetz außer Kraft | |
gesetzt werde, sei "außerordentlich problematisch und verfassungsrechtlich | |
bedenklich". Er plädiert stattdessen dafür, ein spezielles Stilllegungs- | |
und Ausstiegsgesetz zu konzipieren oder das geltende Atomgesetz zu ändern - | |
eine Forderung, die auch SPD, Grüne und Linke erheben. So bot der | |
sozialdemokratische Ministerpräsident Kurt Beck noch im Landtagswahlkampf | |
in Rheinland-Pfalz CDU und FDP auf Landes- und Bundesebene dafür einen | |
"Pakt" an. Nur mit einem "sauberen Ausstiegsgesetz" könne auf die | |
fürchterliche Katastrophe in Japan angemessen reagiert werden. | |
Um was es RWE mit der Klage eigentlich geht, legte das Unternehmen am | |
Freitag gleich mit offen: "Mit diesem Schritt stellt RWE die Wahrung der | |
Interessen seiner Aktionäre sicher." An der Börse stieg der Kurs der | |
RWE-Aktien am Freitag denn auch wieder. | |
Tatsächlich soll RWE durch die Abschaltung seiner beiden hessischen | |
Altreaktoren täglich rund 700.000 Euro verlieren. Atomkritische | |
Organisationen haben das errechnet. Bestätigen wollte das Unternehmen diese | |
Summe aber nicht. | |
## Klage-Ankündigung inmitten der Sicherheitsankündigungen | |
Dass sich RWE gerade jetzt zur Klage gegen die immer noch als | |
"vorübergehend" apostrophierte Stilllegung entschlossen hat, dürfte zum | |
einen mit der Ankündigung der Reaktorsicherheitskommission zusammenhängen, | |
das Risiko von Flugzeugabstützen mit in die beabsichtigte | |
Sicherheitsüberprüfung aller deutschen Atomkraftwerke mit einzubeziehen. | |
Denn dass die beiden Reaktoren in Biblis nicht gegen Abstürze großer Jets | |
oder gegen terroristische Attacken damit ausgelegt sind, ist seit | |
Jahrzehnten bekannt. Auch erdbebensicher sind die Meiler nicht. | |
Zum andern kann RWE jetzt nicht mehr mit der Unterstützung durch die | |
hessischen Regierungsparteien CDU und FDP rechnen. Selbst der bislang | |
extrem atomfreundliche, die atomkritischen oppositionellen Grünen im | |
Landtag immer wieder rüde attackierende Chef der hessischen FDP, | |
Justizminister Jörg-Uwe Hahn, sprach sich am vergangenen Mittwoch für eine | |
endgültige Stilllegung wenigstens von Block A - dem ältesten Atommeiler in | |
Deutschland - aus. | |
## Grüne im Landtag: "Unerträgliche Provokation" | |
Die Grünen im Landtag nannten den juristischen Vorstoß von RWE denn auch | |
eine "unerträgliche Provokation". Jetzt müsse das Atomgesetz schnell | |
geändert werden, "damit es am Ende nicht noch zu der unerträglichen | |
Situation kommt, dass die hessischen Steuerzahler Geld an den Konzern | |
zahlen müssen", so Partei- und Fraktionschef Tarek Al-Wazir. Und Al-Wazir | |
kritisierte die "chaotische Atompolitik" der Landesregierung, die es so | |
weit habe kommen lassen, heftig: "Wer den Atomkonzernen willfährig zu | |
Diensten war, als es um die Laufzeitverlängerung der Uralt-AKWs in Biblis | |
ging, der darf sich nicht wundern, wenn die Konzerne die eingeplanten | |
Gewinne jetzt auch einfahren wollen." Auch die saarländische | |
Umweltministerin Simone Peter (Die Grünen) forderte "die sofortige | |
Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Abschaltung der sieben | |
stillgelegten Atomkraftwerke plus Krümmel". | |
Mit seinem Konfrontationskurs gegen die Bundesregierung steht RWE bislang | |
in der Energiewirtschaft allein auf weiter Flur. Konkurrent Eon hatte im | |
Gegensatz entschieden, auf eine Klage gegen das Moratorium zu verzichten. | |
"Wir wollen uns mit Argumenten an der Diskussion über die Zukunft der | |
Kernenergie beteiligten, nicht mit juristischen Grabenkämpfen", sagte ein | |
Eon-Sprecher. | |
## Vattenfall nicht von Stillegung betroffen | |
Vattenfall als weiterer Kernkraftwerksbetreiber in Deutschland ist nach | |
eigenen Angaben nicht von der Stilllegung betroffen, da seine Meiler in | |
Krümmel und Brunsbüttel ohnehin bereits seit Jahren keinen Strom | |
produzieren. Eine Klage sei deshalb kein Thema, hieß es bei dem | |
Unternehmen. | |
Der baden-württembergische Energiekonzern EnBW hält sich indes weitere | |
Schritte noch offen und gibt sich vorsichtig. Vom Konzern wurden die beiden | |
Altmeiler Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 vorübergehend vom Netz | |
genommen. Noch-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hatte zudem | |
angekündigt, dass Neckarwestheim 1 für immer stillgelegt werden solle. | |
"Wir prüfen den Bescheid", hieß es am Freitag in einer Stellungnahme der | |
EnBW. "Dies ist ein üblicher Vorgang und nicht gleichzusetzen mit der | |
Prüfung oder Vorbereitung einer Klage. Wenn entschieden ist, ob wir klagen, | |
werden wir kommunizieren." | |
## EnBW-Klage wegen Grün-Rot unwahrscheinlich | |
Da die EnBW vorwiegend im Besitz der öffentlichen Hand ist und das künftig | |
von Grün-Rot regierte Land einen Anteil von 45 Prozent der Aktien hält, ist | |
es aber unwahrscheinlich, dass sich die Geschäftsführung für eine Klage | |
entscheidet. Sie würde sich damit gleich einen Affront gegen die neue | |
Landesregierung leisten. Die Grünen-Fraktion gab am Freitag auf taz-Anfrage | |
keine Stellungnahme zu einer möglichen Klage gegen das Moratorium ab. | |
Ausweichend äußerte sich auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). | |
Die Konzerne müssten ein Eigeninteresse daran haben, dass es einen | |
verlässlichen neuen Energiekonsens gibt. Nur der garantiere ihnen | |
Planungssicherheit für Investitionen. Angesichts der Tatsache, dass die | |
Bundesregierung mit der Laufzeitverlängerung einen Konsens aufgekündigt und | |
die Planungssicherheit für die Stadtwerke ruiniert hat, ein bemerkenswertes | |
Argument. Der Energiekonsens werde nicht vor Gericht, sondern in der | |
Gesellschaft und im Parlament gefunden. Dies ist eine indirekte Warnung an | |
Konzerne vor Klagen. Denn am Ende des Moratoriumsprozesses wird, so | |
Röttgen, "ein neues Atomgesetz stehen". | |
Ulrich Kelber, SPD-Energieexperte, wurde deutlicher: Die Klage von RWE, | |
sagte er der taz, "ist dreist - gerade vor dem Hintergrund der Mängel bei | |
Biblis A". Allerdings sei auch Schwarz-Gelb schuld: "Die Bundesregierung | |
hat sich das selbst eingebrockt, weil sie keine klare Rechtsgrundlage für | |
den Ausstieg geschaffen hat." Auch Kelber fordert ein neues Atomgesetz. | |
"Wir können so ein Gesetz in der kommenden Woche verabschieden - wenn es | |
die Bundesregierung will." Mitarbeit: Nadine Michel, Stefan Reinecke | |
1 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
K.-P. Klingelschmitt | |
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