# taz.de -- Warum die Häme über Westerwelle?: Der Außenseiter | |
> Guido Westerwelle ist nicht mehr FDP-Parteichef - und alle freuen sich. | |
> Warum sind sich eigentlich alle so verdammt einig, dass dieser Mann | |
> abzulehnen ist? | |
Bild: Immer die Nummer 1: Guido Westerwelle ist immer noch der Schnellste: Kein… | |
Der Jüngste, der Schnellste, der Aggressivste. Einer, der sich nicht zu | |
schade dafür war, im Guidomobil durch die Republik zu reisen, die Zahl 18 | |
auf den Schuhsohlen. Einer mit einem klaren Feindbild: gegen alles, was | |
links oder grün ist. Ein Erfolgreicher: Mit ihm an der Spitze fuhr die FDP | |
den höchsten Wahlerfolg ihrer Geschichte ein. Manche sahen in ihm den | |
Prototyp des neuen Politikers, aus ähnlichem Holz geschnitzt wie die | |
Turboaufsteiger des Turbokapitalismus. Und nun? | |
Guido Westerwelle ist immer noch der Schnellste: Kein zweiter | |
Bundespolitiker hat es geschafft, in so kurzer Zeit so tief zu stürzen. In | |
der eigenen Partei, in der Wertschätzung der Deutschen. Jetzt ergießt sich | |
die Häme über ihn. | |
Natürlich kennen wir das Spiel des bösen Nachrufs, es ist oft genug | |
gespielt worden. Aber im Casus Westerwelle überrascht doch die Wucht der | |
Bösartigkeit, mit der sein Abgang, sein offenkundiges Scheitern begleitet | |
wird. Daran wird kenntlich, was immer schon galt: Er ist nicht gemocht. | |
Nein, er wurde es definitiv nicht, auch als er erfolgreich war. Was | |
Westerwelle umwehte wie ein zu penetrantes Aftershave war der Hauch | |
sozialer Kälte. | |
In dieser Hinsicht war er die Verkörperung dessen, was die Gegner der FDP | |
in dieser Partei sehen: die legendären "Besserverdienenden" in ihren | |
Zahnarztgolfclubs, die neuen hochbezahlten A-sozialen, die sich einen Dreck | |
darum scheren, wie es dem kranken Nachbarn geht. Diese Aura kollidierte | |
heftig mit seiner lange Zeit versteckten Homosexualität, mit dem damit | |
verbundenen Außenseiterstatus. Soziale Kälte und warmer Bruder? Dieser | |
Spruch wurde - ernstlich! - hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand | |
kolportiert. Seine "Abweichung" war unendlicher Stoff für Witze und | |
Stammtische aller Art: von ganz rechts bis ganz links, alle Liberalen | |
eingeschlossen. | |
## Sexuelles Außenseitertum | |
Westerwelle hat mit seinem ungewöhnlichen Verhaltensmix etwas von der | |
Ressentimentstruktur der fünfziger Jahre wiederbelebt. Gestandene Linke, | |
die sich viel auf ihre Vorurteilsfreiheit gerade gegenüber Minderheiten | |
zugutehalten, haben händereibend ihre Freude darüber bekundet, dass es | |
"ausgerechnet ihn erwischt" habe: die Homosexualität. So als sei es | |
Krankheit oder Strafe. Schwule haben ihn dafür verachtet, dass er sich nie | |
wirklich geoutet habe. Und als er seinen Lebenspartner schließlich in die | |
Öffentlichkeit brachte, berichteten die Medien in einem Ton darüber, als | |
würde noch Kardinal Frings die Leitlinien für taktvolles Verhalten | |
bestimmen. | |
Irgendwie wurde ihm ein "falsches Leben", eine Art Betrug angekreidet. | |
Sexuelles Außenseitertum und soziale Stromlinie mit der unverhohlenen | |
Tendenz, andere Außenseiter auszugrenzen: nein, das wollte vielen nicht in | |
die Köpfe. Es passte nicht zusammen. Niemand redete offen darüber, es stand | |
in keiner Zeitung und kein TV-Kommentator hätte je gewagt, auch nur eine | |
Anspielung darauf zu machen. | |
Man mag das für besonders diskret halten. Tatsächlich ist es ein zu | |
verteidigendes Gut, die Privatsphäre gerade von Politikern zu schützen - | |
ein urliberales Anliegen. Aber das seltsame Ausweichen, die genuschelte | |
Nebenrede, das manchmal schon penetrante Nichtthematisieren - das sind | |
Anzeichen einer Gesellschaft, die zwar Toleranz auf ihre Fahnen geschrieben | |
(und auf diesen Terrain tatsächlich beträchtliche Zugewinne zu verzeichnen) | |
hat, aber in vieler Hinsicht noch so verklemmt ist wie zu den Zeiten, als | |
sich FDP-Chef Erich Mende auf Partys mit seinem Ritterkreuz zeigte. | |
## Wunsch nach Feudalität | |
Herr zu Guttenberg hat uns eindrücklich vor Augen geführt, wie stark bei | |
einer großen Zahl unserer Landsleute der Wunsch nach Feudalität ist; wie | |
gut es ankommt, sich über die demokratische Ochsentour hinwegzusetzen, | |
etwas anderes, Glanzvolleres zu verkörpern als die Welt der "Normalos". Es | |
ist dieser im Kern antidemokratische Bodensatz, der auch den Humus für die | |
Häme bildet, die jetzt auf Westerwelle niedergeht wie ein Tsunami des | |
unterdrückten Vorurteils. | |
Nein, er ist kein sympathischer Politiker. Aber es wäre ein Fortschritt für | |
unsere politische Kultur, wenn wir versuchen, die unschönen Elemente in den | |
Blick zu nehmen, die jetzt dazu beitragen, den Abgang eines Ungeliebten zur | |
ressentimentgeleiteten Gong-Show zu machen. | |
5 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Schneider | |
## TAGS | |
Veteranen | |
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