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# taz.de -- Streit um Entsorgung: Alle wollen den Müll
> Wem gehört der Abfall? Darüber streiten die Politik, private und
> öffentliche Entsorger. Das Nachsehen haben die Verbraucher: Die Tonnen im
> Hof werden immer mehr.
Bild: Es lebe die Gelbe Tonne: Kunst- und Werbeaktion für die Recyclingwoche.
Am Anfang steht der Müll im Regal. Der Joghurtbecher, das Orangennetz, die
Shampooflasche, sie alle werden gekauft und nicht direkt beim Händler
entsorgt, sondern meist in der Küche in einen Behälter zwischendeponiert,
ehe sie vor oder hinter dem Haus in einer Tonne landen. In einer Tonne, die
grau oder schmutziggrün ist oder in der daneben, die blau ist, oder in eine
von denen mit dem Loch im Deckel oder in die große gelbe. Oder, seit gut
anderthalb Jahren, in eine große orangefarbene. Und da beginnt der Streit.
Seitdem die Berliner Stadtreinigung (BSR) im Juni 2009 zu den schon
vorhandenen Mülltonnen ihre "Orange Box" gestellt hat, ist in der Stadt ein
Kampf um die Abfälle der Haushalte entbrannt. Ein Konflikt, in dem es nur
deshalb einen Waffenstillstand gibt, weil das Verwaltungsgericht
entschieden hat, dass der private Konkurrent Alba seine "Gelbe Tonne plus"
weiter stehen lassen darf. Vorerst. Eine endgültige Entscheidung fällt erst
mit dem Hauptsacheverfahren.
Die Gelbe Tonne plus ist der Senatsverwaltung für Umwelt ein Dorn im Auge.
Denn mit der Tonne sammelt Alba nicht nur Verpackungen, sondern auch kleine
Elektrogeräte und Kunststoffe. Und diese Materialien sind attraktiv für
Entsorger.
"Durch die gesammelten Wertstoffe können Rohstoffe ersetzt werden", sagt
BSR-Sprecher Thomas Klöckner. 13.000 Tonnen Holz könnten beispielsweise
durch die Sammlung mit der Orange Box jährlich gewonnen und als Grundlage
für die Papierherstellung genutzt werden. Zudem würden 2.500 Tonnen Metalle
anfallen. In Elektrogeräten wie Handys finden sich außerdem seltene Erden -
das sind Metalle, die nur an sehr wenigen Orten weltweit vorkommen. Und
auch das, was sich nicht wiederverwerten lässt, hat einen Wert für den
Entsorger: Es kann verbrannt und die daraus gewonnene Energie verkauft
werden.
Doch in dem Konflikt geht es nicht nur um Holz und Metall, sondern auch um
Abfälle, die zwar keinen Grünen Punkt tragen, aber aus dem gleichen
Material sind wie die Verpackungen mit Grünem Punkt. Die ausrangierte
Gummiente zum Beispiel. Nach Angaben von Alba fallen in Berlin jährlich
4.500 Tonnen dieses Abfalls an.
Die Verwaltung argumentiert, der in der Gelben Tonne plus gesammelte Abfall
entziehe der landeseigenen BSR Haushaltsabfälle und stehe damit der
öffentlichen Abfallentsorgung entgegen. "Es kann nicht sein, dass der
kommunale Entsorger nur den Rest behält", sagt Marie-Luise Dittmar,
Sprecherin der Senatsverwaltung für Umwelt. Diese hatte Alba die Sammlung
mit der Gelben Tonne plus untersagt, wogegen das Unternehmen vor Gericht
ging. Eine übermäßig schnelle Reaktion lässt sich der Verwaltung nicht
vorwerfen: Die Alba-Tonne gibt es seit 2005.
Die Position der rot-roten Koalition ist eindeutig: Sie wünscht sich, dass
die landeseigene BSR die lukrativen Abfälle sammeln darf. Diese Position
steht durchaus im Einklang mit einer Politik, die die öffentliche
Daseinsvorsorge wieder in kommunaler Hand sehen will, wie sie SPD und
Linkspartei in den letzten Monaten postuliert haben. Dazu gehören zum
Beispiel die Wasser- und Energieversorgung, aber auch die
Abfallbeseitigung.
Doch ganz so einfach kann die Politik die Abfallentsorgung nicht komplett
in die öffentliche Hand legen. Zum einen, weil die Entsorgung der
Verpackungen über das Duale System ausgeschrieben wird. Hier zahlt der
Verbraucher beim Kauf von Produkten mit dem Grünen Punkt, die über das
Duale System gesammelt werden, die Entsorgung mit. Zum anderen, weil bei
der Abfallentsorgung auch die Bundesebene eine Wörtchen mitzureden hat. Das
Bundeskabinett hat Ende März ein Kreislaufwirtschaftsgesetz beschlossen.
Das stärkt dem Land und BSR zumindest in einem Punkt den Rücken: Bis 2015
soll es nur noch eine Wertstofftonne geben, so sieht es auch eine
EU-Richtlinie vor. Doch ob diese Tonne kommunal sein soll oder privat, ob
die Sammlung direkt vergeben werden darf und wie das dann mit der
Ausschreibung des Dualen Systems funktionieren soll, das muss noch extra
geregelt werden. "Bis Ende des Jahres sollen Eckpunkte vorliegen", sagt ein
Sprecher des Umweltministeriums.
So lange bastelt die rot-rote Koalition in Berlin weiter an einem eigenen
Abfallwirtschaftskonzept. "Wir bevorzugen eine Sammlung in kommunaler
Trägerschaft", sagt Dittmar. Das werde auch in das Abfallwirtschaftskonzept
aufgenommen, das im Mai in den Umweltausschuss gehen soll. "Wir sind der
Meinung, dass es keiner zusätzlichen Tonne bedarf", sagt dagegen
Alba-Sprecherin Verena Köttker. Auch Alba fürchtet um seinen Markt.
Doch was gehört nicht nach politischen, sondern nach ökologischen
Gesichtspunkten in eine Wertstofftonne? Das hat das Umweltbundesamt (UBA)
in einer Studie untersucht. Das Ergebnis: Abfall, der zwar keine Verpackung
ist, aber aus dem gleichen Material besteht wie Verpackungen, die jetzt
schon in der Wertstofftonne entsorgt werden, gehörten auf jeden Fall rein.
Schließlich lasse sich dem Verbraucher nicht vermitteln, dass der
Plastikbecher in eine Tonne gehört, die Plastikente in eine andere. Und
ökologisch sinnvoll sei das auch nicht.
Das UBA listet auch eine Reihe von Materialien auf, die nach Meinung der
Wissenschaftler in einer Wertstofftonne nichts zu suchen haben. Textilien
gehören dazu, Gummi und Holz. Metalle, Textilien und Holz will die BSR aber
ausdrücklich in ihrer Orange Box sehen. "Textilien aus dem Abfall sind
verschmutzt und lassen sich nicht mehr verwerten", kritisiert die
Umweltberaterin und Expertin für Abfallwirtschaft, Gudrun Pinn. Bei anderen
Materialien sehen die UBA-Wissenschaftler vor allem technische Probleme:
Gummi lasse sich nicht sortieren oder verwerten, und sperriges Holz könne
sogar das Sortieren anderer Stoffe behindern.
Außerdem ist unklar, wo der Abfall, der in der Orange Box landet, sonst
entsorgt worden wäre. Im Pilotversuch waren das laut BSR 17 Kilo auf
Einwohner und Jahr gerechnet. Anfangs seien die Tonnen ein bisschen voller,
weil die Leute Gegenstände entsorgen würden, die vorher im Keller gestanden
hätten, vermutet BSR-Sprecher Klöckner. Er beziffert das Potenzial der
Orange Box auf 15 Kilo pro Einwohner und Jahr. Das entspreche sechs
Gewichtsprozent dessen, was sonst in der grauen Tonne lande.
Doch ob entsprechend weniger Müll in der grauen Restmülltonne landet, hat
die BSR nicht evaluiert. "Meine Vermutung ist, dass einfach Wege zum
Recyclinghof gespart werden", sagt Pinn. Damit würde aber nicht mehr
getrennt, sondern nur an einem anderen Ort.
Die Umweltberaterin schlägt daher eine ganz andere Lösung vor: Ökologisch
sei es am besten, eine Wertstofftonne wie derzeit die Gelbe Tonne plus
flächendeckend aufzustellen. Zusätzlich könne optional ein Container wie
die Orange Box angeboten werden, in die auch Materialien wie Holz und
Textilien dürfen. Was von einem kommunalen und was von einem privaten
Entsorger abgeholt werde, sei dabei sekundär. Doch dürfe angesichts der
ganzen Mülltrennung die Vermeidung von Abfall nicht aus den Augen verloren
werden.
Pinn kritisiert auch, dass die Orange Box derzeit kostenlos erhältlich ist.
Ihre Kosten werden von der Allgemeinheit über den Restmüll mitfinanziert.
"Nicht alles, was ökologisch wertvoll ist, ist auch ökonomisch wertvoll",
sagt BSR-Sprecher Thomas Klöckner dazu. Doch genau den ökologischen Wert
stellen das UBA und die Umweltberaterin infrage.
Derzeit liegt der Streit um die Tonnen beim Verwaltungsgericht, das im
Hauptsacheverfahren entscheiden muss. Eine außergerichtliche Einigung
halten weder BSR noch Alba oder die Umweltverwaltung für möglich. Doch
auch, falls das Gericht die Gelbe Tonne plus untersagt, haben die
Verbraucher immer noch zwei Tonnen für ähnliche Abfälle im Hof stehen: die
Gelbe Tonne für die Verpackungsabfälle und die Orange Box.
"Wir wollen, dass beide Seiten das gemeinsam lösen", sagt daher Felicitas
Kubala, umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Die Unternehmen
könnten sich die Stadt untereinander aufteilen oder ein Mischsystem
zwischen Sammeln und Verwerten finden und sich gegenseitig auszahlen.
Ähnliche Systeme werden auch im Bundesumweltministerium diskutiert. Denn
eigentlich will niemand, dass der Verbraucher noch mehr trennen muss.
"Das Sortieren sollte einfacher werden", sagt Abfallexpertin Pinn. "Der
Kunde will für sich die einfachste Lösung", sagt die Grüne Kubala. "Man
will es möglichst einfach haben, klar", sagt Dittmar von der
Umweltverwaltung. Zunächst mal wird es aber für mehr Kunden mehr Tonnen
geben: Die BSR will das System der Orange Box von derzeit 20.000 auf
170.000 Tonnen ausdehnen. Die flächendeckende Aufstellung hat bereits
begonnen.
6 Apr 2011
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Müll
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